Einzelhandel Ladensterben: So haben Händler eine Chance, Corona zu überleben

Im Zukunfts-Store ordert die Kundin die Ware per Handy in die Umkleidekabine.
München, Düsseldorf Der deutsche Handel erlebt einen immer brutaleren Ausleseprozess. Nach neuesten Berechnungen des Handelsforschungsinstituts IFH wird es bis zum Jahr 2023 bis zu 79.000 Einzelhandelsgeschäfte weniger geben.
„Damit wird in den kommenden drei Jahren nach unserer Einschätzung etwa ein Fünftel der Geschäfte aufgeben. Der Strukturwandel wird durch die Folgen der Pandemie noch einmal deutlich beschleunigt“, sagt Eva Stüber, Handelsexpertin und Mitglied der Geschäftsleitung des IFH.
Das liegt auch daran, dass immer mehr Menschen online einkaufen. So wurden im vergangenen Jahr nach Berechnungen des IFH 14,4 Milliarden Euro zusätzlich im Onlinehandel ausgegeben. Damit war der Zuwachs im E-Commerce mehr als doppelt so hoch wie im Jahr zuvor.
„Viele Konsumenten lernen zurzeit, ohne Innenstadt auszukommen“, beobachtet Werner Reinartz, Handelsexperte an der Universität Köln. Für den stationären Handel sei das eine gefährliche Entwicklung, warnt er. „Viele Händler müssen ihr Geschäftsmodell grundsätzlich überprüfen, um zu überleben.“
„Jeder Kunde braucht eine Antwort auf die Frage: Warum soll ich in die Stadt gehen, wenn ich auch bequem online kaufen kann“, sagt Tina Müller, Chefin der Parfümeriekette Douglas. Der stationäre Handel müsse genau das für die Kunden bieten, was online eben nicht geht.
„Aus Umfragen unter unseren europaweit 44 Millionen Beauty-Card-Kunden wissen wir, was Kunden sich vom stationären Geschäft in Zukunft wünschen und warum sie weiter gern in die Filiale kommen werden“, so Müller. Die wichtigsten Punkte seien dabei Beratung, zusätzliche Services und das Ausprobieren der Ware.
Es ist kein Naturgesetz, dass stationäre Geschäfte in der Innenstadt nicht mehr funktionieren. Beispiele zeigen: Es gibt spannende Konzepte, die nach dem aktuellen Lockdown Kunden wieder begeistern können.
Bonprix macht das Handy zum Navigator im Laden
Hamburg, Mönckebergstraße: „Fashion connect“ nennt Bonprix seinen Modeladen der Zukunft. Der Name ist Programm. Wer sich hier einen neuen Pullover zulegen will oder eine Bluse, der braucht ein Handy. Damit lassen sich sämtliche Teile in die Umkleidekabine ordern. „Die Kundinnen haben so im Laden die Hände frei und dadurch mehr Spaß am Einkaufen“, erläutert Daniel Füchtenschnieder, der Konzeptverantwortliche.
„Die Händler müssen sich vom reinen Verkauf eines Produkts lösen. Es geht um Service und Beratung, es geht darum, die Kunden und Kundinnen zu begeistern“, erklärt Handelsexpertin Stüber. Manchmal seien es nur Kleinigkeiten, die aber entscheidend sein können. Händler, die den Kunden und Kundinnen ihre Probleme abnehmen, sind gefragt. „Der Bonprix-Laden in Hamburg ist dafür ein sehr gutes Beispiel“, lobt Stüber.
Das Fashionlabel verdient sein Geld eigentlich im Versandhandel. Trotzdem experimentieren die Hamburger mit dem Laden. Aus gutem Grund: Kundinnen, die sowohl vor Ort als auch im Internet bei Bonprix einkaufen, geben insgesamt mehr aus und bleiben der Marke eher treu, wie die Auswertung der Daten zeigt.
In dem Store ist fast alles anders als in normalen Modegeschäften. Wenn die Kundinnen ein Kleidungsstück auswählen, dann scannen sie einen Anhänger und lassen sich so ihre Auswahl in die Kabine kommen. „Das hat selbst beim größten Andrang noch nie länger als fünf Minuten gedauert“, beteuert Füchtenschnieder.
Was sie kaufen wollen, das verstauen die Frauen in einer Tasche, die Bonprix in der Kabine bereitstellt. Berührungslos lässt sich der Einkauf schließlich bezahlen, ohne an der Kasse anzustehen. „Das alles bringt einen absoluten Mehrwert für die Kundinnen“, behauptet Füchtenschnieder. Und es schlage sich in vielen relevanten Kennziffern nieder, von der Quadratmeter-Produktivität bis zur Umschlagsgeschwindigkeit der Ware.
Douglas baut die Filiale zum Kosmetik-Spa um
Der Händler Douglas kommt aus der anderen Richtung. Die ursprünglich stationäre Kette hat sich in den vergangenen Jahren mit hoher Konsequenz der Digitalisierung geöffnet. Das Ergebnis: Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen in Deutschland schon 40 Prozent seines Umsatzes online gemacht.
Der entscheidende Punkt dabei ist die Verknüpfung des Digitalgeschäfts mit der Filiale. Als die Läden noch geöffnet waren, kamen Influencer in die Läden. Im Lockdown hat Douglas Livestreams mit Produktberatungen aus den Filialen über Instagram gesendet. Kunden können online bestellte Produkte vor Ort abholen – oder sich Parfum aus der Filiale innerhalb von zwei Stunden nach Hause liefern lassen.
So eingebunden bekommt das Geschäft eine neue Funktion – auch für das Unternehmen. „Die Filiale wird zum Markenerlebnis und zum Showroom. Die Filiale ist unerlässlich wichtig, um Marken spürbar zu machen, das geht eben nicht mit Werbung allein“, sagt Douglas-Chefin Müller.

Neben der engen Verknüpfung von On- und Offline-Angeboten gibt es eine Beauty Lounge und die Douglas Beauty School.
„Kein Handelskonzept kann künftig noch rein stationär funktionieren“, sagt auch Expertin Stüber. Zumindest der Kontakt zu den Kunden und Kundinnen müsse auch digital laufen. „Wer da jetzt nicht den Fuß in der Tür hat, wird morgen nicht mehr dabei sein“, warnt sie.
Auch bei Douglas ist die Konsequenz klar: Es braucht künftig weniger stationäre Geschäfte, rund 500 von 2400 Filialen in Europa werden schließen. Die, die bleiben, werden aufgerüstet oder bekommen spezielle Formate. „In jedem neuen Flagshipstore bauen wir einen Kosmetik-Spa, der von Gesichtsbehandlungen über Make-up-Schulungen und Friseur alles bietet“, erklärt die Douglas-Chefin. „Das ist ein Erlebnispunkt, der Kunden langfristig bindet.“
Baumarkt Horst begeistert mit Workshops
Genau das sind die Stärken des stationären Handels, die er in der Konkurrenz zum Onlinehandel ausspielen könnte. Das innovative Baumarktkonzept „Horst“ aus Hamburg beispielweise stellt nicht die Produkte wie Hammer und Nägel in den Vordergrund. Das Start-up bietet dem Kunden Problemlösung und Workshops an.
Wenn dieser sich erst für ein Projekt begeistert, so die Überlegung, kauft er die Materialien ganz nebenbei mit. Und vergleicht dann auch nicht mehr woanders den Preis, weil ihm wichtiger ist, sofort anfangen zu können.
Doch genauso entscheidend wie Digitalisierung und Konzept ist dabei die Schulung des Personals. „Der Kunde muss ein gutes Gefühl bekommen im Laden – und das liegt auch stark an den Mitarbeitern“, erklärt Handelsexperte Reinartz. „Eigentlich sollte die Technik ja die Mitarbeiter entlasten, damit sie mehr Zeit für die Beratung haben. Aber in der Realität funktioniert das häufig nicht.“
Die Unternehmen müssten die Kunden viel direkter ansprechen und einbinden, erklärt Reinartz. Doch selbst das können Onlineplattformen mittlerweile häufig besser. „Die Heimwerkerplattform Manomano beispielsweise beschäftigt Hobby-Handwerker als Onlineberater für andere Kunden“, so Reinartz. „Da verschenkt der stationäre Handel noch viel Potenzial.“
Es gibt aber auch Händler, die genau von der engen und direkten Beziehung zu den Stammkunden leben. Das wird vielen erst jetzt im Lockdown so richtig bewusst.
Breuninger gestaltet das eigene Umfeld
Es sind Bilder, die an Sylvester oder Karneval erinnern, die der Modehaus-Konzern Breuninger zu Beginn der ersten Woche nach dem zweiten Lockdown verschickte. Glückliche Kunden und glückliche Mitarbeiter, Konfetti für die allerersten, die mit Termin wieder vor Ort einkaufen konnten.
Handel lebt eben von Begegnung, von Emotionen, die man online nur schlecht abbilden kann. Eine langfristige Vision für den Handel, die auch eine Zukunft für die Innenstädte bieten soll, muss also genau das bieten.
Während die Hilflosigkeit vieler kleinerer Händler und Städte groß ist, können die großen Häuser etwas mehr bewegen. Unternehmen wie Breuninger, die schon lange das Sterben der Innenstädte erkannt haben, sind besser vorbereitet auf die Zukunft.
Das Unternehmen betreibt elf Modehäuser, meist in bester Innenstadtlage, aber eher in mittleren Städten wie Karlsruhe, Sindelfingen oder Erfurt. Doch statt sich wie früher darauf zu beschränken, die Waren ins Regal zu legen, wird dort der Einkauf als Fest zelebriert – und auch als Problemlösung für die Kunden.
Das zeigt sich ganz besonders im Heimathaus in Stuttgart. Dort gab es vor Corona zahlreiche Events wie Champagnerempfänge oder Verkostungen. Im täglichen Geschäft locken heute bereits Zusatzservices, wie eine Kinderbetreuung und ein Kinderfriseur, mobile Kassen, Gaming-Zonen oder ein gemeinsam mit Würth ausgeklügelter Family Store in die Herrenabteilung.

Mit Kunst-Inszenierungen oder Champagner-Empfängen lockt der Händler Kunden in die City.
Und auch Shopping mit Termin ist für Breuninger nichts Neues. Nur wurde das vor Corona als besonderer VIP-Service für Topkunden geboten. So öffnete das Unternehmen schon mal nach offiziellem Ladenschluss die Tür exklusiv für vermögende Touristen aus Asien oder aus den Arabischen Emiraten.
Breuninger ist auch bewusst, dass der beste Laden nicht funktioniert, wenn er kein attraktives Umfeld hat. Deshalb hat das Unternehmen in Stuttgart das Gelände zwischen dem Haupthaus und der traditionsreichen Markthalle gekauft. Dort baute es 2017 für rund 200 Millionen Euro das Dorotheen-Quartier mit Luxusgeschäften wie Louis Vuitton, Buchläden wie Hugendubel und Einrichtungsläden wie Rivièra Maison.
Doch das Wichtigste: Das Unternehmen setzt nicht nur auf Handel. In den oberen Etagen sind hochpreisige Appartements arrangiert. So hat sich Breuninger seine eigene Umgebung gestaltet. Und es gibt neue Pläne.
Das Breuninger-Parkhaus soll abgerissen werden. Dort soll bis 2027 ein Film- und Medienhaus sowie ein nachhaltiger „Smart Mobility Hub“ entstehen. Neben Parkplätzen für normale Fahrzeuge gehören auch Drohnenparkplätze, Carsharing-Angebote und kleine Logistik-Hubs dazu.
Kommunen müssen ihr lokales Profil schärfen
Shopping allein bietet der Innenstadt keine Zukunft mehr, sagt auch Handelsexperte Reinartz. Es brauche den richtigen Mix aus Einkaufen, Freizeit und Wohnen, um die Kunden künftig noch zu begeistern. Doch er weiß auch, dass es nur wenige Unternehmen gibt, die so aktiv wie Breuninger in die Stadtplanung eingreifen können. „Da sind auch die Kommunen gefordert“, mahnt er. „Wenn wir immer mehr Leerstand haben, machen die Lücken auch die Innenstädte insgesamt unattraktiv.“
„Der Handel in der Breite, wie wir ihn heute kennen, wird nicht mehr möglich sein“, sagt Reinartz. Da müssten dann auch die Einkaufsbereiche in den Städten kompakter organisiert werden und Straßen, die heute noch Einkaufszeilen sind, beispielsweise zu Wohnstraßen werden.
„Was ist heute an den Fußgängerzonen denn inspirierend?“, fragt auch IFH-Expertin Stüber. Jede Stadt müsse ihr eigenes Gesicht finden und ihr lokales Profil schärfen. Heute sind die Bekleidungsgeschäfte noch für viele Städte wichtig und prägend. „Doch die stehen so unter Druck, dass sie diese Rolle künftig allein nicht mehr ausfüllen können“, so Stüber.
Auch hier rät sie, sich an der digitalen Konkurrenz zu orientieren. Stationäre Händler sollten sich die Influencer zum Vorbild nehmen, die es schaffen, in ihrer Community einen Hype um ihre Produkte auszulösen. „Die Kunden und Kundinnen wollen auch den Lifestyle mitkaufen.“ In der Innenstadt finden sie den heute eher selten.
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