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KunstmarktAuktionen in London: Stabil in instabiler Welt

Bei Christie's und Sotheby's gehen die Preise für jüngste Kunst durch die Decke. Sammler lassen sich vom Weltgeschehen noch nicht beeindrucken.Stephanie Dieckvoss 03.03.2022 - 15:18 Uhr Artikel anhören

Die vom französischen Rokoko inspirierte Landschaft erzielte 2,7 Millionen Pfund, mehr als das Zehnfache der Schätzung.

Foto: Sotheby's

London. Der Kunstmarkt ist oft gegenzyklisch und kontraintuitiv,“ fasst Keith Gill den Erfolg von Christie‘s fünfstündiger Abendauktion für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts in London zusammen. Der Christie’s Experte meint damit, dass die Annahme, bei Krieg kaufe kein Sammler mehr Kunst, falsch ist. Am Dienstagabend spielten dann auch 105 Lose 249 Millionen Pfund ein.

90 Prozent der Arbeiten aus drei Prestige-Auktionen fanden Käufer. Damit liegt der Umsatz genau in der Mitte der Vorabschätzung. Sie lag bei 208,5 bis 300 Millionen Pfund.

Ähnlich erfolgreich verlief die Sotheby’s Abendauktion am Mittwoch. Hier erbrachten nur 74 Lose 221 Millionen Pfund – das beste Ergebnis des Hauses an einem Tag in Europa. Der Umsatz lag ebenfalls im Rahmen der Schätzung, die Verkaufsrate bei 88 Prozent.

Das Angebot bei Christie‘s und Sotheby‘s war vielfältig und reichte vom Frühimpressionismus der 1860er-Jahre bis zur gehypten aktuellen Kunst. Diese Mischung sprach eine Käuferschicht aus der ganzen Welt an, die vor allem auch online in Millionenhöhe mitbot, unbeeindruckt vom Krieg in der Ukraine.

Beide Firmen brachten neue Formate ins Spiel, um vor allem den asiatischen Markt anzulocken. Christie’s begann mit der ersten live übertragenen Auktion aus China, aus dem neuen Firmenhauptsitz in Schanghai.

Das einzige internationale Auktionshaus, das in China Auktionen durchführen darf, beschreibt den Auktions-Marathon zwar als Erfolg. Jedoch verlangte der langsame Auftakt aus China Bieterinnen wie Beobachtern viel Geduld ab. Auf asiatische Kunden zugeschnittene Werke, Verzögerungen mit der digitalen Technik und ein anderer Gebotsrhythmus drückten die Energie im Saal.

Jean-Michel Basquiats „Il Duce“ erzielte als Toplos den Höchstpreis mit umgerechnet 11 Millionen Pfund oder rund 15 Millionen Dollar. Das dürfte für den Einlieferer bei Basquiats hohem Preisniveau enttäuschend sein. Aber ganz offenbar achten asiatische Käufer auch bei extrem gefragten Namen auf ein ausgewogenes Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Tatsache, dass Christie’s Teileigentümer der Arbeit war und auf sie in Festland-China hohe Einfuhrumsatzsteuer fällig wird, war der Nachfrage wohl eher abträglich.

Sotheby’s begann den Abend mit einer „Now“-Versteigerung, in der 20 Lose der jüngsten Kunst zum Aufruf kamen. Das Format hatte in New York ein erfolgreiches Debüt hingelegt.

Asiaten bewilligen Rekordpreise

Das Interesse an der jungen Malerin Flora Yukhnovich erzeugte ein Gebotschaos, in dem sogar der joviale Auktionator Oliver Barker kaum mitkam. Eine vom französischen Rokoko inspirierte Landschaft mit Figuren und dem anzüglichen Titel „Warm, Wet „N“ Wild“ erzielte mehr als das Zehnfache der Schätzung von 150.000 bis 200.000 Pfund. Der Preis von 2,7 Millionen Pfund stellt einen neuen Weltrekord auf.

Ähnlich heftig nachgefragt waren Arbeiten von Shara Hughes, Hilari Pecis, Rachel Jones und Robert Navan. Asiaten boten trotz der fortgeschrittenen Stunde aktiv mit und waren für die erzielten Weltrekorde mitverantwortlich. Hier waren 36 Prozent der Käufer unter 40. Der Erfolg der Now-Auktion brachte eine Energie in den Raum, von der der gesamte weitere Abend bei Sotheby’s profitierte.

Ein Sammler gab nicht auf, bis er bei 14 Millionen Pfund den Zuschlag erhielt.

Foto: Sotheby's

In den eigentlichen Abendauktionen unterschieden sich die Angebote der Häuser sehr. Christie’s ging mit Schwergewichten des deutschen Expressionismus, Francis Bacon und Pablo Picasso ins Rennen, während Sotheby’s ein marktfrisches Meisterwerk von René Magritte anbot. Das ikonische Bild von einem Haus in der Dämmerung wurde mit 59,4 Millionen Pfund zum teuersten Werk, das in Pfund jemals in Europa versteigert wurde.

Drei Telefonbieter trieben „L’empire des lumières“ , das 1961 für die Sammlerin Anne-Marie Gillion Crowet gemalt worden war, in die Höhe. Aus deren Sammlung wurde es eingeliefert und erhielt eine unveröffentlichte Schätzung von 45 Millionen Pfund. Am Ende ging das Bild an einen Kunden des neuen Asien-Chefs Alex Branczik.

Ein Van Gogh für gut 10 Millionen Pfund

Claude Monets „Nymphéas“ von 1914 bis 1917 aus einer japanischen Sammlung spielte bei einer Schätzung von 15 bis 20 Millionen Pfund 23,2 Millionen ein. Zuerst mit einer Gruppe von fünf Monets beworben, wurde einem Einlieferer die selbst gemachte Konkurrenz wohl zu heikel. „Les Demoiselles de Giverny“ wird erst im Mai in New York aufgerufen, wie das Haus in der Auktion bekannt gab.

Ein Sammler bei Sotheby‘s im Saal hatte sich in ein großformatiges Bild von David Hockney von 2017 verliebt. Er gab nicht auf, bis er zu einem Preis von 14 Millionen Pfund weit über der Taxe erfolgreich war. Farbenfrohe Hockneys sprechen immer noch internationale Sammler an. Vincent van Goghs „A Pair of Lovers“ war dagegen schon für gut 10 Millionen Pfund zu haben.

Das abstrakte Gemälde wurde für 1,7 Millionen Pfund, das Vielfache der Taxe, nach Asien vermittelt.

Foto: Sotheby's

Zwei Toplose bei Christie’s stellen schwere Verluste für deutsche Museen dar. 60 Jahre hing Franz Marcs Meisterwerk „Die Füchse“ von 1913 im Kunstpalast in Düsseldorf, bevor es nach einer kontroversen Restitution der Stadt an die Erben von Kurt und Else Grawi in London auf den Markt kam. Eine erwartete Schätzung von 35 Millionen Pfund war mit einer Garantie versehen.

Das Marc-Bild erzielte drei Gebote und verkaufte sich für 42,6 Millionen Pfund an einen anonymen Telefonbieter. Damit wurde es zum teuersten restituierten Objekt, das in Europe verkauft wurde und ein neuer Weltrekord. Doch ein echter Vergleichsmaßstab ist der Rekordpreis kaum. Dafür ist der Franz Marc-Markt viel zu stark ausgedünnt.

Verlust für die Staatsgalerie Stuttgart

Das Toplos der Surrealisten, denen Christie’s eine eigene Auktion ausrichtete, war ein Picasso-Gemälde von 1929. Im Katalog als „La fenêtre ouverte“ angeboten, ist es Besuchern der Stuttgarter Staatsgalerie jedoch seit 24 Jahren unter dem Titel „Das Atelier des Künstlers (Das offene Fenster)“ bekannt. Es stammt aus einem Konvolut von 24 Arbeiten, die die Nachkommen des Juristen Josef Steegmann der Staatsgalerie 1998 als Dauerleihgabe überließen.

Die Staatsgalerie Stuttgart erklärt auf Handelsblatt-Anfrage: „Mit ihren Sammlungsteilen sind die drei Erben unterschiedlich umgegangen. Wir sind jedoch dankbar, noch immer aus allen drei Steegmann-Sammlungen wunderbare Dauerleihgaben in unserem Bestand zu haben.“ Das Bild verkaufte sich mit nur einem Gebot zum unteren Schätzpreis für 16,3 Millionen Pfund mit Aufgeld. Da hatte sich alle Beteiligten mehr erhofft. Denn die Schätzung hatte bei 14 bis 24 Millionen Pfund gelegen.

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Ein einziges Gebot gab es auf das garantierte dreiteilige Bild „Triptych 1986-7“ von Francis Bacon aus den Jahren 1986/87. Laut Artnet-Magazin Reporterin Katya Kazakina gehörte es dem Architekten Norman Foster. Es war auf 35 bis 55 Millionen Pfund geschätzt worden. Mit Aufgeld brachte es 38,5 Millionen Pfund.

Die Schätzungen für deutsche Kunst waren alles andere als konservativ, nicht nur bei Franz Marc. Christie’s konnte für Gabriele Münter einen neuen Weltrekord aufstellen. „Gelbes Haus mit Apfelbaum“ verbirgt eine Landschaft auf der Rückseite und brachte 1,8 Millionen Pfund. Der Einlieferer macht einen schönen Gewinn. 2008 hatte er in einer Auktion nur 536.000 Pfund bezahlte. Allerdings muss die Qualität stimmen.

Eine großformatige Alpenlandschaft Ernst Ludwig Kirchners von 1918/19 konnte bei einer Taxe von 600.000 bis 800.000 Pfund keinen Käufer finden. Eine Landschaft von Hermann Max Pechstein aus dem Jahr 1912 war schon vor der Auktion zurückgezogen worden; eines von insgesamt fünf zurückgezogenen Losen.

Spekulanten setzen auf schnelles Geld

Bei Sotheby’s, das wenig deutsche Kunst anbot, wurde eine Landschaft von Max Beckmann von 1928 aus der Sammlung des Händlers Richard L. Feigen zurückgezogen. Möglicherweise bereitete hier die fehlende Herkunftsgeschichte für die Zeit vor 1938 Sorgen.

Der Handel sieht die Ergebnisse positiv. Martin Klosterfelde, seit wenigen Tagen Direktor der Skarstedt Gallery in London, bilanziert: „Die Ergebnisse bestätigen, dass Qualität auch in herausfordernden Zeiten zu hervorragenden Ergebnissen führt.“

Der italienische Kunstberater Mattia Pozzoni sieht es ähnlich: „Es fällt einem sehr schwer, einen Kommentar abzugeben, wenn wir die täglichen Nachrichten mit Trauer und Horror verfolgen. Die Energie der Auktionen liegt wieder bei den ultrazeitgenössischen Namen, die ihre Schätzungen buchstäblich durchbrennen. Das Mittelfeld, wie es immer öfter passiert, schafft es nur gerade.“

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Insofern spiegelt sich die Krise der Zeit doch wider – Spekulanten setzen auf schnelles Geld und im Zenit der Klassiker kann nichts zu teuer werden. Da werden Werte bewahrt und langfristig angelegt. Die Prestige-Auktionen mögen ein gutes Barometer für das Konsum- und Anlageverhalten der Ultrareichen darstellen, eine moralische Instanz sind sie nicht.

Mehr: Auktion in London: Franz Marcs „Die Füchse“ zum Weltrekordpreis versteigert

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