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Dieselskandal VW-Betrugsprozess startet heute: Vier Angeklagte und ein leerer Platz

In der Stadthalle Braunschweig startet die erste Hauptverhandlung wegen des Abgasbetrugs bei Volkswagen. Der ehemalige Konzernchef Martin Winterkorn fehlt.
16.09.2021 - 07:21 Uhr Kommentieren
Der Dieselbetrug kostete den Konzern bisher mehr als 30 Milliarden Euro. Jetzt stehen die ersten Manager vor Gericht. Quelle: dpa
VW-Zentrale in Wolfsburg

Der Dieselbetrug kostete den Konzern bisher mehr als 30 Milliarden Euro. Jetzt stehen die ersten Manager vor Gericht.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Im Großen Saal der Stadthalle Braunschweig ist alles hergerichtet. Dort, wo sonst mehr als 2000 Personen Konzerten lauschen, auf Bällen tanzen oder sich bei Empfängen amüsieren, trifft sich ab diesem Donnerstag ein deutlich kleinerer Kreis.

Zu feiern gibt es auch nichts. Statt Stehtischen mit Hussen sind funktionale Tische und Stühle aufgebaut, davor ein Richterpult. Richter, Staatsanwälte und Verteidiger werden hier einen Prozess um mutmaßlich gewerbs- und bandenmäßigen Betrug verhandeln. Auf der Anklagebank sitzen vier ehemalige beziehungsweise aktuelle Manager von Volkswagen.

Der Umzug kam pandemiebedingt. Üblicherweise hätten sich alle Beteiligten vor dem Landgericht Braunschweig getroffen, aber für diese Hauptverhandlung einigte man sich auf die Stadthalle. Es ist eine stattliche Kulisse für einen einmaligen Prozess. Das VW-Quartett ist in einem der größten Skandale angeklagt, die es in der deutschen Wirtschaftsgeschichte je gab. Der Vorwurf lautet auf millionenfachen Betrug mit manipulierten Dieselmotoren.

Fast auf den Tag genau sechs Jahre ist es her, dass die US-Umweltbehörde EPA am 18. September 2015 eine sogenannte Notice of Violation veröffentlichte. So erfuhr die Welt, dass Volkswagen in seinen Dieselfahrzeugen eine illegale Abschalteinrichtung verwendete. Die Software sorgte dafür, dass die Dieselmotoren die Abgasnormen auf dem Prüfstand einhielten, im Straßenbetrieb aber nicht.

In mehr als elf Millionen Fahrzeugen war diese Software aktiv. Volkswagen kostete der Skandal schon mehr als 30 Milliarden Euro an Strafzahlungen und Anwaltshonoraren. Der Bundesgerichtshof, das höchste deutsche Zivilgericht, attestierte dem Konzern eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung seiner Kunden.

Jetzt kommen die Täuschungen bei Volkswagen erstmals vor ein deutsches Strafgericht. Eigentlich sollte sich ein Quintett der 6. Großen Strafkammer des LG Braunschweig stellen. Doch ausgerechnet der prominenteste Angeklagte, der langjährige VW-Chef Martin Winterkorn, wird in der Stadthalle fehlen. Er hat Hüftprobleme.

Winterkorn steht frühestens 2023 vor Gericht

Der gesundheitliche Zustand des 74-Jährigen lässt nach zwei Operationen eine Teilnahme an dem Mammutprozess mit 133 angesetzten Verhandlungstagen nicht zu. Doch das Gericht wollte den Prozess nicht noch einmal verschieben. Ursprünglich war der Start für Februar 2021 vorgesehen, nun geht es ohne Winterkorn los.

Die Kammer um Richter Christian Schütz trennte das Verfahren gegen ihn ab. Der ehemalige VW-Chef wird wohl frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2023 auf der Anklagebank sitzen. Dann dürfte es auch noch um eine mögliche Falschaussage Winterkorns vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages gehen.

So konzentriert sich das Verfahren auf vier Volkswagen-Manager und -Ingenieure, die laut Staatsanwaltschaft alle am Betrug beteiligt gewesen sein sollen, wenn auch in unterschiedlichen Rollen und Positionen. Die Vorwürfe lauten auf gewerbs- und bandenmäßigen Betrug in Tateinheit mit Steuerhinterziehung und mit strafbarer Werbung beziehungsweise Beihilfe zu diesen Delikten.

Betrug ab 2006 – die mutmaßlichen Rollen der Angeklagten

Die Angeklagten sollen die Taten in teilweise unterschiedlichen Zeiträumen zwischen November 2006 und September 2015 begangen haben. Die Kunden, denen Volkswagen die Fahrzeuge mit den manipulierten Dieselmotoren verkaufte, wurden dabei potenziell um mehrere Hundert Millionen Euro geschädigt.

Ranghöchster Angeklagter ist Heinz-Jakob Neußer, der ehemalige Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen. Ihm kündigte das Unternehmen 2018 – drei Jahre nach dem Ausbruch des Skandals. Neußer hat sich bisher als Einziger aus dem Quartett nicht von der Staatsanwaltschaft vernehmen lassen. Im Vorfeld des Prozesses wollte sich seine Verteidigerin Annette Voges auch dem Handelsblatt gegenüber nicht äußern.

Der frühere VW-Vorstand ist auf Grund des Fehlens von Ex-CEO Martin Winterkorn der ranghöchste von vier VW-Managern, die sich wegen bandenmäßigen Betrugs im Dieselskandal vor Gericht verantworten müssen. Quelle: dpa
Heinz-Jakob Neußer

Der frühere VW-Vorstand ist auf Grund des Fehlens von Ex-CEO Martin Winterkorn der ranghöchste von vier VW-Managern, die sich wegen bandenmäßigen Betrugs im Dieselskandal vor Gericht verantworten müssen.

(Foto: dpa)

Die Staatsanwaltschaft wirft Neußer vor, schon kurz nach seinem Jobantritt als Motorenchefentwickler Ende 2011 über die Manipulationen informiert gewesen zu sein. Statt den Betrug zu stoppen, habe Neußer den weiteren Einsatz der Abschaltsoftware verantwortet. Später habe Neußer sogar eine Erweiterung der illegalen Funktion veranlasst. Fortan konnte ein Fahrzeug auch anhand des Lenkwinkels erkennen, ob es im Labor oder auf der Straße fuhr. Nur auf dem Teststand war die Abgasreinigung aktiv.

Auch bei der Vertuschung der Manipulation soll Neußer eine unrühmliche Rolle gespielt haben. 2014 erhielt Volkswagen die ersten Nachfragen von US-Behörden zu den auffälligen Abgaswerten.

Verwendete der Autobauer ein „Defeat Device“ in seinen Motoren, also eine Einrichtung, um etwas abzuschalten? Gemeint war die Abgasreinigung. Neußer soll gemauert haben. Ein Zeuge gab gegenüber der Staatsanwaltschaft an, Neußer habe die Verwendung des Begriffs „Defeat Device“ in Unterlagen faktisch untersagt.

Auch der Angeklagte Jens H. blickt auf eine steile Karriere bei Volkswagen zurück. Er leitete bis Oktober 2006 die Hauptabteilung für Dieselmotoren, stieg anschließend zum Chef der Aggregate-Entwicklung auf, bis er 2011 den Konzern verließ. Auch er soll frühzeitig Kenntnis von den Manipulationen gehabt haben, ohne sie zu stoppen.

Die Staatsanwälte werden vor Gericht vortragen, dass Jens H. spätestens ab 2007 vom Betrug gewusst habe. Brisant: H. belastete in seinen Vernehmungen auch Martin Winterkorn. Seine Angaben erschüttern die Behauptung des ehemaligen Konzernchefs, er habe erst im Herbst 2015 vom Einsatz eines „Defeat Device“ erfahren.

Druck der Vorgesetzten nachgegeben?

Am frühesten soll laut Anklageschrift Hanno Jelden von den Manipulationen gewusst haben. Er war als Hauptabteilungsleiter der Antriebselektronik mit dem Abgasproblem der für den US-Markt bestimmten Diesel-Pkws befasst.

2006 war ihm aufgetragen worden, die schon bei der Konzerntochter eingesetzte sogenannte Akustikfunktion für Volkswagen weiterzuentwickeln. Auch sie war Teil des Betrugs.

Jelden sagte aus, er habe Bedenken geäußert, aber schließlich dem Druck seiner Vorgesetzten nachgegeben. Jelden erklärte gegenüber den Ermittlern, anschließend etwa vier Jahre lang keine Berührung mit dem Thema gehabt zu haben. Ende 2011 habe er den neuen Bereichsleiter Neußer über die Manipulationssoftware informiert.

Vier weitere Jahre später bestritt er sie wieder. 2015 reiste eine VW-Delegation in die USA, um den dortigen Behörden Rede und Antwort zu den Dieselmotoren zu stehen. Laut den Ermittlungen habe Jelden, der selbst nicht mitreiste, eine Sprachregelung verfasst, die die Ursachen der verfehlten Emissionswerte der Dieselmotoren vernebelte. Nach Auffliegen des Skandals gehörte Jelden dann aber zu denen, die an der Aufklärung des Skandals mitwirkten.

Der vierte Angeklagte ist als ehemaliger Team- und späterer Abteilungsleiter der rangniedrigste aus dem Quartett. Als Teamleiter für Abgasnachbehandlung soll er ebenfalls frühzeitig über die manipulative Software Bescheid gewusst und sie später mit weiterentwickelt haben. Er gehörte zu denen, die 2015 den Betrug gegenüber den US-Behörden offenlegten, und gestand auch gegenüber der Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Mitwirken ein.

Haftstrafen drohen, Urteil frühestens im Sommer 2023

Den Männern drohen mehrjährige Haftstrafen. Ein Urteil dürfte frühestens im Sommer 2023 fallen, bis dahin sollen 38 Zeugen an mindestens 133 Verhandlungstagen gehört werden. Die meisten Verhandlungstage werden nicht in der Stadthalle stattfinden. Ab Anfang 2022 steht sie nicht mehr zur Verfügung. Das Gericht muss dann abermals umziehen. Über den Dieselskandal wird dann in Wolfenbüttel gerichtet.

Anschließend gilt: Nach dem Prozess ist vor dem Prozess. Die Staatsanwaltschaft hat bereits drei weitere Betrugsanklagen erhoben. Sie richten sich gegen 29 Angeschuldigte. Gegen weitere 80 Beschuldigte ermitteln die Staatsanwälte noch.

Mehr: Dieselskandal kostete VW mehr als 30 Milliarden Euro – Ex-Chef Winterkorn kommt mit rund elf Millionen davon

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