Gallery Weekend: Galerienrundgang in Berlin

Berlin. Das Berliner Gallery Weekend ist wieder breit aufgestellt. Das Programm der beteiligten 55 Galerien und weiterer Händler reicht von deutscher Abstraktion im Kunsthandel Wolfgang Werner bis zu neuen künstlerischen Positionen, wie sie die Landschaften der Amerikanerin Haley Mellin bei Dittrich & Schlechtriem verkörpern. Daneben gibt es ein Comeback der Malergruppe Mülheimer Freiheit bei Haas und starke Auftritte von Altmeistern wie Sean Scully bei Hetzler. Darüber hinaus laden zahlreiche Pop up-Ausstellungen unterschiedlicher Qualität zum Besuch. Wer das überbordende Kunstprogramm nur halbwegs bewältigen will, braucht mehr als drei Tage.
In Charlottenburg treffen wir alte Bekannte. Nevin Aladag zeigt bei Wentrup Klangbilder, auf denen die Malerei mit Saiten, Glöckchen, Mundstücken und Schlaginstrumenten so bestückt ist, dass man wie schon bei früheren Arbeiten von klingender Kunst reden kann. Das Neue an ihnen ist ihre multiple Wirkung: als strahlendes Bild, als Skulptur und als Klangkörper. Die Preise für die neuen Arbeiten liegen bei 21.000 bis 58.000 Euro.
Bei Contemporary Fine Arts (CFA) in der Parallelstraße hat die amerikanische Malerin und Konzeptkünstlerin Eliza Douglas ihre Ausstellung „Gift“ eingerichtet, die hyperrealistische Malerei mit breiten Bändern und Schleifen überschnürt, sodass die Sujets – lachende Knaben, Landschaften, ein Porträt ihres Bruders – nur partiell zu erkennen sind. Die vom Internet inspirierte Malerei wurde in einem chinesischen Malerbetrieb, bei dem sich schon andere Künstler bedienen, nach den Vorlagen von Eliza Douglas geschaffen.
Mit den Banderolen wird die Merkantilisierung einer Kunst vor Augen geführt, die Statussymbol und Marktobjekt zugleich ist und deren gesellschaftliche Relevanz es immer wieder neu zu hinterfragen gilt. Die Preise für die Gemälde liegen zwischen 20.000 bis 36.000 Euro.
Die Galerie Grunenberg hat ihrem wichtigsten Künstler Brandon Lipchik die dritte Einzelschau ausgerichtet. Sie zeigt, dass der amerikanische Maler seine unverkennbare Handschrift weiterentwickelt hat. Die immer größer werdenden Bilder sind expressiver, farbiger; die Figuren, die zum Teil mehrgesichtig sind, schweben im Raum und haben eine roboterhafte Anmutung.
Diese „Absolute Darlings“, die der Schau den Titel geben, sind am Computer bearbeitete Porträts von Verwandten, Freunden, Instagram-Ikonen, die mit dem Pinsel auf die Leinwand übertragen werden. Das schafft eine zweite Dimension, in der sich das Artifizielle dramatisch aufladen lässt. Preislich liegen die Arbeiten zwischen 16.000 bis 55.000 Euro.

In den Mercator Höfen treffen sich Kontraste. Die inzwischen 70-jährige Cornelia Schleime gehört seit letztem Jahr zu Judins Künstlerstamm. Ihre erste Einzelausstellung hier hat den poetischen Titel „Ohne Lippen sind die Zähne kalt“. Es sind 20 Porträts junger Mädchen, die uns teils skeptisch, teils verletzt, teils trotzig anblicken. Eine reitet in den Abgrund, andere werden von Vögeln und Schlangen bedrängt. Aber sie behalten als selbstbewusste Geschöpfe ihre Würde.
Die Künstlerin, deren Frühwerk in Opposition zum SED-Staat entstand, gibt hier einen Teil ihrer Unbeugsamkeit an ihre Modelle ab. Die Preise für die zum Teil großformatigen Bilder liegen bei 34.000 bis 108.000 Euro. Nebenan bei Hetzler reihen sich die Hochformate des von der New Yorker Galerie Gagosian geförderten Kaliforniers Mark Grotjahn aneinander. Hier sind es gleichgroße Strahlenbilder, das Markenzeichen des Malers, der schon mal farbintensiver war.
Im obersten Stockwerk dieses Galeriezentrums zeigt Esther Schipper eine Doppelschau, in der sich der Berliner Julius von Bismarck und die Belgierin Veronica Janssens begegnen. Die Lichtkünstlerin schafft Werke, die in Weitsicht strahlen und beim Umwandern luzide räumliche Leuchtwirkungen erreichen.
Eine Doppelskulptur Bismarcks zeigt den römischen Wolf neben einem gleichgroßen ausgestopften Exemplar. Beide verbindet, wie schon das zu Fall gebrachte Bismarck-Denkmal, das der Künstler im letzten Jahr in der Berlinischen Galerie zeigte, einen Mechanismus, der sie zum Einknicken bringt: der Wolf als Angstklischee, dem ein Kollaps droht (200.000 Euro). In seiner Stammgalerie Levy zeigt der Künstler Werke, die Spekulationen über die Artificial General Intelligence mit religiösen prophetischen Narrativen verbindet.

Mit der Erwin Wurm-Schau hat die König Galerie wieder ein Highlight geschaffen. Wer kennt sie nicht: die auf hohen Beinen wandernde Einkaufstasche, das Kopfkissen, aus dem kniende Beine wachsen. Im Kirchenschiff der Galerie hat der österreichische Künstler eine Batterie von Skulpturen aufgestellt, die mit blanker Ironie den Hohlraum feiern. Die Sessel, über die Kleidung gespannt wurden (komplett in Aluminium gegossen), die menschenleeren Klamotten, die sich so wirkungsvoll als Bronze-Denkmal gerieren. Das alles, umringt von neuen skulpturalen Bildern, schafft eine Sicht, in der das Körperliche körperlos paradox erscheint.
Die Hülle wird zum Vehikel einer Entpersönlichung, die den Leitspruch „Kleider machen Leute“ ad absurdum führt. Die Preisspanne für die ausgestellten Werke reicht von 70.000 bis 270.000 Euro.
„Territory“ ist der Titel einer bei SprüthMagers von fünf asiatischen Künstlerinnen gestalteten Gruppenausstellung. Sie thematisiert Grenzbefragungen in der Natur, im öffentlichen Raum, in der Erinnerung und in einer traumatischen Innenwelt.
Der Duft thailändischen Talkumpuders


Den größten Kontrast innerhalb dieses Spektrums bilden vor allem zwei Arbeiten. Zum einen die von rotierenden Betonmischern und Betonskulpturen beherrschte Installation der Koreanerin Mire Lee, die Traumatisches abarbeitet. Die Chinesin Tan Jing baut aus Erinnerung, Fiktion und Folklore einen poetischen Raum, in dem man auf zerbrechliche Gipsfliesen tritt, in die thailändische Gewürze eingemischt sind. Aus Stoffblumen strömt der Duft thailändischen Talkumpuders, ein Video bezieht sich auf die Biografie ihres Großvaters, der in den fünfziger Jahren aus Thailand in das Mao-Reich remigrierte. Allein schon diese subtile weibliche Perspektive macht die Ausstellung sehenswert.
Die Matt Mullican-Schau bei Thomas Schulte ist ein museales Großaufgebot. 449 Reliefplatten aus Magnesium und ihre Abriebe auf Papier füllen die Wände bis zur Decke. Es sind Reproduktionen von Abbildungen aus der „New Edinburgh Encyclopedia“ von 1825, in denen unterschiedlichste Wissensgebiete bildlich erfasst und kategorisiert sind. Es sind Abbilder und doch mehr: Durch ihre Übertragung in ein anderes Material und dessen Abklatsch und durch die visuelle Aneinanderreihung haben sie sich in einen monumentalen Schausaal verwandelt, der besser in einem Museum als in einer Privatsammlung zur Geltung käme. 650.000 Dollar ist der Preis für diesen kosmischen Gesamtkomplex.
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