Luftfahrt Airlines wetteifern um das Geschäft mit Privatkunden – Doch der Erfolg ist fraglich

Das Management von Europas größter Airline-Gruppe setzt bei der Erholung der Nachfrage stark auf Privatkunden und hat dazu eine neue Fluggesellschaft gegründet.
Frankfurt, London Bei Michael O’Leary ist die alte Aggressivität zurück. „Wir werden in den kommenden vier Jahren nicht nur schneller als jede andere europäische Airline wachsen, sondern auch unseren Kostenvorsprung ausbauen“, sagte der Chef der irischen Billigfluggesellschaft Ryanair am Montag bei der Vorstellung aktueller Quartalszahlen. Zwischen 90 und 100 Millionen Passagiere will er im laufenden Jahr befördern – immerhin zwei Drittel des Niveaus vor Corona. 2026 sollen es dann 200 Millionen Fluggäste sein.
Der Wettlauf um die Privatreisenden erreicht einen neuen Höhepunkt. Am vergangenen Wochenende startete der erste Jet des neuen Lufthansa-Ablegers Eurowings Discover Richtung Mombasa und Sansibar. Drei Langstreckenflugzeuge sollen ab Frankfurt beliebte Urlaubsziele ansteuern. Im Mai 2022 werden fünf Mittelstrecken-Jets in München dazukommen, später ergänzt um weitere Maschinen für die Langstrecke.
Eurowings selbst – rechtlich von Discover getrennt – hat ebenfalls auf Expansion geschaltet. In der kommenden Wintersaison sollen dann vier neue Ziele in Skandinavien angeflogen werden. Ende Oktober geht mit zunächst zwei A320 und einer neuen Basis die tschechische Hauptstadt Prag an den Start.
Airlinechef Jens Bischof setzt um, was er im Mai angekündigt hat: „Viele Strecken und Märkte im europäischen Luftverkehr werden jetzt neu verteilt, da werden wir Chancen konsequent wahrnehmen.“
Es gilt, schnell zu sein. Denn die lupenreinen Billiganbieter machen Druck. Ryanair hat die ersten drei neuen Boeing 737 Max in Betrieb genommen. Neun weitere sollen im Laufe des Sommers dazukommen. Ein Jahr später werden weitere 60 Max in der Flotte sein, bestellt hat O’Leary 210 Maschinen. Die ungarische Wizz Air – Gründer und CEO Jozsef Varadi gilt in der Branche als ebenbürtiger Rivale von O’Leary – setzt ebenfalls auf Expansion, etwa in Italien.

„Wir werden in den kommenden vier Jahren nicht nur schneller als jede andere europäische Airline wachsen, sondern auch unseren Kostenvorsprung ausbauen.“
Alle Manager treibt ein Gedanke an: Das Geschäft mit Businessreisen läuft nach der Pandemie nur schleppend an und dürfte sich auch auf Dauer nicht komplett erholen. Daher sind es Urlaubstrips oder Besuche von Familienmitgliedern im Ausland, die der schwer gebeutelten Branche die Chance auf Wachstum ermöglichen.
Kurzfristige Reiserestriktionen verunsichern
Doch ob die große Wette aufgehen wird, ist längst nicht sicher. Hatten die Airlinemanager noch im Frühjahr einen von Nachholeffekten getriebenen Reiseboom prognostiziert, mussten sie seitdem einige Rückschläge verkraften. Erst wurde Portugal zum Hochrisikogebiet, zuletzt Spanien und die Niederlande.
„So was schlägt sofort auf die Buchungszahlen durch“, sagt ein Manager einer deutschen Airline. Hinzu kommen neue Stornierungswellen. Nicht nur der Geschäftsreisemarkt wurde durch die Pandemie verändert, auch Privatreisende buchen anders. Einerseits ist die Sehnsucht nach Urlaub in der Ferne gestiegen, anderseits aber auch die Sorge, am Ende doch in Quarantäne zu landen.
Die Folge beschrieb Ryanair-Chef O’Leary am Montag. Die Nachfrage ziehe zwar an, müsse aber noch mit niedrigen Preisen stimuliert werden. Am Montag lockte die Airline zum Beispiel mit 30 Prozent Rabatt auf 300.000 Sitzplätze. Wer bis Mittwoch einen Flug im August bucht, kann das Ticket je nach Ziel für den Schnäppchenpreis von 14,99 Euro ergattern.
Doch der Erfolg solcher Aktionen ist überschaubar. Ryanair gibt den sogenannten Ladefaktor, quasi die Auslastung der Jets, aktuell mit 73 Prozent an, für Billiganbieter ein niedriger Wert. Ein Problem, das auch Easyjet-Chef Johan Lundgren kennt.
Es komme nicht darauf an, wie viel von seinem Flugplan man fliege, sondern wie profitabel, sagte er kürzlich. Auch Lufthansa kann mit dem Angebot zwar die Kosten decken, ein Gewinn bleibt auf den allermeisten Strecken bislang aber nicht hängen.
Nach wie vor ist die wirtschaftliche Situation der Airlines deshalb angespannt. Ryanair meldete am Montag für das erste Quartal des Geschäftsjahrs einen Nettoverlust von 273 Millionen Euro, 47 Prozent mehr als vor einem Jahr, als die Pandemie bereits wütete. Dabei ist der Umsatz von 125 auf 371 Millionen Euro gestiegen. Allerdings verfügte die Airline Ende des abgelaufenen Quartals über Barreserven in Höhe von gut vier Milliarden Euro.
Ob und wann sich diese Situation ändern wird, ist offen. „Die finalen Ergebnisse hängen davon ab, wie sich die Profite im Sommer entwickeln werden und wie die Verluste in der Wintersaison begrenzt werden können“, schreibt Daniel Röska von Bernstein Research zu den aktuellen Ryanair-Zahlen.
O’Leary setzt auf die Kostenvorteile von Ryanair. So hat das Management des Billigfliegers die Krise dazu genutzt, die Gehälter von Piloten und Crews noch weiter zu drücken als bisher schon. Auch wurden bessere Konditionen mit Flughäfen ausgehandelt. Die Kostenbasis von Ryanair sei 30 Prozent niedriger als bei Wizz Air und 70 Prozent niedriger als bei Easyjet, behauptet O’Leary.
Auch die Effekte durch die Flottenmodernisierung mit der 737 Max helfen. Der Ryanair-Chef bezeichnet den Jet schon lange als „Gamechanger“. Ein 16 Prozent geringerer Kerosinverbrauch, vier Prozent mehr Sitzplätze – das soll künftig den Profit absichern.
Für Wettbewerber wie Eurowings verheißt das wenig Gutes. Zwar glaubt Airlinechef Bischof, dass die Kunden angesichts der wachsenden Bedeutung von Themen wie Sicherheit und Gesundheit stärker auf die Qualität des Angebots und weniger auf den Ticketpreis achten werden. Doch eine Garantie dafür gibt es nicht.
Klimadebatte könnte auch Folgen für Privatreisen haben
Zumal ein anderes Thema wie ein Damoklesschwert über der Branche schwebt. Die Flutkatastrophe in Deutschland und einigen Nachbarstaaten hat drastisch vor Augen geführt, wie groß der Handlungsbedarf beim Thema Klimaschutz ist. Abgesehen von regulatorischen Maßnahmen wie einer Kerosinsteuer oder einem verschärften Emissionsrechtehandel, die die EU plant, gibt es noch eine ganz andere Frage: Inwieweit werden die Menschen ihr künftiges Reiseverhalten überdenken und gegebenenfalls ändern?
Eine eindeutige Antwort darauf ist derzeit kaum möglich. Es ist aber naheliegend, dass nicht nur die Firmen bei den Geschäftsflügen künftig restriktiver sein werden. Auch die eine oder andere Privatreise könnte auf Dauer unterlassen werden.
Die Airlines versuchen aus der schwierigen Situation das Beste zu machen. Easyjet hat zum Beispiel Kapazitäten von Großbritannien auf das europäische Festland verlegt, wo die Corona-Reisevorschriften weniger restriktiv sind als in Heimat. 60 Prozent der Easyjet-Flüge fänden nun auf dem europäischen Festland statt, sagte Lundgren vor einigen Tagen. Bisher waren es 50 Prozent gewesen.
Auch bietet Easyjet mehr Inlandsflüge in Großbritannien, Frankreich und Italien an, um den Einbruch bei internationalen Reisen auszugleichen. Man passe sich schnell und flexibel der Nachfrage an, sagte Lundgren.

Der Ryanair-Rivale hat in der Krise bisher vorsichtiger agiert als sein Kontrahent.
Der Ryanair-Rivale hat in der Krise bisher vorsichtiger agiert als sein Kontrahent. Im vergangenen Quartal flog die Airline nur 17 Prozent ihres Flugplans aus der Vor-Corona-Zeit. Doch nun wird das Angebot massiv ausgebaut, auch in Berlin. Im laufenden Quartal sollen wieder 60 Prozent des Vorkrisenflugplans erreicht werden.
Gleichzeitig musste das Unternehmen vor Kurzem für das abgelaufene Quartal einen Vorsteuerverlust von 318 Millionen Pfund verkünden. In den ersten drei Quartalen des Fiskaljahres stieg das Minus damit auf mehr als eine Milliarde Pfund.
Wie sich die Expansion auf die Bilanz auswirken wird, ist offen. Analysten erwarten, dass die Airline im laufenden Quartal den Break-even erreicht und das Geschäftsjahr mit einem Verlust von einer Milliarde Pfund abschließt. Es wäre das zweite Verlustjahr in Folge.
Die Airlinemanager selbst wagen bisher keine Prognosen für das gesamte Geschäftsjahr. Das sei angesichts der Unsicherheiten weiterhin unmöglich, heißt es etwa bei Ryanair.
Mehr: Airline-Aktien: Warum Ryanair und andere Billigflieger besser durch die Krise kommen
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