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Lieferdienste Proteste der Gorillas-Kuriere wirken: Arbeitsbedingungen werden zum Wettbewerbsfaktor

Ärger mit Mitarbeitern und Anwohnern drückt die Gorillas-Bewertung vor der nächsten Finanzierungsrunde. Auch andere Lieferdienste entdecken die Bedeutung guten Geschäftsgebarens.
  • Simon Gehrmann
13.08.2021 Update: 13.08.2021 - 16:48 Uhr Kommentieren
Der Konflikt mit den eigenen Fahrern hat den Schnelllieferdienst Sympathiepunkte bei potenziellen Kunden gekostet. Quelle: dpa
Lieferdienst Gorillas

Der Konflikt mit den eigenen Fahrern hat den Schnelllieferdienst Sympathiepunkte bei potenziellen Kunden gekostet.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Die Arbeitsbedingungen der Fahrradkuriere werden zunehmend zum Wettbewerbsfaktor unter den Lebensmittellieferdiensten. Während sich der rasant wachsende Newcomer Gorillas noch immer mit Protesten von Mitarbeitern und Aktivisten herumschlägt, trumpfte der Platzhirsch Lieferando am Freitag mit der Meldung auf, die Verträge seiner Mitarbeiter künftig zu entfristen.

Deutschlandchef Alexander Linden erklärte: „Nun beenden wir als erster großer Anbieter die Befristung von Arbeitsverträgen, bauen damit unser Modell fairer Beschäftigungsverhältnisse weiter aus. Wir halten diese zusätzliche Absicherung für richtig und zeitgemäß, setzen damit einen neuen Branchenstandard.“ Schon zuvor habe der Dienst die Löhne in vielen Städten erhöht.

Mit der rasanten Expansion neuer Anbieter wie Gorillas und Flink steigt einerseits der Wettbewerb um die Kuriere. Andererseits werden sie auch zum Image-Faktor. Denn medienwirksame wilde Fahrerstreiks beim jungen Lieferdienst Gorillas in Berlin drohen das Image des Start-ups nachhaltig zu beschädigen.

Die Unternehmen werden kreativer und verbessern gezwungenermaßen die Bedingungen. So schalten die Anbieter inzwischen eifrig Stellenanzeigen in sozialen Medien und locken mit schnellen Jobzusagen. Bislang unterschieden sich die Bedingungen kaum: Üblich sind 10,50 Euro Stundenlohn und inzwischen stellen fast alle Lieferdienste E-Bikes. Einige werben damit, dass die Kuriere die Räder auch in der Freizeit nutzen dürfen, andere mit Musik in den Lägern und freundschaftlicher Atmosphäre.

Mit der aktuellen Ankündigung setzt sich Lieferando vor allem von Gorillas ab, wo es auch Streit um das Verfahren für die Betriebsratswahl gab. Lieferando zitiert in seiner Mitteilung demonstrativ den Gesamtbetriebsratschef Semih Yalcin: „Jetzt heißt es, gemeinsam weitere Ziele zu definieren und zu beweisen, dass wir auch in anderen Arbeitnehmerfragen besser sind als die Konkurrenz.“

Gorillas-Gründer Sümer gerät in die Kritik

Die Gefahr, die von Protesten ausgeht, ist längst nicht nur abstrakt. Sie werden zum echten Problem für die Erfolgsgeschichte von Kagan Sümer. Er hat Gorillas 2020 gegründet – und beeindruckte mit rasantem Wachstum und einer Bewertung von über einer Milliarde Euro in der letzten Finanzierungsrunde. Damit galt Gorillas als eines der aussichtsreichsten Einhörner der europäischen Start-up-Szene. Proteste von Mitarbeitern und Anwohnern konnte das Unternehmen zunächst als lokales Berliner Problem abhandeln.

Doch jetzt gerät Sümer wegen der Anlaufprobleme offenbar auch von Investorenseite unter Druck. Denn er bekommt die avisierte nächste Finanzierungsrunde wohl nicht wie geplant über die Bühne. Eine Bewertung von bis zu sechs Milliarden Dollar wollte Gorillas laut Berichten erreichen. Doch nun meldet die britische „Financial Times“, Sümer müsse seine Ansprüche deutlich herunterschrauben.

Zuerst gefeiert, inzwischen immer öfter kritisiert. Foto: Gorillas
Gorillas-CEO Kagan Sümer

Zuerst gefeiert, inzwischen immer öfter kritisiert.

Foto: Gorillas

Statt weiter in Eigenregie rasant zu wachsen, könnte das US-Vorbild Doordash das Kommando übernehmen. Die Amerikaner könnten demnach zu einer Bewertung von 2,5 Milliarden Dollar einsteigen. Immerhin wollten Bestandsinvestoren zu der Bewertung mitziehen. Bis zum Monatsende könnte es laut dem Bericht bereits Klarheit geben.

Unklar ist, was das für die Position von Sümer bedeutet. Der Gründer, der vor dem Start von Gorillas kaum bekannt war, ist in den vergangenen Wochen auch intern in die Kritik geraten für seinen Umgang mit den Wachstumsschmerzen im Unternehmen. Beim Berliner Lieferdienst machen sich diese vor allem durch Proteste sowohl von Angestellten – insgesamt 10.000 Festangestellte beschäftigt Gorillas – als auch Anwohnern bemerkbar.

Angestellte des Start-ups gingen im Juni nach der Entlassung eines Fahrers aus Solidarität mit ihm in einen wilden Streik und blockierten ein Lager in Berlin-Mitte. Dies rief Kritik an Gorillas und den Arbeitsbedingungen der Fahrer hervor. Die Eskalation ging so weit, dass Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) seine „volle Unterstützung“ erklärte und die Fahrer sich gar mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) trafen.

Der Bundesarbeitsminister erkundigte sich unweit eines Gorillas-Lagers über die Arbeitsbedingungen. Quelle: dpa
Hubertus Heil (SPD) mit den Beschäftigten vom Lieferdienst Gorillas

Der Bundesarbeitsminister erkundigte sich unweit eines Gorillas-Lagers über die Arbeitsbedingungen.

(Foto: dpa)

Auch bei der Gründung eines Betriebsrats gab es Probleme. Dabei wollte CEO Sümer die Fahrradkuriere zu einer „Community“ machen und das Unternehmen positionierte sich mit seinen fest angestellten „Ridern“ öffentlichkeitswirksam als Gegenmodell zum stark kritisierten Modell der Gig-Economy, gegen die etwa Fahrer von Delivery Hero in Südamerika und Asien auf die Straße gingen.

Sümer kündigte zur Besänftigung seiner Mitarbeiter eine Fahrradtour zu allen Standorten an – eine Aktion, die bis heute nicht stattfand. Sein Unternehmen hat allerdings als Antwort auf die Proteste etwa eine Million Euro an die Lieferfahrer als Bonus ausgeschüttet, einen Aktionsplan für verbesserte Arbeitsbedingungen für die Rider erstellt sowie eine Pressemitteilung mit einem erneuten Bekenntnis zum Gegenmodell der Gig-Economy veröffentlicht.

„Wir sind offen für Dialog und Kritik und führen daher Gespräche mit Fahrern, unter anderem in Fokusgruppen. Die Mehrheit unserer Fahrer ist zufrieden“, sagte Deutschlandchef Alexander Brunst dem Handelsblatt. Zudem seien bereits 400 ehemalige Fahrer in andere, oft besser bezahlte Funktionen gewechselt.

Arbeitsbedingungen, Gehalt und Zufriedenheit – laut Gorillas ist diese unter den Angestellten trotz Protesten sehr hoch – sollen demnach in Zukunft eine umso wichtigere Rolle spielen, wenn es darum geht, neue Fahrer anzuwerben. Gorillas ist bedingt durch das stetige Wachstum durchgehend auf der Suche nach neuen Mitarbeitern.

Um die wachsende Konkurrenz, vor allem bestehend aus Flink und Getir, ist es im Gegensatz zu Gorillas überraschend ruhig. Größere Mitarbeiterproteste gab es hier nicht – trotz ähnlicher Arbeitsbedingungen. Auch die Wettbewerber betonen, nicht Teil der Gig-Economy zu sein und mit einem Stundenlohn über Mindestlohnniveau, Festanstellung und flexibler Schichtarbeit gute Arbeitsbedingungen für die Rider zu schaffen. Ähnliches hatte Gorillas ebenfalls versprochen, geriet nun allerdings trotzdem in die Kritik.

Das liegt womöglich auch an dem hohen Wachstumstempo, das die Mitarbeiter nicht nur auf den Fahrrädern stark fordert. Intern stand in der Berliner Zentrale auch das Geschäftsgebaren in der Kritik. Sümer startete mit zugekaufter Software, die – typisch für ein Start-up – erst nach und nach um wichtige Bausteine wie Inventur-Management ergänzt wird.

Nachbarn sind erbost

Doch nicht nur mit seinen Mitarbeitern hatte Gorillas Probleme. Auch Anwohner protestierten gegen das Unternehmen. Gorillas Lieferversprechen innerhalb von zehn Minuten basiert auf einem System aus einer großen Anzahl an dezentralen Lagern. Anwohner in Berlin, Hamburg und München beschweren sich nun zunehmend über diese Lager und die Verkehrsprobleme, die diese verursachen. Dadurch, dass die Logistikzentren des Supermarkt-Lieferdienstes in Wohngebieten eingerichtet werden, um möglichst schnell beim Kunden zu sein, ist die Infrastruktur an diesen Orten meist nicht für bis zu drei Lieferungen durch Transporter am Tag geschaffen.

So beschweren sich beispielsweise Anwohner in München-Maxvorstadt, dass Busse und Rettungswagen wegen parkender oder rangierender Lieferwagen nicht mehr durchkämen. Die PR-Abteilung des Unternehmens betont, Gorillas sehe sich als Teil der Nachbarschaft. Man versuche proaktiv auf die Nachbarn zuzugehen.

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Bisher macht sich Gorillas in den Nachbarschaften allerdings keine Freunde und muss nun auch weitere Regulierung und Probleme mit Behörden erwarten. In Berlin hat der Senat ein Ermittlungsverfahren gegen Gorillas eingeleitet aufgrund von Verstößen gegen das Arbeitsschutzgesetz an mindestens 13 Standorten in der Hauptstadt. In München hat der Bezirksausschuss Maxvorstadt einen Beschluss verabschiedet, den Lieferverkehr in der betroffenen Lothstraße umzuleiten.

Auch bei potenziellen Kunden verschlechtert sich jedoch das Bild zunehmend: Eine repräsentative Studie von Civey im Auftrag des Tagesspiegels zeigt, dass nur 6,2 Prozent der Befragten ein positives Bild von Gorillas haben, 54,5 Prozent haben sogar ein negatives Bild des Berliner Start-ups. Vor allem die Proteste der Angestellten haben das Bild von Gorillas in den Augen vieler Menschen nachhaltig verändert: 62 Prozent der Befragten geben an, ihr Eindruck von Gorillas habe sich durch die Proteste verschlechtert.

Inwiefern der Imageschaden und die Proteste mit der neuen Bewertung zusammenhängen, wollte Gorillas auf Anfrage nicht kommentieren. Man äußere sich nicht zu laufenden Finanzierungsrunden, hieß es vonseiten der PR-Stelle des Unternehmens.

Die Zurückhaltung hat offenbar Gründe. Bislang läuft in der Außendarstellung nicht alles glücklich. Sümer musste nach entsprechenden Gerüchten in einem Interview mit „The Information“ eingestehen, früher leistungssteigernde Mittel eingenommen zu haben. Das, so beteuerte er, liege allerdings in der Vergangenheit.

Mitarbeit: Christoph Kapalschinski

Mehr: Innovation – Lieferdienste sind die Zukunft des Supermarkts

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