Ausstellung: Kann eine Maschine kreativ sein?

In der Video- und interaktiven Installation plaudert die erste KI-Barbie des Herstellers Mattel fröhlich mit dem Besucher. Natürlich über Mode oder ihre neueste Frisur.
Düsseldorf. Die Faszination der Künstler für Maschinen ist keineswegs eine Entwicklung des 21. Jahrhunderts. Bereits Leonardo da Vinci war fasziniert von Schiffen, Kriegswerkzeugen und Geräten, mit denen Menschen fliegen können sollten.
Allerdings scheint es so, als müssten wir uns knapp sechs Jahrhunderte nach da Vinci von der Gleichung „Kunst erschafft Maschine“ verabschieden. In Zeiten von künstlicher Intelligenz (KI) scheint nahezu alles möglich – selbst das bisher Undenkbare: Maschine erschafft Kunst. Dieser These geht die Ausstellung „Pendoran Vinci – Art and Artificial Intelligence Today“ im Düsseldorfer NRW-Forum nach.
Die Schau versammelt verschiedene Spielarten der künstlichen Intelligenz – vom sprechenden Chatbot bis hin zum Roboter, der es gelernt hat, expressionistische Werke zu erschaffen. Dabei fragt sie auch danach, ob Kreativität eine Seele braucht, aus der sie entspringt, oder ob am Ende dann doch eine Festplatte reicht.
Wenn Maschinen kreativ werden, worin unterscheiden sie sich dann noch von uns? Und die Ausstellungsmacher fragen: Wer tritt in einer global vernetzten Welt, in der das Wissen in elektronische Daten umgewandelt und online versammelt ist, an die Stelle eines Genies wie da Vinci?
Der Name der Ausstellung. „Pendoran Vinci“ erinnert nicht nur an den Universalgelehrten der Renaissance, sondern auch an die Büchse der Pandora, aus der allerlei Übel entsprang. Aber was denn nun: Heil oder Verderben?
Die Ausstellung lässt auf den ersten Blick kein eindeutiges Urteil zu – wohl aber Raum zum Gruseln. Ein auf die Wand geworfenes Video zeigt die Arbeit von Justine Emard: Der japanische Tänzer und Schauspieler Mirai Moriyama interagiert fast zärtlich mit einem Roboter, dessen porzellanähnliches Gesicht an das einer Geisha erinnert. Das von japanischen Wissenschaftlern geschaffene Maschinenpendant interagiert auf gespenstische Art und Weise, wiegt sich nahezu harmonisch mit Moriyama.
Schräg gegenüber ist wie auf einem Altar als Göttin der Konsumgesellschaft eine Barbie präsentiert. Die Installation der US-Künstlerin Faith Holland beinhaltet aber mehr als eine simple Puppe – es ist die erste KI-Barbie des Herstellers Mattel, die fröhlich mit dem Besucher der Ausstellung plaudert. Über Mode oder ihre neueste Frisur.
Die Plattheit ihrer Konversation setzt Holland gekonnt vor einen Hintergrund anderer Maschinenfrauen, die der Menschheit zu Diensten sein sollen: Von den Frauen von Stepford über Sprachassistentin Siri bis hin zu einem menschlichen Cyborg der US-Erfolgsserie „Westworld“, in der als Menschen verkleidete Maschinen Freizeitparkbesuchern jeden noch so privaten Wunsch erfüllen. Die Barbie-Installation stellt auch die Frage, wie in Zukunft unsere Beziehung zu KI aussehen wird und wie nah wir sie wirklich an uns heranlassen wollen.
Es sei wünschenswert, dass sich in Deutschland noch mehr Museen mit der künstlichen Intelligenz beschäftigten, sagt Leonie Spiekermann, Initiatorin der Ausstellung und Gründerin der Kunstberatung Artgate. „Dabei ist sie doch mittlerweile omnipräsent, und Kunst war immer Mittler zwischen den Welten, das sollte sie auch bei einer technologischen Revolution wie künstlicher Intelligenz sein.“ Die Ausgangsfrage sei gewesen, ob eine Maschine tatsächlich kreativ werden und künstlerische Werke erschaffen könne.

Unter künstlicher Intelligenz (KI) oder engl. Artificial Intelligence (AI) versteht man die kognitive Fähigkeit eines Computers oder einer softwaregesteuerten Maschine, auf eine Weise Entscheidungen zu treffen oder Aufgaben zu erfüllen, die der menschlichen Intelligenz gleichwertig ist.

Künstliche Intelligenz behandelt Daten eigentlich ganz ähnlich, wie wir Menschen das tun, wenn wir mit unseren Sinnen die Umgebung wahrnehmen. KI braucht dafür allerdings Input-Geräte, also Kameras mit Gesichtserkennungssoftware, Radar und Lidar, Mikrofone oder bestimmte Tastsysteme. Experten sprechen dann von Machine Perception.

Dann kommt das neuronale Netz zum Einsatz. Sind die Algorithmen der KI ähnlich miteinander verwoben wie unsere Synapsen im Gehirn, spricht man von einem künstlichen neuronalen Netz. Die KI bricht komplexe Probleme in einfachere Datensätze, analysiert ein Bild beispielsweise erst Pixel für Pixel, sucht dann nach schrägen Linien, anschließend nach Kreisen und so weiter. Dieses Vorgehen entspricht den menschlichen Lernvorgängen.

Alan Turings Kriterium für Maschinenintelligenz: Eine Versuchsperson kann im Blindtest die Antwort einer Maschine nicht von der eines Menschen unterscheiden. Dabei kann ein Programm menschliche Interaktion täuschend echt imitieren. Der Brite Turing (1912-1954) gilt heute als Informatiker-Ikone. Erst sehr spät bekam er die nötige Anerkennung für seine Leistungen.

Der amerikanische KI-Forscher Marvin Minsky baut die lernfähige Maschine SNARC (Stochastic Neural Analog Reinforcement Calculator). Sie besteht aus einem Netzwerk von 40 Neuronen. Heute gilt Multigenie Minsky, der 2016 im Alter von 88 Jahren verstorben ist, als Pionier der künstlichen Intelligenz.

John McCarthy prägt bei einer Konferenz am Dartmouth College, bei der auch Marvin Minsky großen Anteil hat, den Begriff „artificial intelligence“ - die Geburtsstunde der neuen wissenschaftlichen Forschungsdisziplin KI. Nichts von dem, was das menschliche Gehirn leistet, das war Minskys Credo, ist in irgendeiner Weise übernatürlich. Deshalb muss es möglich sein, diese Leistungen auch Maschinen beizubringen.

So sehen Chatbots heutzutage aus. Das hat natürlich keine Ähnlichkeit mit dem, was der deutsch-amerikanische Informatiker Joseph Weizenbaum 1966 programmiert: Eliza. Der erste Chatbot überhaupt, der mit einem simplen Dialog-Algorithmus das Gespräch mit einem Psychotherapeuten simuliert. Weizenbaum, der auch als Computerkritiker galt, starb 2008 im Alter von 85 Jahren in Berlin. „Das Internet ist ein großer Misthaufen, in dem man allerdings auch kleine Schätze und Perlen finden kann“, sagte er einmal zu Lebzeiten.

Besser als Fachärzte: Mycin, ein in der Programmiersprache Lisp entwickeltes Expertensystem, schlägt in 69 Prozent der Fälle das passende Antibiotikum bei Infektionskrankheiten vor. Allerdings erlangte Mycin in der medizinischen Anwendung nicht die Bedeutung, die man sich erhofft hatte. Zwar erreichte das System durchaus hohe Trefferquoten. Doch damals war die Akzeptanz von Computersystemen noch relativ gering, so dass die Bereitschaft fehlte, sich auf die Diagnose zu verlassen.

Japanische Forscher, unter anderem Hiroaki Kitano von Sony, starten die Robocup-Initiative, um eine Fußballweltmeisterschaft für Roboter ins Leben zu rufen. Der erste Wettkampf findet 1997 statt. Die Weltmeisterschaften werden auch heute noch jährlich an wechselnden Orten ausgetragen.

New York, 11. Mai 1997: Mensch gegen Maschine – weltweit zieht dieses Duell Menschen in seinen Bann. Schachweltmeister Garri Kasparow verliert einen Wettkampf auf sechs Partien gegen den IBM-Computer Deep Blue – eine historische Niederlage. 20 Jahre zuvor hatte der Schotte David Levy – kein Großmeister und von der Spielstärke her mehrere Klassen tiefer anzusiedeln als Kasparow – das damals weltbeste Schachprogramm Chess 4.7 noch deutlich geschlagen. Levys Sieg schien die seinerzeit verbreitete Meinung zu bestätigen, dass Computer niemals so gut wie Schachmeister spielen könnten.

Das Projekt Google Driverless Car, Vorläufer der Google-Tochter Waymo, beginnt in den USA erste Tests mit fahrerlosen Pkws.

Bei der ersten jährlichen Imagenet Challenge, das ist eine Datenbank von knapp 1,5 Millionen Bildern, die jeweils einem Substantiv zugeordnet sind, treten Objekterkennungsalgorithmen gegeneinander an. In nur sieben Jahren steigt die Trefferquote der Gewinnerprogramme von 71,8 auf 97,3 Prozent.

Millionen Fernsehzuschauer erleben einen geschichtsträchtigen Dreikampf in der beliebten US-Rateshow Jeopardy: Der Superrechner Watson (damals noch zimmergroß und benannt nach dem IBM-Gründer Thomas Watson) spielt mit und tritt gegen zwei menschliche Kandidaten an. Watson gewinnt. Er wusste beispielsweise, dass es um Narkolepsie ging, als die vorgegebene Antwort lautete: „Du brauchst nur ein Nickerchen. Du hast nicht diese Krankheit, die Menschen dazu bringt, im Stehen einzuschlafen.“ Als hochwertige semantische Suchmaschine versteht Watson gesprochene Sprache und beantwortet Fragen in Rekordzeit.

Watson wusste auch, dass es sich bei dem gesuchten Herrscher aus Herr der Ringe um Sauron handelt, allerdings kannte er nicht den Bösewicht aus Harry Potter namens Voldemort. Drei Jahre lang hat IBM an der Maschine gearbeitet und sie trainiert.

Im selben Jahr bringt Apple im iPhone 4S mit Siri den ersten virtuellen persönlichen Assistenten auf den Markt, der Englisch, Deutsch und Französisch spricht. Die Software ist in der Lage, natürlich gesprochene Sprache zu erkennen. Seitdem können wir Befehle einfach dem Handy diktieren. Siri schaffte es sogar bis nach Hollywood: Für den 2017 erschienenen Film The LEGO Batman Movie wurde Siri als Stimme von Batmans Computer „Puter“ eingesetzt.

Weltpremiere auf der A8 bei Stuttgart: Der Autobauer Daimler startet einen Test mit dem ersten autonom gesteuerten Lkw in Deutschland. Der 40-Tonner fährt mit bis zu 80 km/h – ganz so wie ein Flugzeug auf Autopilot. Am Steuer sitzt damals – um notfalls einzugreifen – Truck-Chef Bernhard selbst, sein Beifahrer ist Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen).

Maschinen-Picasso aus Tübingen: Im selben Jahr, also 2015, wird die KI kreativ. Die (Mustererkennungs-)Software Deepdream verwandelt Fotografien in psychedelische Kunstwerke. Tübinger Forscher entwickeln zeitgleich einen Algorithmus, der den Stil berühmter Künstler imitiert. Auch auf Videos lässt sich der Algorithmus Deepdream anwenden. Wichtigste Erkenntnis für die Tübinger ist dabei, dass Inhalt und Stil voneinander getrennt werden können und auf diese Weise neue Visualisierungen entstehen.

Ein Triumph künstlicher Intelligenz: Lee Sedol, einer der weltbesten Go-Spieler, wird von AlphaGo, dem Programm von Google Deepmind, geschlagen. Sedol gibt die Brettspiel-Partie nach dreieinhalb Stunden auf. Anders als Deep Blue ist AlphaGo in der Lage, eigenständig dazuzulernen und seine Spielstrategie zu verbessern. Der Gewinner erhält eine Million US-Dollar (900.000 Euro). Go ist ein traditionelles asiatisches Brettspiel, das komplizierter als Schach sein soll.

Nur ein Jahr später bringt sich die Weiterentwicklung von AlphaGo rein auf Basis der Spielregeln Schach, Shogi und Go bei und spielt gegen sich selbst. Innerhalb weniger Stunden spielt der selbstlernende Algorithmus Alphazero auf übermenschlichem Niveau.

Stanford Question Answering Dataset: Das Programm des chinesischen E-Commerce-Giganten Alibaba knackt zeitgleich mit einer Konkurrenzsoftware von Microsoft in einem Lese- und Textverständnistest der Stanford University erstmals den menschlichen Highscore. Der Test gilt als einer der weltweit anerkanntesten Tests für maschinelles Lesen. Er überprüft beispielsweise, ob die Software nach dem Lesen von über 500 Wikipedia-Artikeln genug vom Inhalt verstanden hat, um mehr als 100.000 spezielle Fragen zu beantworten.
Wer sich in dem großen Raum des NRW-Forums umschaut, der vermag diese Frage vielleicht mit Ja zu beantworten: Die Bilder der deutsch-israelischen Künstlerin Liat Grayver sind eine Koproduktion – gemalt wurden sie zusammen mit dem von der Universität Konstanz entwickelten Malroboter David. Tatsächlich gibt es mittlerweile an vielen Orten der Welt Experimente mit malenden Maschinen: In Thailand etwa imitiert ein Roboter die Meisterwerke großer Künstler. Ein Schaudern durchzuckt da den Besucher: Wird der nächste Picasso etwa ein Algorithmus sein?
Gruselkabinett oder Star-Trek-Spielplatz?
Das zeigt auch die Virtual-Reality-Welt von William Latham, die Besucher mithilfe von Joysticks selbst modellieren können. Der Simulation liegt ein mathematisches Modell zugrunde, das diese Welten immer neu berechnet – quasi ins Unendliche.

Die Ausstellung ist übersichtlich – gerade einmal neun Werke sind hier versammelt. Dennoch lohnt sich ein Besuch des oberen Stockwerks für den, der im NRW-Forum unterwegs ist. Denn trotz Überschaubarkeit ist es auch ein unterhaltsamer Ausflug in eine Welt, die auf einmal nicht mehr so weit weg scheint, wie es sich vielleicht manch einer wünschen würde.
Die Ausstellung hat am Ende dann doch vor allem etwas von einer interaktiven KI-Erlebniswelt: Je nach Verständnis eben Gruselkabinett oder Star-Trek-Spielplatz.
„Pendoran Vinci“ bis 19. August 2018 im NRW-Forum Düsseldorf





