US-Automarkt Sechs Jahre nach Dieselgate: VW startet mit dem ID.4 den Neuanfang in den USA

Der ID.4 ist das erste vollelektrische Auto, das VW in den USA auf den Markt bringt.
Chattanooga In der großen weißen Fabrikhalle am Fuße der Smokey Mountains werden die Roboter bereits für ihren Einsatz vorbereitet. Riesige gelbe Kraken-Arme schwenken durch die Luft und schrauben unsichtbare Wagen zusammen, nur wenige Hundert Meter entfernt von der fast fertigen neuen Batteriefabrik. Ab Mitte des kommenden Jahres sollen hier im Süden der USA, wo Volkswagen bereits den Atlas und den Passat herstellt, die elektrischen SUVs des Modells ID.4 vom Band rollen. In einfacher Version und als Allradantrieb.
Der Zeitpunkt der Ankündigung ist bewusst gewählt: Vor exakt sechs Jahren deckten die US-Behörden den Dieselskandal auf, der VW den guten Ruf und milliardenschwere Strafzahlungen kostete. Während in Deutschland in diesen Tagen der Betrugsprozess zum Dieselskandal beginnt, versucht sich VW in den USA als Treiber der Elektromobilität zu positionieren.
Um die Amerikaner für den neuen „All Wheel Drive“ zu begeistern, hat VW diese Woche Fachjournalisten und Autoexperten nach Chattanooga eingeladen. Mit einer 180-Meilen-Spritztour über die Landstraßen in den Smokey Mountains wollen die Deutschen zeigen, was ihr Elektro-SUV kann: rund 400 Kilometer ohne Aufladen, kräftige Beschleunigung und jede Menge Platz, so, wie es die Amerikaner lieben. Die Bewerter von JD Power sind ebenso vor Ort wie die legendäre Rennfahrerin und Rallye-Dakar-Gewinnerin Sue Mead.
Der ID.4 ist das erste vollelektrische Auto, das VW in den USA auf den Markt bringt. Seit März ist der Stromer hier in der importierten Originalversion bei den Händlern zu kaufen und demnächst auch mit Allradantrieb. 800 Millionen Dollar hat Volkswagen in die zwei Fabriken für Batterien und für den ID.4 investiert, der bislang nur in Sachsen gebaut wird. Mit der Produktion in Tennessee greift Volkswagen Tesla auf seinem Heimatmarkt an. Umgekehrt baut Tesla eine Fabrik in Brandenburg, die Ende des Jahres mit dem Model Y ebenfalls ein Elektro-SUV produzieren wird.
Für VW soll der ID.4 nur der Auftakt der Elektrooffensive sein. US-CEO Scott Keogh liebäugelt mit einem elektrischen Pritschenwagen, einem bei Amerikanern besonders beliebten Gefährt. „Ich denke, ein elektrischer Pick-up wäre eine fantastische Idee! Aber es gibt nichts, was wir zum jetzigen Zeitpunkt bestätigen können“, sagt Keogh dem Handelsblatt.
„Für einen elektrischen Pick-up wäre es jetzt ein perfekter Zeitpunkt“
Pick-ups sind für die Autokonzerne in den USA ein gutes Geschäft. „Sie machen 40 Prozent der Gewinne aus“, sagt er. Und das, obwohl ihr Marktanteil nur bei einem Fünftel liegt. „Für einen elektrischen Pick-up wäre es jetzt auch ein perfekter Zeitpunkt, weil alles im Umbruch ist“, meint Keogh.
Volkswagen konzentriert sich aber erst einmal auf die SUVs – ob elektrisch oder mit Benzin. Dank der neuen Produktpalette läuft das Geschäft derzeit sehr gut in den USA. Zum ersten Mal seit Langem wird VW auch auf dem US-Markt Gewinne schreiben. „Wir werden dieses Jahr profitabel sein. Das ist 100 Prozent sicher“, sagt Keogh.
Grund für das gute Geschäft sei vor allem die neue Produktpalette mit SUVs wie dem Atlas, dem Tao und dem Tiguan, meint Keogh. Tatsächlich machen SUVs bei Volkswagen in den USA heute 71 Prozent der verkauften Autos aus. Auch das Interesse an dem neuen Allrad-ID.4 ist groß: Laut Volkswagen gibt es bereits 10.000 Bestellungen in den USA.
Das wäre schon ein Erfolg, denn Volkswagen hat in der Vergangenheit nicht immer den Geschmack der Kundschaft getroffen. Konnten der Käfer und der Bulli die Amerikaner noch bis in die 70er-Jahre begeistern, so war die Produktion des Golf in den USA ein Flop, VW musste die Fabrik schließen.

Bislang ist der VW Atlas Tanoak nur ein Konzeptauto – US-Chef Keogh träumt aber bereits von einem Elektro-Pick-up.
Erst 2011 meldete sich der Konzern mit dem neuen Werk in Chattanooga zurück, aber wieder mit dem falschen Angang. Statt der beliebten SUVs bauten die Wolfsburger den biederen Passat und setzten als Antrieb auf den Diesel. Der schaffte aber die Abgasvorschriften in den USA nicht. Statt den Fehler einzugestehen, entschieden sich die Ingenieure für die Betrugssoftware – und steuerten damit den VW-Konzern in die größte Krise der Firmengeschichte.
Hat VW also das schlechte Image aus dem Dieselskandal hinter sich gelassen? „Amerikaner verzeihen Fehler“, beobachtet Bernd Schmitt, Marketing-Professor an der renommierten Columbia Business School.
„Die Menschen vergessen den Skandal nicht unbedingt. Aber sie fokussieren sich auf andere Dinge wie zum Beispiel den Preis“, sagt Schmitt. Und was das Preis-Leistungs-Verhältnis angeht, könne VW einiges bieten. Er würde dem Management raten, möglichst wenig über den Skandal zu sprechen und auf gute, originelle Werbung oder auch Namen zu setzen, um wieder Emotionen wie beim VW-Bus oder dem Käfer zu wecken. „Sie haben so viel Geschichte, auf die sie zurückgreifen können. Das sollten sie nutzen“, sagt der Professor.
Das sieht Keogh ähnlich. Damit die Comeback-Story von Volkswagen wirklich zum Erfolg werden kann, brauche es mehr als nur eine gute Compliance und ordentliche Zahlen. „Der Trick einer Marke besteht darin, geliebt zu werden“, erklärt Keogh. „Wir müssen die Magie des Beetle zurückbringen“, sagt er mit Blick auf den VW-Käfer, der in den USA immer noch Kultstatus genießt.
Ein Duopol aus Tesla und Volkswagen
Der Analyst Chris McNally von Evercore sieht grundsätzlich gute Chancen für Volkswagen: „Der E-Auto-Markt der Zukunft wird von einem Duopol von Tesla und Volkswagen geprägt sein“, ist McNally überzeugt. Tesla werde Mitte dieses Jahrzehnts dank seiner neuen Fabriken in Deutschland und Texas voraussichtlich zwei bis drei Millionen Elektroautos produzieren. Volkswagen könnte diese Zahl zum gleichen Zeitpunkt noch weit übertreffen.

Aktuell laufen im US-Werk der Atlas und der Passat vom Band.
Der größte Unterschied zwischen Tesla und VW liege darin, dass Tesla aus eigenem Antrieb die begehrten E-Autos herstellt, während Volkswagen als europäisches Unternehmen durch die CO2-Vorschriften dazu gezwungen sei, wenn es nicht horrende Strafen zahlen wolle, erklärt McNally. Der Analyst rechnet daher damit, dass Volkswagen auch in den USA ein wichtiger E-Auto-Spieler werden wird.
Auch die US-Hersteller haben zuletzt zwar ambitionierte Elektro-Ziele bekanntgegeben. „Aber GM, Ford und Chrysler haben nicht den gleichen regulatorischen Druck wie VW, weil es in den USA keine strengen CO2-Vorschriften oder Strafen gibt“, erklärt der Analyst. Deshalb werde Volkswagen auch in den USA schneller eine wichtige Rolle spielen.
Grundsätzlich kommt den Wolfsburgern bei ihrer E-Auto-Strategie nicht nur ihr Ladenetz von „Electrify America“ zugute, das sie als Strafe für den Dieselskandal als eigenständiges Unternehmen aufbauen mussten. Sie können auch von dem neuen Wind in Washington profitieren. Schließlich setzt die Regierung von Joe Biden massiv auf E-Mobilität.
Nur der jüngste Vorschlag der Demokraten macht VW Sorgen: Der sieht eine zusätzliche Prämie von 5000 Dollar für E-Autos vor, die in den USA von gewerkschaftlich organisierten Unternehmen gebaut wurden. Das würde nur den großen drei Herstellern in Detroit – GM, Ford und der Chrysler-Mutter Stellantis – zugutekommen und sämtliche ausländische Hersteller ausschließen. Die Ausländer haben sich nämlich ähnlich wie VW im Süden angesiedelt, wo sie sich nicht mit der mächtigen Autogewerkschaft UAW auseinandersetzen müssen.
„Wir brauchen Anreize, um den E-Auto-Markt ins Rollen zu bringen. Aber unterschiedliche Prämien sind falsch und unfair den Arbeitern in Chattanooga gegenüber“, kritisiert der US-Chef Keogh.
Auf die Frage, wann VW Tesla auf dem US-Markt für E-Autos schlagen will, macht Keogh eine beschwichtigende Handbewegung: „Ein Schritt nach dem anderen“, sagt er.
Mehr: Das Rohstoffproblem des E-Autos – und was VW, BMW und Daimler dagegen tun wollen
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