Geschäfte mit dem Denkmal Versailles: Le business, c’est moi!

Besucher flanieren im Garten auf der Rückseite des Schlosses.
Paris. Der Sonnenkönig rauscht in Seidenstrümpfen durch die menschenleere Spiegelgalerie des Schlosses. Eine junge Frau mit tiefem Dekolleté läuft hinter ihm her. Die beiden stürzen in ein Zimmer, lassen sich auf ein prunkvolles Bett fallen. Die Frau wirft ihre Kleider ab und setzt sich nackt auf den König. Der Rest ist Stöhnen. Willkommen am Hof. Willkommen in Versailles. „Wir haben Sex, wir haben Intrigen, wir haben den Sonnenkönig.“ Zufrieden klappt Fabrice Larue seinen Laptop mit dem Werbe-Video zu. Mit seinem Medienunternehmen Newen produziert er „Versailles“, die teuerste je in Frankreich gedrehte TV-Serie. Sie soll im Herbst zum 300. Todestag des Monarchen auf die Bildschirme kommen.
Die neue Serie wurde zum Teil am Originalschauplatz gedreht: In dem Schloss, das der Sonnenkönig, Ludwig XIV. ab dem Jahr 1667 bauen ließ – und das seitdem auf der ganzen Welt eine Chiffre für französische Lebensart ist. Mit allem, was den einen verlockend, den anderen anrüchig oder gar abstoßend erscheint.
Ungerührt lässt Frankreichs wohl prachtvollstes Bauwerk, das der Schriftsteller Stefan Zweig einst als „kalten Steinklotz“ bezeichnete, niemanden. Die einen denken bei Versailles an die feine französische „Art de vivre“, für die anderen ist es ein Symbol für die Alleinherrschaft eines Monarchen und den sinnlosen Prunk eines Hofstaats. Wieder andere erkennen in dem Schlossgarten mit seinen spiegelnden Wasserflächen das Urbild des vom Landschaftsarchitekten André Le Nôtre geprägten streng geometrischen Stils. Für viele Deutsche steht Versailles nach wie vor auch für die Gründung des Kaiserreiches im Spiegelsaal im Jahr 1871 – oder den Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg.
Versailles ist heute aber viel mehr als ein Kulturdenkmal. Schloss und Park sind Drehort, Partylocation, Lizenzgeber, Museum, Veranstaltungsort wissenschaftlicher Symposien und Werbepartner für die Hersteller von Gartenmöbeln oder Schokolade. Alles in allem: Versailles ist eine der größten kulturellen Geldmaschinen der Welt. Von den Geldströmen, die durch Versailles fließen, können Kultureinrichtungen in anderen Ländern nur träumen. Der Umsatz entspricht dem eines mittelständischen Unternehmens. 155,5 Millionen Euro hat „L’Établissement public de Versailles“, so lautet der offizielle Name seit 1995, im vergangenen Jahr eingenommen. Der größte Teil davon fließt in die Renovierung von Schloss und Garten – eine Daueraufgabe.
Serienproduzent Fabrice Larue trägt dazu sein Scherflein bei: Rund 20.000 Euro pro Tag muss er dafür bezahlen, dass er am Originalschauplatz drehen darf, dass seine Darsteller durch die Gänge des Palastes laufen dürfen.
Eine Spur des Goldes
Die neue Serie ist nur ein Beispiel. Der Sonnenkönig hat eine Spur des Goldes gelegt, die breit ist und sich bis in die heutige Zeit zieht. Doch während Versailles früher Reichtümer verzehrt hat, schafft es heute Werte.

Von den Geldströmen, die durch Versailles fließen, können andere Kultureinrichtungen nur träumen.
„Le business, c’est moi!“, würde Ludwig XIV. sagen, wenn er heute in das Schloss zurückkehren könnte, das er 1682 zum Regierungssitz mit Anwesenheitspflicht für aufmüpfige Adlige erklärte, die seine Herrschaft bedroht hatten. Die Sonne wählte er zu seinem Symbol, weil er sich selbst als Zentralgestirn seines politischen Systems sah – „L’État, c’est moi!“, „Der Staat bin ich!“. Das sollte genauso unabänderlich sein wie das Sonnensystem. Anders als seine Nachfolger war der Sonnenkönig nicht nur ein Genuss-, sondern auch ein raffinierter Machtmensch. Er schlug die Fronde, den Aufstand des Adels nieder, und ließ Ludwig II. von Bourbon-Condé zum Tode verurteilen, weil der mit den Spaniern paktierte. Doch später begnadigte er den gefürchteten Krieger: Ein erfolgreicher Schlachtenlenker war für ihn nützlicher als ein weiterer toter Edelmann.
Den Anstoß zum Bau von Versailles gab die Einweihungsfeier eines anderen Schlosses, Vaux-le-Vicomte. Nicolas Fouquet, der Finanzminister des Sonnenkönigs, ließ es im Süden von Paris bauen. Die Anlage und die verschwenderische Einweihungsfeier reizten Ludwig bis aufs Blut. Er wollte Fouquet noch in der Nacht verhaften lassen, wartete dann aber zwei Wochen ab. Sein Finanzminister war dem Sonnenkönig zu mächtig geworden – und wanderte für den Rest seines Lebens in den Kerker. Ein großer Teil von Fouquets Möbeln, Gemälden und Wandteppichen wurde nach Versailles verfrachtet. Der Sonnenkönig verstand es, pragmatisch das Rücksichtslose mit dem Nützlichen zu verbinden.
Die 900 Mitarbeiter, die heute den Palast und die königliche Domäne verwalten – zu der auch das große und das kleine Trianon sowie „le hameau“, das Spielzeug-Bauerndorf Marie-Antoinettes gehören – dürfen nicht nur, sie müssen kommerziell denken. Der Staat hat sie vor 20 Jahren in die begrenzte Freiheit entlassen. Heute trägt er nur noch weniger als ein Drittel zu den Einnahmen bei, die Gehälter der Beamten eingerechnet. „Sie haben mir eine Million Euro abgenommen“, sagt Thierry Gausseron geknickt. Der Verwalter kommt gerade von einem Treffen im Finanzministerium, bei dem man ihm eröffnet hat, dass die staatlichen Zuschüsse 2015 um eine Million Euro gekürzt werden. Frankreich muss sparen, und die Entschlossenheit der Budgetwächter macht auch vor Frankreichs zweitwichtigster Kulturstätte – die wichtigste ist der Louvre – nicht halt. 7,7 Millionen Besucher hat sie im vergangenen Jahr gezählt, im Louvre waren es rund neun Millionen.
Gausseron ist ein ungewöhnlicher Verwalter. Der frühere Offizier war im Auslandseinsatz in Ex-Jugoslawien, als er sein Philosophie-Examen ablegte. Er hat danach an der Eliteschule ENA studiert und ist über das Musée d’Orsay in Paris zur Kunst gekommen. Was suchen die Besucher, 80 Prozent von ihnen Ausländer, in und was verbindet sie mit Versailles? „Viele lockt der Sonnenkönig“, sagt Gausseron. Marie-Antoinette sei ebenfalls ein wichtiger Zugang, „viele glauben, sie sei die Frau Ludwig XIV. gewesen.“ Die französische „Art de vivre“, die sie im Schloss verkörpert finden, sei ebenfalls ein wichtiges Motiv.
Die Faszination zahlt sich aus
Die Besucher lassen es sich etwas kosten, dem Sonnenkönig und der geköpften Frau seines Nachfahren Ludwig XVI. nahe zu kommen. 15 Euro Eintritt sind allein für den Besuch des Schlosses fällig. Eine Führung kostet weitere sieben Euro. Wer aber auch das große und das kleine Trianon sowie das Bauerndorf im weitläufigen Park besuchen will, zahlt noch einmal zehn Euro. Es sei denn, er kauft gleich am Eingang das Kombi-Ticket für 18 Euro. Das schnellt auf 25 Euro in die Höhe, wenn die Wasserspiele im Park angestellt werden. Wer später nicht draufzahlen will, kauft gleich den „Paris Museum Pass“ für 42 Euro und kann alle staatlichen Museen, Schlösser und Ausstellungen besuchen. EU-Bürger unter 26 kommen übrigens gratis ins Schloss von Versailles.
51,4 Millionen Euro hat die Domäne im vergangenen Jahr allein durch den Ticketverkauf erlöst. Die Faszination zahlt sich also nach wie vor aus. Doch wie lange noch? Gausseron würde gerne aktuellere Angebote schaffen. Versailles soll nie in Gefahr kommen, nur noch ein besseres Disneyland zu sein. „Versailles ist mit der Zeitgeschichte verbunden: Im 19. Jahrhundert wurde hier ein historisches Museum eingerichtet, das würden wir gerne wieder für die Besucher öffnen, und General de Gaulle hat von hier aus in den 60er-Jahren Politik gemacht.“ Versailles sei viel mehr als Absolutismus und Revolution, und man wisse aus Umfragen, dass großes Interesse auch an neueren Themen bestehe, versichert Gausseron.
Neue Akzente zu setzen verlangt aber einen Abstimmungsprozess mit Kuratoren und Politik. Überhaupt hat die Freiheit vom Staat in Versailles Grenzen. So hat die Politik verfügt, dass jüngere EU-Bürger freien Eintritt erhalten. Für Versailles war das ein Verlust in zweistelliger Millionenhöhe, den aber die öffentliche Hand nicht ausglich. Den Löwenanteil der für Unterhalt und Renovierung nötigen Gelder muss die Verwaltung ohnehin ohne staatliche Hilfe aufbringen.
Behutsame Vermarktung

Doch die Verwalter des modernen Versailles sind findig genug. So haben sie insgesamt 15 Begriffe als Marke schützen lassen, von „Château de Versailles“ über „le Roi-Soleil“ (Sonnenkönig) bis „Marie-Antoinette“. Wer einen der geschützten Begriffe nutzen will, muss Lizenzgebühren entrichten. Bei der Vermarktung des Schlosses gehen die Verantwortlichen jedoch behutsam vor, „um die Marke nicht zu gefährden“, wie Gausseron sagt. So werden auch die meisten der mehreren Tausend Anträge auf Drehgenehmigungen, die jedes Jahr eingehen, abgelehnt. Ähnliches gilt für die Vermietung der Räumlichkeiten. Die Auswahlkriterien sind ebenso hart wie klar: Waffenhersteller, Parteien und religiöse Organisationen kommen nicht durch die vergoldeten Gitter. Und die Preise sind hoch: Die Miete für die Orangerie kostet für ein Business-Dinner oder eine große Geburtstagsfeier etwa 70.000 Euro.
Dennoch: Ohne Mäzene könnte das heutige Versailles nicht existieren. Im vergangenen Jahr hat die Domäne mehr als 50 Millionen Euro an Spenden eingenommen. „Für Frankreich ist das Mäzenatentum noch recht neu, unsere Tradition war vom Katholizismus und dessen sprödem Motto ‚Lärm führt zu nichts Gutem, das Gute macht keinen Lärm‘ geprägt“, sagt François Debiesse von der Organisation Admical, die Mäzene berät. Mittlerweile spenden französische Unternehmen jährlich fast zwei Milliarden Euro, vor allem für soziale Zwecke und Gesundheit, an dritter Stelle folgt die Kultur, in die 360 Millionen Euro fließen. Doch das Aufkommen ist rückläufig.
Das mittelständische Unternehmen Versailles könnte seine Aktivitäten deutlich ausweiten, um nicht auf ewig vom Image des Sonnenkönigs zu leben. Und auch, um sich auf womöglich kommende weitere Kürzungen staatlicher Förderung vorzubereiten. Doch die Lage ist verzwickt. Die Verwaltung darf kein zusätzliches Personal engagieren. Der staatliche Einstellungsstopp gilt auch für das Schloss der Schlösser – eine widersinnige Regel, weil jeder Euro für zusätzliche Mitarbeiter mehr Umsatz bringen würde. So könnten weitere Säle geöffnet werden, die heute mangels Aufsehern in großer Zahl geschlossen bleiben. Außerdem ließe sich durch längere Öffnungszeiten der Besucherandrang viel besser verteilen. Den vorgesetzten Kultur- und Finanzbürokraten ist das egal, sie wenden stur den Einstellungsstopp an. So heißt es sommers wie winters schon um 17 Uhr: Raus aus dem Schloss! Bei schönster Nachmittagssonne werden die verwunderten Besucher hinauskomplimentiert. Das Zeremoniell von Versailles ist heute so höfisch wie zu Zeiten des Sonnenkönigs.









