Handelsblatt-Kolumne: Zeit ist Geld: Uhrenexperte Brunner erklärt, wie man mit teuren Uhren reich wird

Gisbert L. Brunner gilt im deutschsprachigen Raum als führender Uhrenexperte.
Düsseldorf. Wer im deutschsprachigen Raum nach einem echten Experten für kostbare Uhren sucht, kommt an Gisbert L. Brunner nicht vorbei. Der mittlerweile pensionierte bayerische Beamte hat Hunderte von kostbaren Zeitmessern gesammelt, aber auch Dutzende von Büchern über die unterschiedlichsten Marken geschrieben. Sein Fazit zum aktuellen Corona-Chaos in den Schweizer Manufakturen: Wenn die Branche „nur“ mit einem 30-prozentigen Umsatzminus das Jahr beendet, „kann sie sich noch glücklich schätzen“.
Anderseits könnte so eine Krise ja auch Chancen bieten: Lassen sich jetzt womöglich Schnäppchen machen? Mit welcher Strategie kommt man auch an seltene Stücke? Und kann man als Uhrensammler reich werden, oder sollte man reich sein, um sich das Hobby leisten zu können? Darüber haben wir mit Brunner gesprochen.
Und diesen Themen wird sich auch eine neue Kolumne von und mit ihm widmen, die nächste Woche hier startet. Wenn Sie selbst Fragen an unseren Experten haben – Mail genügt an: leser-forum@handelsblatt.com. Vielleicht bekommen Sie hier schon in einer der nächsten Wochen eine Antwort von ihm.
Herr Brunner, wie geht es in Corona-Zeiten der Haute Horlogerie, also all jenen Firmen, die mit teuren mechanischen Uhren ihre Kunden glücklich machen – von A wie Audemars Piguet bis Z wie Zenith?
Die Corona-Situation der Manufakturen ist ambivalent. Einerseits gibt es Marken wie Patek Philippe, wo man zum Start des neuen Headquarters in Genf gerade eine neue Serie der Referenz 6007A vorgestellt hat. Die limitierte Edition von 1000 Stück war im Grunde schon verkauft, bevor die Fachpresse überhaupt darüber berichten konnte – trotz Preisen von 25.000 Euro pro Uhr. Andererseits gibt es viele Firmen, die jetzt ums Überleben kämpfen müssen. Letztlich gilt: Die Marke ist alles.
Welche sind bei Sammlern und Kennern besonders beliebt?
Jene, die auch langfristig zumindest Wertstabilität versprechen, allen voran also zum Beispiel Patek, Rolex, Audemars Piguet. Auch diese großen Namen mussten sechs bis acht Wochen ihre Fabriken schließen, während die Nachfrage ungebrochen hoch blieb. Die Folge: Auf diversen Internet-Plattformen kann man sehen, dass selbst vergleichsweise „normale“ aktuelle Uhren plötzlich an Wert gewinnen.
Die „Pepsi“ von Rolex wird mittlerweile für mehr als das Doppelte ihres eigentlichen Preises gehandelt.
Ebenso die Nautilus von Patek, ja. Das ist schon verrückt. Je knapper das Angebot, umso leidenschaftlicher entwickelt sich da mitunter die Nachfrage. Insofern ist es weise von den Firmen, die Produktion einfach nicht zu erhöhen. Meine Maxime ist immer: Es sollte immer eine Uhr weniger im Markt sein als verlangt. Das hält auch die Preise stabil.
Gerade die Schweizer Uhrenindustrie hat schon etliche große und kleinere Krisen überstanden. Was ist diesmal anders?
Die letzte richtig große Krise hat die Schweizer Uhrenindustrie in den Siebzigerjahren erlebt, als aus Asien neue, billige Quarzuhren aufkamen, welche selbst Platzhirsche vom Markt zu fegen drohten. Das hatte damals auch viel mit der Arroganz und Ignoranz mancher Unternehmen zu tun. Prompt mussten viele Firmen schließen – und ein großer Teil kam nie mehr zurück. Rolex hatte übrigens Glück: Die Firma bemühte sich zwar, ein eigenes Quarz-Werk zu bauen, kriegte es aber einfach nicht rechtzeitig hin und setzte dann auf Gedeih und Verderb auf Mechanik. Mit Erfolg. Corona jetzt ist aber schlimmer, denn es ist eine wahrlich globale Krise.
Weil Asien mittlerweile auch eine der bedeutendsten Abnehmer-Regionen für teure Uhren geworden ist?
Genau. Viele Modelle werden heute speziell für den fernöstlichen Markt entwickelt. Die dortigen Kunden sind zunächst direkt ausgefallen, werden aber in der näheren Zukunft auch als Touristen fehlen. Es reist ja niemand zur Zeit. In manchen westlichen Urlaubsmetropolen fehlen dadurch plötzlich 80 Prozent der Umsätze. Wenn die Schweizer Uhrenindustrie mit einem Umsatzminus von 30 Prozent das Jahr 2020 abschließen kann, darf sie sich noch glücklich schätzen. Die Umsatzrekorde der Vergangenheit wird es in den nächsten Jahren jedenfalls nicht mehr geben.
Wie fing das bei Ihnen mit der Uhren-Begeisterung an? Angeblich haben Sie sich im Jahr 1964, mit 17, von Ihrem Weihnachtstrinkgeld als Zeitungsausträger Ihre erste eigene Uhr gekauft.
Es war ein Chronograph von Heuer Carrera. Sie kostete 321 Mark. Mein Vater war zu der Zeit als Diplom-Ingenieur in leitender Funktion tätig und brachte netto keine 700 Mark nach Hause. Die Uhr war also für damalige Verhältnisse ein Vermögen wert. Entsprechend erbost war mein Vater, aber ich war sehr happy. So ging das los. Die nächste war dann schon eine Memovox von Jaeger-LeCoultre...
… einst die erste Automatikuhr mit Weckfunktion.
Mit dem Geklingel konnte ich in der Schule meine Lehrer wahnsinnig machen. So begann meine Sammelleidenschaft. Die erste Patek habe ich mir dann 1973 nach dem Studium von meinem ersten Gehalt gekauft. Ein Schleppzeiger-Chronograph, den ich beim Juwelier auf 10.560 Mark runterhandeln konnte.

Die „Pepsi“ von Rolex wird mittlerweile für mehr als das Doppelte ihres eigentlichen Preises gehandelt.
Sie schlugen dann eine Laufbahn im bayerischen Staatsdienst ein. Bekommt man als leitender Beamter ein besonderes Gespür für Zeit?
Haha! Na ja, ich war für Förderschulen zuständig und hatte da wirklich viel zu tun, auch wenn ich alle Klischees über Beamte kenne.
Schon während der Quarz-Krise in den Siebzigerjahren soll Ihre Sammlung auf über 800 Exponate angewachsen sein. Kam man in jener Zeit besonders günstig an schöne Stücke?
Manche dieser Schätze lagen damals bei den Händlern ja in den untersten Schubladen. Sie bekamen sie kaum noch los. Man konnte also schon Schnäppchen machen. Aber irgendwann hatte ich dann so hohe Schulden, dass meine Frau fragte, wie das noch weitergehen soll mit mir. Als wir dann in den Achtzigern die Möglichkeit hatten, uns in München ein altes Reihenhaus zu kaufen, habe ich einen Teil der Sammlung verkauft. Das war das erste Mal, dass ich mich in größerem Stil von Uhren getrennt habe. Inzwischen wächst die Sammlung wieder.
Wie viele sind es heute?
Es ist eine stattliche Zahl. Manchmal hole ich sie mir mit meinem Sohn, um sie ein Wochenende lang anzuschauen. Das reicht uns schon.
Kann man als Uhren-Sammler reich werden? Oder sollte man reich sein, um sich das Hobby überhaupt leisten zu können?
Ich habe die Uhren nie gekauft, um reich zu werden, sondern weil ich immer einen wahnsinnigen Spaß an ihnen hatte. Sie ab und an zu öffnen, ihr Innenleben zu bewundern – so was eben. Ich selbst kam aus keinem reichen Elternhaus und habe auch damals nichts geerbt. Man konnte früher aber schon reich werden mit Uhren. Meine erste Patek, von der ich schon erzählte, habe ich irgendwann für ein Vielfaches verkaufen können. In jener Phase war es kein allzu großes Problem, mit den richtigen mechanischen Uhren 1000 Prozent Rendite zu machen. Das hat sich aber inzwischen verändert.

Besucher gehen am Stand des Uhrenherstellers TAG Heuer entlang.
Die meisten kostbaren Uhren verschwinden heute in Safes. Sie gelten noch als überzeugter Träger, oder?
Auch nicht mehr. Es ist einfach zu gefährlich geworden – und hilft ja auch nicht dem Wiederverkaufswert der Stücke. Deshalb sind meine wichtigsten Uhren meist bei der Bank. Allerdings liegen sie dort nicht in Umlaufgeräten…
… die die Automatik von Uhren auch ungetragen in Gang halten sollen.
Ich halte das für Quatsch. Ein Auto lässt man ja auch nicht mit laufendem Motor in der Garage stehen. So was bedeutet unnötigen Verschleiß. Allenfalls bei einem ewigen Kalender verstehe ich das, denn den immer neu zu stellen, ist mitunter komplex.
Sie sammeln nicht nur Uhren, Sie schreiben auch darüber. Wie viele Bücher haben Sie mittlerweile veröffentlicht?
Ich habe aufgehört zu zählen. Alles in allem dürften es rund 30 sein. Auch das begann Anfang der Achtzigerjahre mit Christian Pfeiffer-Belli, Chefredakteur der Zeitschrift „Alte Uhren“. Damals feierten die Marken gerade ihre Renaissance und freuten sich, jemandem ihre Geschichte erzählen zu können – zum Leidwesen meiner Frau, weil ich in den Familienurlauben dann oft im Hotel blieb und schrieb. Mit Pfeiffer-Belli geriet ich auch mal in einen richtigen Hinterhalt.
Wo war das denn?
Wir waren in Bombay, dem heutigen Mumbai, unterwegs. In einem Uhrenladen hatte uns ein Typ beobachtet, der uns dann einen tollen Platz zeigen wollte, wo man gute Uhren bekomme. Im Inneren eines Friedhofs waren wir plötzlich umringt von Kerlen, die mit Messern bewaffnet Geld von uns wollten. Wir konnten uns zum Glück durch eine kleine Tür in der Friedhofsmauer retten. Draußen warfen wir uns in ein Taxi. Daraus wurde in Japan später sogar ein Comic.
Was sind die skurrilsten Sammler, denen Sie je begegnet sind?
Da gibt es viele. Für ein Buch über Audemars Piguet flog ich zu einem Sammler, der als steinreicher Arzt in Miami lebte. Wir gingen zu seiner Bank, wo er die Uhren in einem Schließfach verwahrte. Er holte zunächst einen Riesen-Revolver raus, legte ihn neben sich auf den Tisch und erklärte mir: „Wenn du irgendwelche krummen Dinger abziehst, knall ich dich ab. Und ich werde dich überall finden.“ Wir haben uns erfreulicherweise sehr gut verstanden. Und er hatte unglaubliche Stücke – nicht nur von Audemars Piguet.
Schielen die Marken heute nicht ziemlich stark auf die Sammler, wenn sie all ihre Sondereditionen starten, die eigentlich nur Umsatz treiben?
Sondereditionen laufen nicht per se gut. Nicht alle spielen ihr Geld wieder ein. Auch hier spielen Marke und Modell eine wichtige Rolle. Mit einer unlimitierten „Batman“ von Rolex kann man eventuell mehr verdienen als mit so mancher Edition. Man muss sie halt erst kriegen.
Und wie schafft man das?
Am besten ist immer noch, wenn man einen Fachhändler seines Vertrauens hat, dem man über die Jahre treu bleibt und regelmäßig etwas abkauft. Der bedenkt Sie dann auch mal mit ausgesprochen gesuchten und deshalb sehr spannenden Objekten.
Apple verkauft mittlerweile mehr Uhren als die gesamte Schweizer Uhrenindustrie. Was bedeuten solche Zahlen?
Nicht so viel, wie man auf den ersten Blick glauben könnte. Apple tangiert die Haute Horlogerie, also den echten Luxusbereich, kaum. Smartwatches treffen eher Marken im Einstiegspreissegment, vielleicht bis 2000 Euro. Dort wirkt die neue Konkurrenz dafür umso schmerzhafter. Aber Smartwatches haben auch einen Vorteil. Sie verleiten junge Leute dazu, überhaupt etwas am Handgelenk zu tragen. Eines Tages keimt dann vielleicht doch die Lust, eine tickende Armbanduhr besitzen zu wollen.
Besitzen Sie denn selbst eine Smartwatch?
Eine MARQ von Garmin und eine von Montblanc. Man braucht sie schon, um mitreden zu können. Ganz abgesehen von den hilfreichen Funktionen unterwegs und den Möglichkeiten, Körperfunktionen zu checken.



Ihre Lieblingsuhr ist angeblich eine stählerne Schuluhr von Patek Philippe aus den Fünfzigerjahren, die Sie bei einem Trödler für wenige Hundert Euro erstanden haben und mit ins Grab nehmen wollen. Stimmt die Story?
Das ist meine sogenannte Exit-Uhr. Ich fand sie 1988 bei einem kleinen Händler, als ich in Genf ein Buch über Patek Philippe recherchierte. Die Firma hatte den besten Uhrmacher-Schülern die Rohwerke zur Verfügung gestellt. Eines dieser optisch sehr unscheinbaren Stücke hatte ich da tatsächlich entdeckt. Das hätte ich zumindest gern am Handgelenk, wenn ich irgendwann die Augen für immer schließe. Danach kann sie mein Sohn an sich nehmen, der dieses Stück über alle Maßen schätzt. Es wäre ja zu schade, sie einfach mit einzugraben.
Herr Brunner, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Hublot-Chef Guadalupe im Interview: „Cash ist jetzt für viele das Hauptproblem.“





