Buchkritik: In Putins Kopf – Logik und Willkür eines Autokraten
Das Buch „In Putins Kopf“ erschien bereits 2016 und wird nun um ein aktuelles Kapitel ergänzt.
Foto: via REUTERSEs ist inzwischen modisch geworden, in Wladimir Putins Gedankenwelt, ja quasi „in seinem Kopf“ herumzustochern, um die Beweggründe für seinen Angriff auf die Ukraine zu finden. Und um zu erahnen, wie weit der russische Präsident gehen wird. Immer mehr Artikel zu Putins Psyche erscheinen.
Zur Ehrenrettung des französischen Philosophen und Dostojewski-Experten Michel Eltchaninoff ist deshalb anzumerken, dass sein Buch „In Putins Kopf“ bereits 2016 erschien und nun für eine Neuauflage nur noch um ein aktuelles Kapitel ergänzt wurde.
Was Eltchaninoff dabei leider zu wenig untersucht, aber dafür hätte es wahrscheinlich mehr eines Psychiaters bedurft als eines Philosophen, ist, warum der Kremlchef bestimmte Themen immer wieder aufgreift: etwa seinen Vorwurf an den „auf die russische Vitalität eifersüchtigen Westen“, dem Putin unterstellt, „die Geschichte umschreiben zu wollen“, oder die Behauptung, die Ukraine plane einen Angriff auf Russland oder in der Ukraine herrschten drogensüchtige Neonazis.
Bemerkenswert ist, dass Putin und sein Umfeld das, was er anderen vorwirft, selbst betreiben: Neonazistische Expansionisten sind seine Berater, die von einem „Noworossija“, einem deutlich über die bisherigen russischen Staatsgrenzen hinausgehenden „Neurussland“ schwärmen und sich dabei Hitlers Ansinnen des Schaffens von „Lebensraum im Osten“ bedienen.
Und Drogenexzesse in Moskaus Führungselite sind zuhauf belegt. Die Geschichte deutet Putin aktuell aktiv um, indem er behauptet, die Ukraine sei gar kein eigentlicher Staat, sondern ein Geschöpf Lenins. Er selbst betreibt den Geschichtsrevisionismus, den er anderen unterstellt.
Putin sei nicht bereit, die Existenz einer unabhängigen Ukraine zu akzeptieren, schreibt der französische Autor: „Er hat einen neuen Grund, das westliche Europa zu verabscheuen, und geht zur nächsten Etappe über: Durchführung der finalen Synthese von Zeit und Raum, von Idee und Realität, von Mythos und Leben, kurz gesagt: Überfall auf die Ukraine.“
Eltchaninoffs Verdienst ist es, gründlich die Denkweisen und ideologischen Grundlagen jener Philosophen zu sezieren, die Putin und seine Einflüsterer beeinflussen. Zum Neujahrsempfang 2014 ließ Putin an 5000 Abgeordnete, Topbeamte und ranghohe Claqueure des Regimes drei Werke Iwan Iljins, Nikolaj Berdjajews und Wladimir Solowjows verteilen.
Eltchaninoff, Chefredakteur des französischen „Philosophie Magazine“, kommt zu dem Schluss, Putin wolle nicht nur große Teile der Sowjetunion wieder vereinen, sondern mit seiner moralisch konservativen Wende und der Unterstützung Rechtsextremer zum „Führer Europas“ werden. Dabei hat der Autor schon 2016 seherisch festgestellt: „Krieg stellt für Putin ein bevorzugtes Instrument dar, um die Rückkehr Russlands auf die internationale Bühne vor Augen zu führen.“