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MesseberichtKunst für die sammelnde Mittelklasse

Mit einer strikt zeitgenössischen Ausrichtung behauptet die traditionsreiche Turiner Messe „Artissima“ in einem schwierigen Marktumfeld ihre einzigartige Position.Stefan Kobel 30.10.2025 - 17:00 Uhr Artikel anhören
Die Berliner Galerie Esther Schipper präsentiert in diesem Jahr unter anderem Arbeiten von Thomias Radin. Foto: Andrea Rossetti

Turin. Dass Turin ein herausforderndes Pflaster für auswärtige Galerien darstellt, ist in der Kunstwelt kein Geheimnis. Dass trotzdem in den letzten Jahren auch etablierte Player des internationalen Messezirkus ihren Weg nach Norditalien zur „Artissima“ gefunden haben, dürfte an der engen Einbindung der italienischen Institutionen liegen. Allein durch die zahlreichen Jurys für die Sonderformate der Messe und die zu vergebenden Preise sind 56 Kuratoren aus dem In- und Ausland vor Ort.

So ist etwa Krinzinger aus Wien zum zweiten Mal mit dabei, Sies + Höke zum dritten Mal hintereinander. Mitgebracht haben die Düsseldorfer unter anderem kleinere Versionen der Steinskulpturen von Julian Charrière, die letztes Jahr im Palais de Tokyo in Paris zu sehen waren. Die Felsstücke aus verschiedenen Teilen der Erde mit eingelassenen Kugeln aus schwarzem Obsidian kosten 28.000 Euro. Das liegt an der Obergrenze dessen, was Privatsammler hier durchschnittlich auszugeben bereit sind. Damit bewegt sich die Artissima ungefähr auf dem Niveau von „Art Cologne“ oder „Arco Madrid“.

Die Düsseldorfer Galerie Sies + Höke zeigt kleinere Versionen der Steinskulpturen von Julian Charrière, die letztes Jahr im Palais de Tokyo in Paris zu sehen waren. Die Felsstücke aus verschiedenen Teilen der Erde mit eingelassenen Kugeln aus schwarzem Obsidian kosten 28.000 Euro. Foto: VG Bild-Kunst, Bonn; Sies + Höke, Düsseldorf, Foto: Andrea Rossetti

Mor Charpentier aus Bogotá und Paris gehört zum „Club der 21 Tage“. So nennt Messedirektor Luigi Fassi die Gruppe von rund 20 Galerien, die an drei aufeinanderfolgenden Wochen an den Messen in London, Paris und Turin teilnehmen. Philippe Charpentier ist sowohl hier als auch bei der Art Basel Miami Beach im Messebeirat. Er kennt also beide Seiten des Marktes sehr gut – die der auf Umsatz getrimmten Konzernmessen mit ihrem globalen Einzugsbereich und Werken im sieben- und achtstelligen Bereich und eben auch die andere, mehr im Lokalen verwurzelte Seite. Er findet: „Gerade bei der aktuellen Dominanz der Malerei im weltweiten Kunstmarkt ist ganz wichtig, dass Messen wie Arco und eben Artissima mit ihrer starken Anbindung an Institutionen andere Sparten wie Skulptur, Installation oder Performance in den Vordergrund stellen.“

Einen wichtigen Beitrag zum breiten Angebot der Messe leisten die unterschiedlichen Sektionen mit günstigen Standpreisen. Neben „Back to the Future“ mit zumeist weniger bekannten Positionen der Nachkriegskunst gehört dazu „Disegni“, was sowohl „Zeichnungen“ als auch „Entwürfe“ bedeutet und sehr weit gefasst ist. Das reicht von den intensiven Kohlezeichnungen Felix Shumbas (6000 bis 20.000 Euro), der im nächsten Jahr den Pavillon Zimbabwes in Venedig bestreiten wird, bei der Galleria Fonti aus Neapel, bis zu der All-over-Installation aus A4-großen Zeichnungen von Michele Guido bei Lia Rumma, ebenfalls aus Neapel.

Insgesamt stammen allerdings lediglich 40 Prozent der Galerien aus Italien. Der Rest kommt vor allem aus Europa, in diesem Jahr mit einem Fokus auf den Osten. Unter den zwölf Neuzugängen stammen nur drei aus Italien, während die übrigen unter anderem aus Städten wie Zagreb, Warschau, Riga, London, Paris und Seoul kommen. Aus deutschsprachigen Ländern ist niemand dabei; gleichwohl stellen sie die größte auswärtige Ausstellergruppe.

In der Sektion „Disegni“ zeigt die Galleria Fonti aus Neapel intensive Kohlezeichnungen von Felix Shumba, der im nächsten Jahr den Pavillon Zimbabwes in Venedig bestreiten wird. Foto: Amedeo Benesante

Besuchern der letzten beiden Ausgaben der „Art Düsseldorf“ und der letzten Architekturbiennale in Venedig dürfte das etwas rätselhafte Anonymous Art Project bekannt sein. In Turin kommt auf Nachfrage etwas Licht ins Dunkel. Der japanische Mäzen Hiroyuki Maki möchte die Kunstszene seiner Heimat mehr mit der Welt vernetzen. Er war letztes Jahr auf Einladung der Messe hier und hat sich auf Anhieb in die Stadt verliebt. Dem Museum Castello di Rivoli hat er eine Arbeit gestiftet und hier auf der Messe einen großen Stand gemietet, um aktuelle japanische Positionen zu zeigen. In der Messepräsentation sucht man den Namen des Milliardärs allerdings vergeblich. Denn er möchte Gleichgesinnte dazu animieren, sich an dem Projekt im Sinne bürgerlichen Engagements zu beteiligen.

Messechef Fassi, dessen Vertrag um zwei Jahre verlängert wurde, sieht in der mittelständischen Ausrichtung der Messe eine Stärke und einen Auftrag: „Natürlich sind wir nicht in Paris, wir sind nicht in London. Aber hier kann man experimentieren, man kann nachdenken, man kann auch kulturpolitische Aspekte in den Austausch einbringen. Und das ist wichtig für die Galerien.“

Die All-over-Installation aus A4-großen Zeichnungen von Michele Guido ist im Sektor „Disegni“ bei Lia Rumma aus Neapel zu sehen. Foto: Michele Guido, Galleria Lia Rumma

Artissima gehört zur Fondazione Torino Musei und versteht sich daher als Teil der kulturellen Infrastruktur. „Für mich besteht die aktuelle Rolle von Artissima darin, auf kultureller und politischer Ebene dafür zu sorgen, dass die italienische Szene durch die internationalen Kontakte, die hier geknüpft werden, wachsen kann“, erklärt Fassi. „Das ist zum Vorteil der Galerien, denn das schafft auch einen Markt. Einige der Positionen kennen selbst weitgereiste Sammler nicht. Und die meisten Kunstwerke hier haben erschwingliche Preise. Aber man braucht eine Mischung aus etablierten Galerien und jungen, die erst vor einem oder zwei Jahren gestartet sind.“

Eines der Kernanliegen der Artissima ist es, sich auch um die „kleinen“ Sammler zu kümmern. Der Begriff sei allerdings irreführend, so Direktor Fassi. Seine Zielgruppe seien die Menschen, die immer Kunst im Haus hatten und damit aufgewachsen sind, im Grunde die Mittelklasse. „Es geht darum, mit Kunst zu leben, auch wenn sie nicht teuer ist. Diese Menschen dürfen wir nicht abschrecken, wir müssen sie auf die Messe holen. Das geht nicht schnell, sondern braucht Kontinuität. Und der europäische Markt bietet genau das. Es geht ums bürgerliche Sammeln.“ Er warnt: „Wenn wir die sammelnde Mittelklasse verlieren, wird es wirklich schwierig für die Kunst.“ Dieses Szenario kennt man überall. In Turin wird aktiv dagegen gearbeitet.

Artissima, Oval Lingotto Fiere Torino, 31. Oktober bis 2. November

Mehr: Das Wesen des Sammelns hat sich verändert

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