Privatsammlung: Was Thomas Olbricht noch sammelt, nachdem er fast alles verkauft hat

Für die fragilen Kostbarkeiten aus der Kunst- und Wunderkammer von Thomas Olbricht hat das kubanische Künstlerduo Los Carpinteros die Vitrine „Helm“ so gebaut, so dass man um sie herumlaufen kann.
Düsseldorf. Das populäre und das anspruchsvolle Objekt, das Heute und das Gestern begeistern den Sammler Thomas Olbricht gleichermaßen. Der Arzt, Chemiker und Professor sammelt seit Jahrzehnten die Editionen von Gerhard Richter - und zwar vollständig. Und seit 2002 hat er eine, wenn nicht die bedeutendste Privatsammlung zur sogenannten Kunst- und Wunderkammer aufgebaut.
Die Wunderkammer ist die Urform jedes Museums. Sie lehrt nichts weniger als das Staunen. Ab 1550 nahm sie an den Höfen Raritäten aus drei Gruppen auf: Besondere Objekte der Natur, etwa Korallenbäume, aber auch Kleinkunstwerke von überragender Kunstfertigkeit und sogar wissenschaftliche Geräte. Die Wunderkammer half dem Wissbegierigen, die Vielfalt von Natur zu begreifen und Welt als Ganzes zu sehen.
Thomas Olbricht stammt aus der Familie des Wella-Gründers Franz Ströher. 1970 hatte sein Großonkel Karl Ströher die komplette Ausstellung „Parallelprozess“ von Joseph Beuys dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt geschenkt. „Seit diesem Tag begleitet die Kunst mein Leben,“ bekennt der Sammler.
Wenn der neueste Grafikzyklus „Mood“ von Gerhard Richter jetzt im Essener Folkwang Museum um rund 200 Objekte der Kunst- und Wunderkammer hängt, dann erfährt die Besucherin: höchste Meisterschaft, wie Richter in 31 Blättern Aquarellfarben förmlich explodieren lässt, um Stimmungen ausdrücken. Und höchste Meisterschaft, wie fein Bildhauer, Steinschneider und Goldschmiede im 16. und 17. Jahrhundert gearbeitet haben.
Was aber besitzt der leidenschaftliche Sammler Thomas Olbricht noch an Wunderkammer-Objekten, nachdem er sein Privatmuseum in Berlin nach zehn Jahren aufgeben hat? Zwischen Herbst 2020 und Herbst 2022 war auch im Handelsblatt viel von Verkäufen zu lesen. Das Kölner Auktionshaus Van Ham versteigerte in bislang sieben Auktionen 1318 Losnummern aus der ehemaligen Sammlung Olbricht, davon 413 aus dem Bereich Wunderkammer.

Mit besonderen Objekten der Natur, etwa Korallenbäumen, aber auch Kleinkunstwerken von überragender Kunstfertigkeit und sogar wissenschaftlichen Geräten half die Wunderkammer dem Wissbegierigen, die Vielfalt von Natur zu begreifen und Welt als Ganzes zu sehen.
Ein seltenes Ei eines Elefantenvogels aus Madagaskar war auf 8000 Euro geschätzt und wurde für 26.000 Euro verkauft. Und eine mittelgroße Holzskulptur des Heiligen Vitus verdreizehnfachte ihre Taxe auf ebenfalls 26.000 Euro. Alles zusammen gerechnet hat Auktionator Markus Eisenbeis mit Aufgeld mittlerweile 11 Millionen Euro umgesetzt.
Etwa 220 der wertvollsten und seltensten Objekte der Kunst- und Wunderkammer hat Thomas Olbricht behalten. Ausgestellt sind sie als Leihgabe im Museum Folkwang in Essen. Dort kommen sie gleich von zwei Seiten zur Geltung. Denn das kubanische Künstlerduo Los Carpinteros hat die raumfüllende Vitrine so gebaut, so dass man drumherum laufen kann. Die gebogene Großvitrine ist selbst ein Kunstwerk. Sie heißt „Helm“ und beschützt mit zahlreichen kleinen Vitrinen die fragilen Kostbarkeiten.
Zu dieser öffentlichen Präsentation erschien kürzlich ein dickes Buch. Die 352 Seiten „Wunderkammer Olbricht“ hat der Sammler in Zusammenarbeit mit dem Kunsthändler Georg Laue herausgegeben. Denn Letzterer ist der Spiritus Rector hinter Sammlung.
Viele Hauptwerke wird der „Tefaf“-Flaneur wiedererkennen. Denn das Beste, was er finden kann, zeigte Georg Laue auf der Maastrichter Messe. Selbst wenn er den Käufer schon kannte. Ein Augenfänger war dort der Jaspishumpen von Johann Daniel Mayer. Der bekam um 1660 in Augsburg ein superfeines Emailband umgelegt. Der Humpen ist so betörend schön, dass er niemals für einen Trank benutzt wurde. Er war immer ein Schatzkunstwerk, das für Prestige sorgte.

Im Museum Folkwang in Essen begegnen Werke von Gerhard Richter, sein neuester Grafikzyklus „Mood“ und rund 200 Objekte der Kunst- und Wunderkammer von Thomas Olbricht.
Auch das Gemälde von Jakob Hofmann, das 1595 den „Wundermann“ Thomas Schweicker porträtierte, wurde in Maastricht ausgestellt. Schweicker wurde ohne Arme geboren und lernte mit den Füßen zu schreiben. Aber nicht nur das, er wurde sogar Kalligraf. Dieses Wunder der Natur würdigt das Bildnis des Schreibers.
Leben und Vergehen, der Tod und seine Reflexion sind zentral für die Wunderkammer und für Thomas Olbricht. Der ehemalige Arzt hat eine große Zahl von Skulpturen zusammengetragen, die einst den Besteller an den Tod erinnern sollten.
Yves Saint Laurent besaß den Tod als Skelettskulptur
Im Buch bekennt sich Olbricht zu einem Lieblingsstück, das „Fetzentödlein“ von 1670. Die Kleinskulptur zeigt den Tod als Skelett, von dem die verwesende Haut in Fetzen herunterhängt. Das meisterhaft geschnitzte Werk hatte einen prominenten Vorbesitzer: den Modeschöpfer Yves Saint Laurent.
Als Christie’s 2009 die ausufernde Sammlung des Franzosen aufrief, wechselte es für 133.000 den Besitzer. Seine Aura hatte noch andere Bieter auf den Plan gerufen, denn die untere Taxe lag bei 30.000 Euro.
Dem edlen Material und dem technischen Können der Künstler entspricht der Katalog mit Opulenz. Der Schauwert steht über der Information zu einzelnen Objekten. Die ist kurzgehalten, auch wenn ein Tafelteil und ein grundlegender Artikel von Dirk Syndram, dem ehemaligen Direktor des Grünen Gewölbes in Dresden, in den Denkraum der Kunst- und Wunderkammer einführt.
„Die Wunderkammer Olbricht: Meisterwerke aus Renaissance und Barock - Essen, Museum Folkwang“, Katalog hrsg. von Thomas Olbricht & Georg Laue. Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, 2022 352 Seiten mit 524 farbigen Abb., 38 Euro

„…sogar der Fachmann staunt!“, Werke aus der Sammlung Olbricht im Museum Folkwang Essen, bis 23. April 2023





