Kolumne: Wenn Barbie plötzlich alles weiß

Jetzt also auch das Kinderzimmer: In der vergangenen Woche kündigten die Spielzeugfirma Mattel und das KI-Unternehmen OpenAI eine Kooperation an, um die „Magie der KI in altersgemäße Spielerfahrungen zu übersetzen“.
Mattel, das Unternehmen aus Kalifornien mit einem Umsatz von knapp 5,5 Milliarden Dollar, ist vor allem für eine Spielgefährtin bekannt, die bislang ganz materiell und undigital daherkam: Barbie (wir erwähnen ihren Kompagnon Ken der Vollständigkeit halber, auch wenn er bis zur Barbie-Verfilmung mit Ryan Gosling immer eine Nebenrolle gespielt hat).
Mattel und OpenAI haben noch nicht kundgetan, was für ein Produkt sie genau auf den Markt bringen wollen. Aber schon mit wenig Vorstellungskraft kommt man schnell auf einige Ideen. Wo wäre es besser und leichter, die allumfassende Kraft der Künstlichen Intelligenz walten zu lassen, als im Kinderzimmer – durch eine KI-erweiterte Barbie, die als Vorbild, Ratgeberin, Freundin und Erziehungsbeauftragte in jeder Minute dem Kind beibringen kann, wo es langgeht, um sich als KI-Gefährtin unersetzlich zu machen?
Die KI-Barbie ist der perfekte Einstieg in einen Business-Lifecycle
Das ist aus ökonomischer Perspektive eine Riesenchance. Mattel zieht mithilfe von OpenAI die Kundinnen und Kunden heran, die niemals mehr ohne KI leben können werden, weil sie es nicht mal mehr im Kinderzimmer gelernt haben – der perfekte Einstieg in einen wörtlichen Business-Lifecycle. „KI hat das Potenzial, die Reichweite unserer Marken auf neue und spannende Weise zu vergrößern“, heißt es dazu bei Mattel.
Aber ist diese Strategie auch dazu angetan, das Potenzial und die Lebensreichweite der Kinder zu vergrößern?
Genau dazu sollte ein Spielzeug beitragen. Auch ich habe in meiner Kindheit mit Barbie gespielt. Gemeinsam mit Freundinnen verflossen ganze Nachmittage im Rollenspiel, wo war nur die Zeit geblieben? Genau darum geht’s. Die Zeit, die Kinder mit Fantasiespiel verbringen, ist wertvolle Lernzeit.
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Im Üben und Anwenden der eigenen Vorstellungskraft entwickeln Kinder das eigene Denken, ihre Sprach- und Kommunikationsfähigkeit. Sie lernen, Ängste und Konflikte zu verarbeiten und sich spielend im Sozialgefüge der eigenen Gruppe zurechtzufinden.
Spiele sind auch ein Weg, in den Zustand zu finden, den der ungarische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi 1990 als „Flow“ bezeichnet hat: ein neugieriger, alles absorbierender Geisteszustand, in dem man bei sich selbst und gleichzeitig unglaublich produktiv und kreativ ist. Dieser oft missverstandene Zustand fällt dem Menschen nicht zu. Er ist auch nicht talentabhängig, sondern entsteht durch Übung.
Wiederholung schafft ein Muskelgedächtnis, das man braucht, um gut in einer Sache zu werden. Menschen, die brillante Schachspieler werden wollen, beginnen damit am besten in der Kindheit. Das Gleiche gilt für die Musik: Wer ein Instrument beherrschen will, muss früh anfangen zu üben.
Und schließlich lernen Kinder schon im Spiel, einen Geschmack oder gar Stil zu entwickeln. Wer einmal mit fünf Jahren der schönen blonden Barbie die Haare geschnitten hat, erfährt unwiderruflich, wie wichtig Stilmerkmale sein können und dass sie Teil des eigenen sozialen Kapitals sind. Als ich meine Barbie zur Punkfrau rasiert hatte, wollte niemand mehr mit mir tauschen. Ich war dauerhaft auf meinen eigenen Stilmangel zurückgeworfen.
Einen Geschmack zu entwickeln, das entsteht nicht durch Zufall oder algorithmische Zurechnung, sondern durch sozialen Abgleich und Training. Dafür braucht es Beobachtungsgabe, Unterscheidungsfähigkeit und Reflexionsvermögen.
Es gibt ganz schön viel zu tun im Kinderzimmer. Und das Gute ist: Die meisten Kinder brauchen nicht viel, um sich für die Fantasiespiele zu begeistern, die sie aufs Leben vorbereiten.
Spielzeuge können dabei hilfreich sein – aber nur, solange sie Medien der kindlichen Verwirklichung sind. Das muss sich nicht ändern, wenn KI im Kinderzimmer Einzug hält. Aber wer glaubt ernsthaft, dass KI-Unternehmen und Spielehersteller sich freiwillig zurückhalten, wenn es darum geht, die eigenen Produkte quasi in der Kleinkind-DNA der Menschheit zu verankern?
Neue Agenten im Kinderzimmer
KI-Spielzeuge werden aber die neuen Agenten im Kinderzimmer. Dafür sorgt schon der „Conversational Mode“, der KI von anderen Technologien unterscheidet. Er macht die KI-Modelle zu unermüdlichen Labertaschen, denen nie die Worte fehlen. Sie wissen immer etwas vorzuschlagen, haben eine Lösung oder einen Witz parat, geben hilfreiche Hinweise auf Basis der Mainstream-Mustererkennung aus Milliarden von historischen Daten – und sind damit ideale Werbeträger.




Denn neben der frühzeitigen Markenbindung geht es auch um etwas anderes: Die Daten aus den vielfältigen Interaktionen mit Kindern werden gesammelt, analysiert und verwertet, lange bevor unsere Jüngsten selbst überhaupt verstehen, was Privatsphäre bedeutet.
Barbie war immer die Projektionsfläche kindlicher Träume und Fantasien. Jetzt wird sie womöglich zur Plattform datengetriebener Produktpädagogik. Ein Kind braucht aber keine algorithmisch-allwissende Spielgefährtin, sondern den Freiraum zum Selberlernen. Nur so gelingt es, das eigene Denken zu entwickeln.






