The Brown Collection: Ein neues Künstlermuseum bereichert London
London. Glenn Brown ist ein bei Sammlern begehrter Künstler. Seine Bilder wirken dank brillanter Lichtregie und Maltechnik außerordentlich plastisch. Doch was als körperhaft und pastos wahrgenommen wird, ist Illusion. Über Wochen und Monate trägt der Künstler Pinselstrich um Pinselstrich dünn auf.
Der 57-jährige Brite ist nicht der erste, der eigene Werke im eigenen Museum zeigt. Das Künstlerpaar Gilbert & George eröffnete das Gilbert & George Zentrum im letzten Jahr, und die Young British Artist-Ikone Damien Hirst hat seit Jahren seine eigene Ausstellungsfläche in Vauxhall in London.
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Künstlerinitiativen boomen in Großbritannien in einer Zeit, in der öffentliche Mittel knapp sind. Keiner aber verbindet Kreativität und Sammeln auf so hohem Niveau wie Glenn Brown. In seiner neu eröffneten „The Brown Collection” kombiniert er eigene Arbeiten und Werke aus seiner Kunstsammlung in einem ebenso stimmigen wie stimmungsvollen Ambiente. Das ehemalige Werkstattgebäude liegt in einer ruhigen Sackgasse in Marylebone im Herzen Londons. 1905 erbaut, wurde es von Brown und seinem Ehemann Edgar Laguinia sorgsam so renoviert, dass vier Schauräume über vier Etagen einen idealen Rahmen für die ausgestellten Werke bilden.
Gleich hinter einer Glastür zur Straße betreten Besucher den ersten Ausstellungsraum. Abrupt steht man vor einem großem Rückenakt. Das „On the way to the leisure centre“ betitelte Gemälde von 2017 dominiert das Erdgeschoss. Hier sind wichtige Themen versammelt, die den Künstler beschäftigen: die Formen des Barock und des Manierismus, den Körper als Volumen und in Bewegung, auch Landschaften in Bewegung, etwa durch Drehungen und Verformungen.
Glenn Brown sucht die Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte. Mal entlehnt er die Farbigkeit von Ernst Ludwig Kirchner, mal ein Motiv bei einem französischen Maler des Spätbarock; alles kombiniert mit Browns verstörend plastischer Maltechnik.
Aber die eigentliche Entdeckungsreise fängt an, wenn die Besucherin ihr Augenmerk auf die Arbeiten lenkt, die Browns eigene Werke flankieren: Landschaften aus dem 17. Jahrhundert und Arbeiten auf Papier von holländischen, flämischen und italienischen Altmeistern. Sie sind stellenweise mit weniger bekannten englischen Künstlern aus dem 20. Jahrhundert angereichert. Ein Spektrum, das ein Universum an Kunsterfahrung bietet, das nicht auf einer chronologischen Abfolge beruht, sondern inspiriert ist vom Auge des Künstlers als Kurator. „Ich will Künstler zeigen, die nicht oft ausgestellt werden”, sagt Brown im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Brown sucht thematische Bezüge und stellt die Grundfrage der Kunst: Wie schafft man ein Abbild der Wirklichkeit? Die Leidenschaft besonders für die Konstruktion von Linien als Basis für den Bildaufbau kommt auch im Gespräch immer wieder vor. Auf dem Rundgang durch das Haus und die Sammlung zeigt sich Brown immer wieder beeindruckt von der technischen Meisterschaft in den Liniengefügen von Zeichnung und Druckgrafik. Über die italienische Gandolfi-Familie sagt er voller Begeisterung: „Ich liebe ihre Pinselstriche.” Geometrische Zirkel, Kreise und Bögen bilden oft ohne Farbe Körpervolumen; ob es sich um menschliche Körper oder Browns innig geliebte Bäume handelt.
Kein Wunder, dass der Künstler selbst immer wieder auch Zeichnungen schafft, die die Dimensionen der großformatigen Bilder und Skulpturen ins intime Format zurückholen: „Ich mache gerne Kunst für den privaten, häuslichen Ort.”
Alle Räume sind so gestaltet, dass man sich wie in einem Wohnzimmer fühlt. Parkettböden in nicht zu groß bemessenen Räumen, pudrige Farbpaletten für die Wände, Stühle, auf denen man zur Ruhe kommt, um in Muße zu betrachten: „Ich möchte, dass die Leute langsamer werden, wenn sie hierher kommen. Und ich möchte, dass sie die Dinge langsam genießen. Denn es gibt viel zu sehen.”
Auch privat leben Brown und Laguinia mit einer bunt gemischten Kunstsammlung. Das sieht man aber auch in den institutionellen Ausstellungen, wie der, die Brown vor einigen Monaten im Landesmuseum und dem Sprengelmuseum in Hannover hatte. Da wurden historische Werke, die die Grundlage von Glenn Browns eigener Schaffensweise bilden, mit Werken des Künstlers in Beziehung gesetzt.
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Diese eigenwillige und originelle Symbiose von Leben und Arbeit, von Alten Meistern und kühnem Zeitgenossen findet nun endlich in London ein permanentes Zuhause. Dass die Besucher nicht in einer ahistorischen Idylle versinken, dafür sorgen immer wieder Browns eigene Arbeiten.

Im dritten Stock geht es um Transzendenz. Brown sagt über Caspar David Friedrich: „Ich liebe die Idee, diesen Sinn für Religion, der einfach in den Raum der Landschaft eingebaut ist.” Hier stellen sich Fragen zum Universum, die der Künstler nicht beantworten will und kann. Aber sie hallen in der Besucherin noch lange nach, als sie dieses Wunderkabinett der Kunst schon lange verlassen hat.
„The Brown Collection“, 1 Bentinck Mews, Marylebone, London. Mi. bis Sa. 10:30 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Führung auf Nachfrage.
„Glenn Brown“, Edition von 788 signierten und nummerierten Exemplaren; Hardcover in einer Kassette, 474 Seiten, 750 Euro. Die Luxusausgabe erscheint am 10. Januar 2024 im Verlag Taschen, Köln.
Arbeiten von Glenn Brown finden sich 2024 in einer Gruppenausstellung zum Stillleben in Pallant House Gallery, Chichester (Mai bis Oktober) und im Herbst in der Max Hetzler Galerie in Paris.
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