VCI-Prognose „Kraftvolles Comeback“: Deutsche Chemieindustrie steuert auf Rekordkurs – auch bei den Preisen

Die Chemiefirmen werden 2021 so viel investieren wie noch nie zuvor.
Düsseldorf In der Chemieindustrie zeichnet sich für das zweite Halbjahr keinerlei Eintrübung der starken Konjunktur ab. Im Gegenteil: Deutschlands drittgrößter Industriezweig wird 2021 ein historisches Rekordniveau bei Umsatz und Investitionsausgaben erreichen. In seiner am Mittwoch veröffentlichten Prognose sprach der Branchenverband VCI von einem „kraftvollen Comeback“ nach dem pandemiebedingten Rückgang im Vorjahr.
Schon in den vergangenen Monaten hatte die Chemie sehr von der Erholung der Weltwirtschaft profitiert. Mit 111 Milliarden Euro setzten die deutschen Hersteller im ersten Halbjahr rund zwölf Prozent mehr um als im Vorjahreszeitraum. Der Boom kam nicht überraschend, da die Kunden aus allen Teilen der verarbeitenden Industrie ihre leer gefegten Läger seit Ende 2020 wieder auffüllten und ihrerseits einen Nachfrageschub erlebten.
Viele Chemieanbieter gingen davon aus, dass sich diese außerordentlich starke Phase zu Beginn des zweiten Halbjahres wieder normalisieren würde. Doch die Produktion läuft ungebrochen auf Hochtouren.
Die Kapazitätsauslastung der Anlagen stieg zuletzt auf mehr als 86 Prozent und liegt damit deutlich über dem branchenüblichen Niveau. „Jedes fünfte Unternehmen stößt bei der Produktion an seine Kapazitätsgrenzen“, sagte VCI-Präsident Christian Kullmann.
Zwar spüren auch die Chemiefirmen Engpässe bei Vorprodukten sowie Störungen der internationalen Lieferketten. Doch ihrem Geschäft kann das wenig anhaben. Der VCI rechnet für das Gesamtjahr mit einem Produktionsanstieg von 4,5 Prozent und einem Umsatzwachstum von elf Prozent auf den Rekordwert von 211 Milliarden Euro.
Dahinter stecken zwei Treiber: Als globalisierte Branche profitiert die Chemie vom starken Chinageschäft ebenso wie von der kräftigen Erholung in den USA und Europa. Kunststoffe und Chemikalien sind begehrt wie nie: Der Nachfrageüberhang bei den Kunden ist nach Einschätzung der Hersteller weiterhin groß.
Weitere Preiserhöhungen befürchtet
Für die Kunden der Chemie hatte diese Situation am Markt schon im ersten Halbjahr schmerzvolle Folgen. Denn die Preise haben kräftig angezogen. Branchenweit waren es nach Angaben des VCI Steigerungen von knapp fünf Prozent. Doch das ist nur ein Durchschnittswert, teilweise zogen die Preise in deutlich zweistelliger Höhe an.
Das zeigt sich etwa bei den Kunststoffen der Leverkusener Covestro AG. Schäume, die für Polstermöbel, Autositze und Dämmplatten gebraucht werden, waren im ersten Halbjahr 2021 rund 50 Prozent teurer als im Vorjahreszeitraum. Zur Freude von Covestro: Der bereinigte Gewinn vervierfachte sich auf 1,5 Milliarden Euro.
BASF hat im ersten Halbjahr den operativen Gewinn auf 2,3 Milliarden Euro sogar verzehnfacht. Die Dynamik in den Geschäften sei ungebrochen, sagte Vorstandschef Martin Brudermüller. „Das zeigen auch die Auftragseingänge – und das zieht sich durch alle Regionen.“
Dazu trägt auch der zweite Treiber des Chemiebooms bei. Die Kunden bestellen nicht nur, weil sie die Kunststoffe und Chemikalien für das aktuell gute Geschäft brauchen. Sie decken sich nach Beobachtung von Analysten auch mit den Produkten ein, weil sie weitere Preiserhöhungen im zweiten Halbjahr fürchten.
Die Erwartung ist durchaus realistisch. Nach Angaben der amerikanischen Branchenvereinigung American Chemistry Council hat die globale Chemienachfrage nach einer kurzen Pause im Mai seit Juni einen neuen kräftigen Schub bekommen. Das Auffüllen der Läger werde in der gegenwärtigen, durch Inflation gekennzeichneten Lage weitergehen, schreibt die Baader Bank in ihrem jüngsten Branchenreport. Die starke Preismacht der Hersteller gegenüber den Kunden werde im zweiten Halbjahr anhalten, erwarten Analysten.
Die deutschen Hersteller geben sich aktuell ebenfalls durchweg optimistisch. Reihenweise haben sie in den vergangenen Wochen die Prognosen für 2021 erhöht. Die Essener Evonik AG will am Jahresende auf einen bereinigten Gewinn von annähernd 2,4 Milliarden Euro kommen, ein Viertel mehr als im Vorjahr.
Firmen wollen annähernd neun Milliarden Euro ausgeben
Bei Lanxess belasten zwar höhere Fracht- und Energiekosten die Margen, doch auch die Kölner wollen in diesem Jahr mehr Gewinn machen als zunächst versprochen. BASF und Covestro schraubten die Prognosen im Juli ebenfalls nach oben.
Die Großanbieter decken nur einen kleinen Teil der deutschen Chemie ab, rund 80 Prozent der Branche stellen mittelständische Hersteller. Der optimistische Ausblick des Branchenverbands VCI zeigt aber, dass auch bei den kleineren Firmen die Geschäftslage anhaltend gut ist und bleibt.
Dafür liefern die Ausbaupläne der Chemieunternehmen einen weiteren Beleg. Nach Schätzung des VCI werden in diesem Jahr auch die Investitionen einen historischen Höchststand erreichen. Annähernd neun Milliarden Euro wollen die Firmen ausgeben. Aufgeschobene Projekte aus dem Vorjahr werden nachgeholt und die Kapazitäten angesichts des anhaltenden Booms erweitert.
Es zeige sich „eindrucksvoll, wie wichtig eine international wettbewerbsfähige Chemie- und Pharmaindustrie als Stabilitätsanker für unser Land ist“, sagte VCI-Präsident Kullmann. Von der Politik fordert die Branche schnellere Genehmigungsverfahren, vor allem aber Schritte, um den Preis für Industriestrom auf vier Cent pro Kilowattstunde zu senken.
Dies sei nötig, um den grünen Umbau der Industrie bewältigen zu können. Aktuell liegt der Industriestrompreis nach Angaben des Bundesverbands der Energieabnehmer im Durchschnitt bei annähernd 18 Cent pro Kilowattstunde.
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