Ausstellungen in Paris und Essen: Mode macht Kunst, Kunst macht Mode
Benachrichtigung aktivierenDürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafftErlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviertWir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke
Anzeige
Ausstellungen in Paris und EssenMode macht Kunst, Kunst macht Mode
Ab diesem Monat zeigen zwei große Ausstellungen in Paris und Essen, wie nah sich Kunst und Mode mittlerweile sind. Dabei währt die Liaison schon länger – durchaus zum beiderseitigen Nutzen.
und Als wäre er einem seiner eigenen Filme entsprungen, mimt Tim Burton (links neben Helena Bonham Carter und Karen Elson) selbst den Seher und Sucher. „Tales of the Unexpected“ heißt das Bild. Aufgenommen hat die surreale Freiluft-Inszenierung Tim Walker. Hier dreht sich alles ums Sehen und Gesehenwerden. Also um das, was Mode und Kunst verbindet.
Die Kunst des US-Regisseurs Tim Burton ist vielfältig und surreal. Sie liebt die Überraschung und schreckt vor nichts zurück. Im Zweifel nicht einmal vor dem Kommerz.
„Tales of the Unexpected“ hieß ein Projekt, für das sich Burton im Jahr 2008 gemeinsam mit seiner schauspielernden damaligen Ehefrau Helena Bonham Carter und dem Model Karen Elson vor die Kamera des Fotografen Tim Walker stellte. Für die britische „Vogue“. Als skurrile Fantasiegestalten purzelten die drei aus einer XXL-Glotze, deren Mattscheibe zertrümmert am Wiesenrand lag. Hier ging es nicht um platte Werbung, sondern um die Überhöhung der jüngsten Konsumverlockung. Burton inszeniert das Sehen und Gesehen-Werden. Kurz: die Essenz von Mode, die ja nie nur Konsum ist, sondern ihre Konsumkritik mittlerweile gern gleich mitdenkt, ja befeuert und daraus wiederum neue Glaubwürdigkeit schöpft. Wenn es gut läuft. Und diese Liaison zwischen Kunst und Mode läuft besser denn je, wie dieser Herbst zeigt.
Ab 7. Oktober zeigt das Folkwang-Museum in Essen die Schau „Dancing with Myself. Selbstporträt und Selbsterfindung“. Sie stammt aus der umfangreichen Sammlung von François Pinault, zu dessen Konzern Kering wiederum glanzvolle Marken wie Yves Saint Laurent, Gucci, Bottega Veneta, Brioni und Alexander McQueen gehören. Pinault betreibt bereits zwei Museen in Venedig und plant eines in Paris. In Essen verschmelzen seine Leihgaben dialogisch mit den dortigen Werken. Leitfaden sind die Beschäftigung mit dem Körper und Fragen der Identität.
Ein anderer Modegigant präsentiert die Kunst der Einfachheit halber gleich im eigenen Haus: Ab 22. Oktober zeigt die Fondation Louis Vuitton in Paris „Icons of Modern Art. The Shchukin Collection“. Denn auch Bernard Arnault, der sagenumwobene Langzeitchef des Pariser Luxusmarken-Konglomerats Moët Hennessy Louis Vuitton SE (kurz: LVMH), pflegt die fruchtbare Nähe von Kunst, Mode und Architektur.
Stararchitekt Frank Gehry hat Arnaults Stiftung vor zwei Jahren am Pariser Bois de Boulogne eine sensationelle Heimat erschaffen. Hier erweist der Branchenführer der Luxusindustrie einem der hellsichtigsten Sammler der klassischen Moderne seine Reverenz: Sergei Iwanowitsch Schtschukin (1854 bis 1936). Der Geschäftsmann hatte für seine Moskauer Sammlung Bilder von Claude Monet, van Gogh und Henri Matisse erworben, als die noch verlacht wurden. Ausgerechnet der Unternehmer Schtschukin erkannte früh die Bedeutung von Pablo Picasso und Paul Cézanne.
Und noch eine dritte europäische Modemacht rundet den Eindruck ab, dass die Grenzen zwischen der hehren Kunst und dem bisweilen hyperventilierenden Modegeschäft zusehends verschwimmen: Die Mailänder Modemacherin Miuccia Prada sammelt gemeinsam mit ihrem Mann Patrizio Bertelli intensiv zeitgenössische Kunst. Die Prada Foundation zeigt bereits seit 1993 Kunstausstellungen. Vorläufiger Höhepunkt war im vergangenen Jahr die Eröffnung einer Gruppe von Museumsgebäuden auf dem Gelände einer ehemaligen Destillerie am Stadtrand von Mailand – erdacht von Rem Koolhaasʼ Architekturbüro OMA.
Wann und Wo – Daten zu den Ausstellungen in Essen und Paris
„Dancing with Myself. Werke aus der Sammlung Pinault“, 7. Oktober bis 15. Januar 2017, Museum Folkwang, Essen, www.museum-folkwang.de
„Icons of Modern Art. The Shchukin Collection“, 22.Oktober bis 20. Februar 2017, Fondation Louis Vuitton, Paris, www.fondationlouisvuitton.fr
Pinault, Arnault, Prada sind nur drei aktuelle Belege für eine Partnerschaft, die weit zurückreicht. Schon 1910 entwarf der Jugendstilkünstler Henry van de Velde das korsettlose Reformkleid. Frauen, die für ihr Wahlrecht kämpften, wollten sich nicht länger einschnüren lassen. Eine Generation später spielten die Frauen anders mit ihrem Sex-Appeal. Da überließ der extrovertierte Surrealist Salvador Dalí der Modeschöpferin Elsa Schiaparelli sein erotisch aufgeladenes Hummer-Motiv. Die New Yorkerin ließ das Krustentier 1936 auf ein Abendkleid drucken – allerdings mit den Scheren nach unten. Die „Vagina dentata“ war nicht mehr ganz so offensichtlich wie noch bei Dalí.
Ein Couturier, der selbst exzessiv Kunst sammelte, war Yves Saint Laurent. Um seine Kundinnen zu überraschen, übernahm YSL 1965 für seine Etuikleider nüchterne Kompositionen des Malers Piet Mondrian. Der Modeschöpfer formte die Kleider so, dass ihr Schnitt so schuhschachtelig kantig ausfiel wie das gemalte Original. Weniger eine Hymne an weibliche Formen als eine intellektuelle Hommage an den Künstler, der mit klarer Reduktion die Kunst revolutionierte.
So öffnete sich die Mode der Kunst, aber auch die Kunst der Mode. Schon lange spielt der Street Look eine bedeutende Rolle in beiden Welten. „Kunst ist etwas für die Augen. Egal ob in der U-Bahn oder in einer Galerie“, sagte der 1990 verstorbene Künstler Keith Haring. Der Wahl-New Yorker überzog die Stadt seit 1980 mit humoristischen Hieroglyphen. Haring war einer der ersten, die das „Tagging“ als Kunstform betrieben, wie es mittlerweile von Banksy zur Perfektion entwickelt wurde. Der Trend gefiel auch Vivienne Westwood, die ihrerseits als Erfinderin der Punk-Mode die Straße früh im Visier hatte. In den frühen achtziger Jahren präsentierte die Modeschöpferin T-Shirts, Jacken und Mäntel, die sich mit Tags oder neu interpretierten Azteken-Zeichen von Haring schmückten.
E.P. Cutler/Julien Tomasello – Art + Fashion: Collaborations and Connections Between Icons
Chronicle Books
San Francisco, USA 2015
224 Seiten
Sprache: Englisch
ISBN: 9781452138695
ca. 50 Euro
Es wachsen nicht nur Mode und Kunst zusammen, sondern auch Pop, Architektur und Design, Lifestyle aller Art. Kunst ist Kommunikation. Christian Dior war ursprünglich Kunsthändler. François Pinault gehört Christie’s. Alle eint der Imperativ: Sei überraschend! Das haben die Modekonzerne verstanden und sich in den letzten 20 Jahren immer stärker profiliert als Global Player im Kunst- und Ausstellungsgeschäft. Da ist es geradezu zwangsläufig, dass Karl Lagerfeld zum Multimedia-Artisten avanciert, Bottega Veneta seine neueste Kollektion samt 50. Firmen-Geburtstag jüngst in der Mailänder Kunstakademie Accademia di Belle Arti di Brera zelebrierte oder Hermès die Schaufenster seiner Düsseldorfer Boutique von Kunststudenten gestalten ließ.
Und so wird aus Mode auch Kunst, etwa beim skandinavischen Duo Michael Elmgreen und Ingar Dragset, das als Standort seines Werks „Prada Marfa“ gleich die Wüste wählte. Kurz nach den Nullerjahren ärgerten sich die beiden über die Verdrängung in New Yorks Stadtteil Chelsea. Dort, wo gerade noch eine Galerie Kunst ausgestellt hatte, kündigte Prada einen neuen Shop an. Um Kritik an der Konsumkultur zu üben, bauten sie als Installation einen Prada-Laden nach: mitten in der Wüste von Texas, 37 Meilen von Marfa entfernt. Das Städtchen ist seit 1971 ein Pilgerort für alle Fans der Minimal Art von Donald Judd und Dan Flavin.
Statt eines Schuhpaares wird in dem Potemkin’schen Shop immer nur der rechte Schuh ausgestellt. Miuccia Prada unterstützte das Projekt „Prada Marfa“ sogar. Sie gab den Markennamen und suchte Stücke fürs Schaufenster aus – wohl wissend, dass nichts so unangreifbar wird wie ein Label, das sich die Kritik von außen zu eigen macht. Die Mischung aus Pop und Land Art war von Anfang an Ziel von Vandalismus und Raub. „Die Arbeit liegt außerhalb unserer Kontrolle“, räumen Elmgreen & Dragset ein und nehmen den Verfall gelassen. Es ist das bis heute vielleicht eindrücklichste Werk zum Thema geworden. Mode, Kunst und die Kritik an beiden – alle haben gewonnen. Und verloren.
Top-Werber Jean-Remy von Matt spricht im Exklusiv-Interview über eine jugendfixierte Gesellschaft, das grassierende Hierarchie-Bingo in den Konzernen, seine Liebe zu „Mad Men“ und die Brüste seiner Frau.
Weitere Themen im neuen Handelsblatt Magazin N° 4 (Oktober 2016) u.a.:
Es ist Liebe: Wie Kunst und Mode sich gegenseitig befeuern
Die Monster AG: Das Geschäft mit dem Smartphone-Spiel Pokémon Go
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.