Chemieindustrie Weltgrößte Anlage in Marl: Evonik rüstet sich für den Boom im 3D-Druck

Zur Einweihung kamen (v.li.) IG-BCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, Evonik-CEO Christian Kullmann und Evonik-Aufsichtsratschef Bernd Tönjes.
Düsseldorf Die Corona-Pandemie hat die bisher größte Investition des Chemiekonzerns Evonik in Deutschland nicht gebremst: Pünktlich nach zwei Jahren Bauzeit sind die Arbeiten an einer neuen Mega-Anlage in Marl im nördlichen Ruhrgebiet abgeschlossen. Von dem am Donnerstag eingeweihten Werk sollen laut Evonik gleich zwei wichtige Signale ausgehen.
Etwa für den Industriestandort Deutschland: Der Essener Konzern startet in Marl bald die weltgrößte Verbundproduktion für den Kunststoff Polyamid-12. Rund eine halbe Milliarde Euro hat die Anlage gekostet. Investitionen in solcher Größe werden heute in der Chemieindustrie eher in Asien oder im Nahen Osten getätigt.
Doch der Ruhrgebietsstandort von Evonik punktete im internationalen Wettbewerb mit der Verbundfertigung, die die Belieferung mit Vorprodukten sichert, und dem Know-how der Mitarbeiter. Die Politik müsse alles dafür tun, dass solche Investitionen in Deutschland bleiben, sagte NRW-Ministerpräsident und Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet bei der Eröffnung.
Die Mega-Anlage hat aber auch interne Strahlkraft: Evonik verlagert sein Geschäft immer mehr in Spezialanwendungen mit lukrativen Gewinnaussichten. Polyamid-12 wird traditionell für Brems- und Benzinleitungen im Autobau sowie in der Metallbeschichtung eingesetzt. Mittlerweile wird PA-12 auch als Ersatz für Stahl im Leitungsbau verwendet.
Evonik rüstet sich mit der Investition vor allem für den Boom-Markt 3D-Druck und könnte sich dort als einer der größten Materialzulieferer positionieren. In Pulverform ist PA-12 einer der meistverwendeten Stoffe bei der industriellen Fertigung von Hightech-Bauteilen im 3D-Druck. Evonik arbeitet dabei mit Druckspezialisten wie EOS oder HP zusammen.
3D-Druck: Vorteilhaft und rentabel
Die additive Fertigung, wie der industrielle 3D-Druck auch genannt wird, erfreut sich schon seit Jahren steigender Beliebtheit in zahlreichen Branchen. Denn für Entwickler bietet die Technologie eine nie da gewesene Flexibilität – und ist im Sinne der Werkstoffeffizienz auch vielfach deutlich nachhaltiger als konventionelle Produktionsverfahren.
Anders als beispielsweise beim Fräsen oder Bohren, wo das Material von einem Werkstoffblock abgetragen wird, wird das Bauteil im 3D-Druck schichtweise aufgebaut. Dadurch lassen sich auch ungewöhnliche Formen wie krumme Bohrlöcher oder andere Hohlstrukturen realisieren, die in der klassischen Fertigung bislang nicht möglich waren.
Dabei zeigt sich das produzierende Gewerbe sehr experimentierfreudig. Zwar stagnierten die Anlagenverkäufe pandemiebedingt im vergangenen Jahr, wie eine Auswertung der Beratungsfirma AM Power zeigt. Demnach stiegen die globalen Umsätze mit der Technologie im Jahr 2020 um 0,5 Prozent auf rund 7,2 Milliarden Euro.

Investitionen in dieser Größe werden heute in der Chemieindustrie eher in Asien oder im Nahen Osten getätigt.
Bis 2025 allerdings, so die Prognose, könnte das Marktvolumen auf 17,8 Milliarden Euro steigen. Dabei stehen insbesondere Branchen wie die Raumfahrt oder der Flugzeugbau im Fokus, in denen häufig auch individualisierte Kleinserien-Bauteile zum Einsatz kommen, bei denen die konventionelle Produktion aufwendig und damit teuer ist.
Bei Evonik soll der 3D-Druck dazu beitragen, dass die Renditen weiter nach oben gehen. Vom gesamten Geschäft mit Polyamid-12 verspricht sich der Konzern mittelfristig einen dauerhaften Beitrag zum Cashflow im dreistelligen Millionenbereich.
Immer mehr Werkstoffhersteller wollen im 3D-Druck mitmischen
Zur allgemeinen Verbreitung der Technologie trägt auch bei, dass sie heute mit vielen verschiedenen Materialien funktioniert – weshalb sich auch zahlreiche Werkstoffhersteller immer stärker für den Markt interessieren. Ein Beispiel ist der finnische Edelstahlhersteller Outokumpu, der in die Stahlstaubproduktion einsteigen will und kürzlich einen Auftrag für den Bau einer entsprechenden Produktionsanlage in Krefeld erteilt hat.
Geliefert wird die Anlage von der Düsseldorfer SMS Group, die in den vergangenen Jahren ein Verfahren entwickelt hat, um den für den metallischen 3D-Druck benötigten Stahlstaub zu produzieren. 2022 soll der Standort den Betrieb aufnehmen. Geplant ist, pro Jahr rund 330 Tonnen Edelstahl-Pulver zu produzieren.
Neben etablierten Industrieunternehmen mischen auch inzwischen groß gewordene Start-ups auf dem Feld mit. Eines davon ist der US-Hersteller Formlabs, der nach der jüngsten Finanzierungsrunde im Mai mittlerweile eine Bewertung von zwei Milliarden Dollar aufweist. Zu den Kunden zählen Dentallabors, aber auch Sportartikelhersteller und der Konsumgüterhersteller Gillette, der seine Kunden dank der Technologie mit individualisierten Rasierern beliefert.
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