Industriegase Linde wird auf Effizienz getrimmt

Der Amerikaner will die Rendite des Industriegase-Konzerns weiter steigern.
München Die schicke Firmenzentrale in der Münchener Innenstadt unweit des Viktualienmarkts hat Linde zum Jahreswechsel aufgegeben. Effizienz ist seit der Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair alles. Vorstandschef Steve Angel, der den gemeinsamen Konzern führt, trimmt das Unternehmen gnadenlos auf Rendite. Und so legte der US-Amerikaner bei seinem ersten Deutschlandbesuch in diesem Jahr die Jahreszahlen am Produktionsstandort Pullach vor, wo die deutsche Verwaltung Unterschlupf fand.
„Guten Tag and welcome to Pullach“, sagte Angel zur Begrüßung, und erinnerte an die lange Historie von Linde. Pullach sei mit weitem Abstand der größte Standort weltweit. Heute sei der neue Konzern das zweitwertvollste Unternehmen im Dax und gehöre zu den 100 wertvollsten Unternehmen der Welt.
Mit der Bilanz, die Angel dann vorlegte, wurde er seinem Ruf als Effizienzverbesserer gerecht. Der Umsatz der neuen Linde plc legte auf vergleichbarer Basis um vier Prozent auf 28,2 Milliarden Dollar zu. Für ihn, der viel von „operativer Exzellenz“ sprach, wohl noch wichtiger: Der Gewinn wuchs überproportional. Bereinigt um Sondereffekte stieg der operative Gewinn um 14 Prozent auf 5,3 Milliarden Dollar, Das entsprach einer Umsatzrendite von 18,7 Prozent nach 17,1 Prozent im Jahr zuvor. Der Gewinn je Aktie legte sogar um fast ein Viertel auf 7,34 Dollar zu.
Zum Vergleich: Beim Konkurrenten Air Liquide, die Nummer zwei in der Welt, waren die Erlöse im vergangenen Jahr um 4,3 Prozent auf knapp 22 Milliarden Euro gestiegen. Zum Umsatzplus trug auch die Übernahme von Tech Air bei, einem US-Händler von Industriegasen und Schweißtechnik, beigetragen. Auf vergleichbarer Basis betrug das Wachstum 3,2 Prozent. Das operative Ergebnis der Franzosen verbesserte sich um vergleichbar 7,5 Prozent auf 3,8 Milliarden Euro.
Mit Blick auf die Konjunkturabschwächung sagte Angel, das Geschäftsmodell von Linde sei robust. Man profitiere vom hohen Auftragsbestand und dem Trend zu erneuerbaren Energien. Zudem ergäben sich durch die Fusion Wachstumssynergien. „Eins plus eins ist mehr als zwei.“ Die konjunkturellen Aussichten für 2020 seien ungewiss. Doch nach der Integrationsphase wolle sich Linde noch stärker auf das Thema Wachstum konzentrieren.
Linde als Tagessieger im Dax
Linde und Praxair hatten sich im vergangenen Jahr zum weltgrößten Gasekonzern zusammengeschlossen. Angel führt den Konzern seither operativ aus den USA heraus, der offizielle Firmensitz wiederum ist in Irland. Der deutsche Traditionskonzern ist ein multinationales Unternehmen geworden.
Bislang lief die Integration erstaunlich geräuschlos. Er sei erfreut, wie gut das Team die zwei hochklassigen Unternehmen in relativ kurzer Zeit integriert habe, sagte Angel. Der Gewinn je Aktie sei mitten in diesem Prozess vier Quartale in Folge prozentual zweistellig gesteigert worden. Und so soll es auch weitergehen, für 2020 stellte Angel einen Gewinn je Aktie von 8,00 bis 8,25 Dollar in Aussicht. Mit einem Plus von zeitweise mehr als drei Prozent auf 205 Euro war die Linde-Aktie am Donnerstag zeitweise Tagessieger im Dax.
Angels Talente als Kostendrücker und Effizienzverbesserer sind auch im neuen Konzern unumstritten. „Er schreitet sehr fokussiert voran“, sagte ein Insider. Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle hatte die Fusion mit dem Konkurrenten schließlich auch betrieben, weil er sich Angel als CEO von Linde wünschte. Als Chairman achtet Reitzle laut Industriekreisen aber stark darauf, dass bei aller Fokussierung aufs Kerngeschäft auch die großen Zukunftstrends nicht verpasst werden. Da brauche Angel manchmal einen Anstoß.
Wasserstoff ist zentraler Bestandteil der Strategie
Unter Wolfgang Reitzle und auch unter seinem Nachfolger Wolfgang Büchele hatte sich Linde unter anderem bei Wasserstofftankstellen engagiert, betrieb zeitweise auch exotischere Geschäfte wie Reinigungen und Wasserstoffauto-Carsharing und wollte Schiffe mitentwickeln, auf denen Erdgas verflüssigt wird. Das Carsharing hat Linde aufgegeben, die Schiffsaktivitäten abgegeben. Nicht alle Aktivitäten waren als von Erfolg gekrönt.
Auch Angel weiß aber, dass die Investoren mehr wollen als nur Renditeverbesserungen. Beim Thema Wasserstoff gehöre Linde zu den führenden Akteuren in der Welt. Und Wasserstoff sei elementar im Kampf gegen den Klimawandel. Zudem verkündete er für den Konzern neue Nachhaltigkeitsziele. Die Emission von Treibhausgasen soll bis 2028 um 35 Prozent reduziert werden.
Bei Linde in Pullach haben sich inzwischen die meisten mit der Fusion und der Führung aus den USA heraus arrangiert. Die IG Metall aber sieht ihre Befürchtungen bestätigt. „Das kurzfristige Shareholder-Denken ist an die Stelle einer nachhaltigen, strategischen Unternehmensplanung getreten“, sagte der bayerische IG-Metall-Chef Johann Horn der Nachrichtenagentur dpa. Im Vordergrund stehe die Senkung von Fixkosten, Aufträge würden weltweit im Konzern verschoben. „Die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland stehen unter großem Druck, dass Produkte und Aufträge an den Standorten bleiben.“
Linde beschäftigt 80.000 Mitarbeiter, davon noch rund 7000 in Deutschland. Laut früheren Angaben der Gewerkschaft will Linde in Deutschland bis Ende nächsten Jahres nochmals 850 Stellen abbauen. Damit sei Deutschland vom Stellenabbau besonders betroffen, meinte Horn. „Angesichts des neuen Shareholder-Stils müssen wir befürchten, dass das noch nicht das Ende der Abbaupläne ist. Linde droht mittelfristig ein Kahlschlag.“ Angel bestätigte, dass es Anpassungen geben werde, wollte aber keine Zahl nennen.
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