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Jürgen und Maximilian Heindl im Interview Progroup fordert großes Infrastrukturprogramm für Energieversorgung

Nach Ansicht der Familienunternehmer braucht es für die Energieversorgung eine europäische Lösung. Nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft müsse ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.
22.08.2021 - 12:31 Uhr Kommentieren
Jürgen Heindl ist Vorstandsvorsitzender der Progroup, Maximilian Heindl soll in einem Jahr an die Spitze rücken. Quelle: PROGROUP AG/Sven Cichowicz
Jürgen (links im Bild) und Maximilian Heindl

Jürgen Heindl ist Vorstandsvorsitzender der Progroup, Maximilian Heindl soll in einem Jahr an die Spitze rücken.

(Foto: PROGROUP AG/Sven Cichowicz)

Düsseldorf „Nachhaltigkeit ist ein Imperativ für Politik und Wirtschaft und für künftige Regierungen noch mehr“, sagt Jürgen Heindl mit Blick auf die gerade angelaufene heiße Phase im Bundestagswahlkampf. Der Unternehmer hat vor 30 Jahren den Schritt vom angestellten Vorstand zum Familienunternehmer gewagt, einen Hidden Champion aufgebaut und dabei Nachhaltigkeit gleich mitgedacht – ausgerechnet in einer Branche, in der extrem hohe Investitionen notwendig sind.

Die heutige Progroup gehört zu den größten Wellpappeherstellern Europas mit knapp 1500 Mitarbeitern, drei Papierfabriken und elf Wellpappformatwerken, einem Logistikunternehmen, einem Kraftwerk und bald 900 Millionen Euro Umsatz. Die hohen Eintrittsbarrieren schützen das Unternehmen heute. Sein Erfolgsrezept: weit nach vorn blicken, und die Geschäfte machen, die die großen Konzerne links liegen lassen.

Heindl profitierte davon, dass er sich immer wieder von Zukunftsforschern inspirieren ließ, etwa von dem Report von Faith Popcorn in den 1980er-Jahren, die damals bereits den Trend zum Onlinehandel und den steigenden Verpackungsbedarf prophezeite, oder von dem Buch über nachhaltiges Wachstum „Faktor fünf“ von Ernst Ulrich von Weizsäcker. Die Politik müsse in einem Land wie Deutschland industrieverträglich und der Nachhaltigkeit verpflichtet sein, sagt Heindl. „Das Gute ist, dass das Thema global an Fahrt aufnimmt.“

Zugleich stehen er und sein Sohn, der in einem Jahr vom stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden an die Spitze rückt, vor einer Mammutaufgabe: der Energieversorgung. „Dafür brauchen wir Rahmenbedingungen, die Wasserstoff zur Verfügung stellen“, sagt Jürgen Heindl. „Die Politik muss ein großes Infrastrukturprogramm liefern.“ Und man solle das Problem nicht zu klein angehen sagt er, sondern europäisch.

Die beiden Familienunternehmer sind aber auch der Meinung, dass nicht nur Politik und Unternehmen, sondern auch die Gesellschaft ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten müsse: „Man muss sein Altpapier zum Recycling bringen und bei der Energieversorgung von der Haltung weggehen: not in my backyard.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Heindl, überall wird das Holz knapp, ist das ein Problem für Ihr Unternehmen?
Jürgen Heindl: Nein, wir haben nur einen sehr geringen Anteil an frischen Zellstoffprodukten, bei den Papierfabriken nutzen wir zu 97 Prozent Altpapier, bei den Wellpappfabriken 90 Prozent.
Maximilian Heindl: Etwas Frischzellstoff brauchen wir immer, damit die Wellpappe stabil genug ist. Fünf- bis achtmal kann man eine Faser recyceln, danach wird sie zu kurz. Wesentlich für uns ist der Preis für Altpapier, der jetzt wieder relativ hoch ist. Der Preisverfall, als China Altpapier nicht mehr abnehmen wollte, ist vorbei.

Sie haben das Thema Nachhaltigkeit schon bei der Unternehmensgründung mitgedacht. Ist das für Sie auch das wichtigste Thema im derzeitigen Wahlkampf?
Jürgen Heindl: Nachhaltigkeit ist ein Imperativ für Politik und Wirtschaft und für künftige Regierungen noch mehr. Die Politik muss in einem Industrieland wie Deutschland industrieverträglich und der Nachhaltigkeit verpflichtet sein. Das Gute ist, dass das Thema global an Fahrt aufnimmt.
Maximilian Heindl: Unsere Industrie hat einen Vorsprung, weil wir so lange schon in der Kreislaufwirtschaft sind. Es werden wohl drei Parteien die Regierung führen, so wird es einen ausgewogenen Mix ergeben.
Jürgen Heindl: Die Sachzwänge sind zu groß, der kleinste gemeinsame Nenner wird nicht reichen, dadurch wird die Politik sachorientierter.

Die Grünen wollen mit der Industrie einen Pakt schließen, um die umweltfreundlichen Investitionen anzukurbeln, halten Sie das für sinnvoll?
Jürgen Heindl: Die Mammutaufgabe ist die Energieseite, dafür brauchen wir Rahmenbedingungen, die Wasserstoff zur Verfügung stellen. Die Politik muss ein großes Infrastrukturprogramm liefern. Und: Man darf das Problem nicht zu klein angehen, sondern europäisch.
Maximilian Heindl: Man wird es nur gemeinsam schaffen: Politik, Industrie und Gesellschaft, jeder muss seinen Beitrag leisten.
Jürgen Heindl: In der Tat, man muss sein Altpapier zum Recycling bringen und bei der Energieversorgung von der Haltung weggehen: not in my backyard.

Was macht Ihnen größere Sorgen, die Energieversorgung und die Energiepreise oder weitere Umweltauflagen?
Maximilian Heindl: Man wird die Versorgungsfrage lösen müssen. Und wir als Industrie leisten unseren Beitrag mit Innovationen, wir müssen ja immer effizienter werden. In den vergangenen zehn Jahren sind die Wellpappprodukte um zehn Prozent leichter geworden, mit weniger Rohstoffeinsatz erreichen wir also die gleiche Stabilität. Und so geht es weiter.

Sie haben sicher den modernsten Maschinenpark in Ihrer Industrie, weil Ihr Unternehmen erst 30 Jahre alt ist. Hilft Ihnen das beim Thema Umwelt- und Klimaschutz?
Jürgen Heindl: Absolut. Innovationen und Investitionen sind Geschwister. Wer investieren kann, kann Technologieführer werden.

„Im Schnitt brauchen wir nur einen Liter Wasser pro Tonne“

Und wo sind Sie führend?
Jürgen Heindl: Weltweit beim Thema Wassereinsparung. Wir setzen im Prinzip nahezu kein Frischwasser mehr ein bei einem unserer Werke, und im Schnitt brauchen wir nur einen Liter pro Tonne, andere brauchen sechs bis sieben Liter Wasser. Wasser ist eine knappe Ressource und kritischer als man denkt.
Maximilian Heindl: In zwei unserer Fabriken haben wir einen voll geschlossenen Kreislauf, in einer davon gewinnen wir auch noch Biogas, das ist der Weg – über Innovationen in die Kreislaufwirtschaft.

Wann wird Ihr Unternehmen klimaneutral?
Maximilian Heindl: Wir arbeiten mit nachwachsenden Rohstoffen, aber es ist für uns als energieintensives Unternehmen noch ein weiter Weg in eine CO2-freie Zeit. Es liegt nicht alleine in unserer Hand, die Politik muss die Rahmenbedingungen für regenerative Energie und grünen Wasserstoff schaffen.

Sie haben als Manager vor 30 Jahren Investoren gesucht und sind ausgerechnet in einer Branche gestartet, die die höchsten Eintrittsbarrieren hat. Was hat Sie zum Unternehmer werden lassen?
Jürgen Heindl: Erstens bin ich auf einem Bauernhof aufgewachsen, da lernt man unternehmerisches Denken und Anpacken, wenn es gebraucht wird. Zweitens war ich ja bereits zehn Jahre in der Branche und habe vieles gesehen, was falsch lief. Der Konzern, für den ich arbeitete, war gut in Großauflagen, wir lieferten aber nicht schnell, die Maschinen waren gut, wir waren aber nicht gut im Geschäft mit mittelgroßen Familienunternehmen. Es erschien mir unmöglich, in einem Konzern Greenfield-Investitionen zu tätigen, das mögen weder Börsen noch Manager. Ich als Unternehmer schon. Es ist das größte Glück, ein Unternehmen von Anfang an zu planen und aufzubauen ausgehend von einem weißen Stück Papier.

Das ist Ihnen, Maximilian Heindl nicht vergönnt …
Maximilian Heindl: Das ist kein Problem, wir haben noch junge Assets und werden immer rechtzeitig die Fabrik erneuern. So vermeidet man die Sackgasse, in der viele Unternehmen stecken mit einer großen, aber überalteten Struktur an Assets, also Produktionen. Dann passt nichts mehr zusammen, die Produktionen folgen keinem klaren Konzept mehr und dann wird es für die Unternehmerfamilie zur Mammutaufgabe.

Welche Lehren können andere Familienunternehmer aus Ihrer Geschichte ziehen?
Jürgen Heindl: Man darf nicht betriebsblind werden. Ich habe auch als angestellter Manager schon die Ecken im Unternehmen ausgeleuchtet, die man nach einer gewissen Zeit nicht mehr sieht. Dann muss man den Mut haben, Risiken einzugehen.

„Familienunternehmer könnten mutiger sein“

Ausgerechnet 2008 planten Sie die größte Investition der Firmengeschichte, dabei setzten Sie damals nur halb so viel um, wie Sie investieren wollten. Womit haben Sie das Konsortium von zehn Banken überzeugt?
Jürgen Heindl: Vor der Finanz- und Wirtschaftskrise waren die Banken bullish, und ich konnte vermitteln, dass ich Erfahrung habe und in langen Zyklen denke. Unsere Green-Hightech-Strategie haben wir damals sehr vorausschauend vorgetragen und in einer Nachtkonferenz alles riskiert. Heute bräuchte man dafür 15 Banken, weswegen wir uns seitdem vorwiegend über Anleihen finanzieren.

Würden Sie Familienunternehmern empfehlen, mehr auf den Kapitalmarkt zu setzen?
Jürgen Heindl: Ja. Es ist ein großes Fitnessprogramm, kapitalmarktfähig zu sein. Als Familienunternehmer muss man sich ja auch den Gesellschaftern stellen, aber auch Fragen von Investoren stellen können; diese Beidhändigkeit stärkt.

Scheuen aus Ihrer Sicht viele Familienunternehmen diese doppelte Transparenz?
Jürgen Heindl: Ja, das ist ein Hindernis. Aber sie scheuen die Transparenz nicht wegen fehlender Performance, sondern wegen der Konkurrenz. Dabei ist es im Ausland noch viel transparenter. Die Familienunternehmer könnten da mutiger sein.

Sie sagen, Unternehmenskultur ist ein Erfolgsfaktor. Sie bieten Ihren Mitarbeitern Incentiv-Reisen. Warum finden Sie gemeinsame Reisen so wichtig?
Maximilian Heindl: Bei uns zählt Teamwork, und das verbessern wir einfach mit gemeinsamen besonderen Erlebnissen.

Alle Mitarbeiter haben bei Ihnen eine Erfolgsprämie, manche bekommen 70 Prozent variable Vergütung, ist das nicht etwas viel?
Maximilian Heindl: Einer der zentralen Werte bei uns ist Leistung und Gegenleistung. Und unsere Mitarbeiter sollen Mitunternehmer werden, dazu gehört nicht nur, auch mal einen Weltrekord in der Papierproduktion einzustellen, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie ihren Arbeitsplatz aufräumen.

Maximilian, Sie waren, bevor Sie vor fünf Jahren im eigenen Familienunternehmen eingestiegen sind, beim Papiermaschinenhersteller Voith. Was haben Sie dort für Ihre künftige Rolle gelernt?
Maximilian Heindl: Es war für mich lehrreich zu sehen, wie so ein großes Unternehmen in Bewegung kommt und dass man versuchen muss, auf weniger volatilen Märkten aktiv zu sein.

Was macht für Sie ein Familienunternehmen aus?
Maximilian Heindl: Über einen längeren Zeitraum zu denken, Dinge anzugehen, die nicht heute und nicht morgen wichtig sind, sich aber langfristig und nachhaltig auszahlen.

Ende nächsten Jahres wechseln Sie in den Aufsichtsrat und Ihr Sohn an die Firmenspitze. Sie haben sich gemeinsam eine Zeit von sechs Jahren gegeben für die Übergabe. Warum so lange?
Jürgen Heindl: Wir haben die Periode in drei Etappen geteilt. Mein Sohn kam von Voith aus der Papierwelt und da war unsere dritte Papierfabrik sein Meisterstück, dann lernte er zwei Jahre das Wellpappreich kennen. In der dritten Etappe bin ich jetzt auf dem Beifahrersitz. Ich stehe als Ressource zur Verfügung, aber operativ soll der Dreiervorstand die Geschäfte führen. Man braucht diese Zeit.

Vier Männer im Vorstand, drei im Aufsichtsrat, wann wollen Sie sich mehr Diversität leisten?
Jürgen Heindl: Im Topmanagement gibt es da noch Potenzial. Im Aufsichtsrat stehen ja auch bald Veränderungen an. Diversität ist als bereichernd und notwendig erkannt.

Wo steht die Progroup in zehn Jahren?
Maximilian Heindl: Wir werden noch nachhaltiger sein und systemrelevant: Verpackung ist mindestens so wichtig wie Klopapier.

Die Herren Heindl, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Die Corona-Pandemie zwingt Staaten, ihre Wirtschaftsweise zu verändern. Das Handelsblatt zeigt, wie Länder ihr Wachstum nachhaltiger gestalten wollen.

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