Rezension: Die vielen Gesichter des Trumpismus

Spätestens Donald Trump hat die tiefe Spaltung des Landes sichtbar gemacht. Trump ist nur ein Gesicht des Trumpismus – es steckt noch mehr dahinter.
Mülheim a.d.R.. Nach 700 Seiten erreicht Maggie Habermans Buch das traumatische Ereignis vom 6. Januar 2021. Ein vom obersten Schützer der Verfassung vorgeglühter Mob stürmt das Capitol, die Herzkammer der amerikanischen Demokratie.
Donald Trump beobachtet den ungeheuren Vorgang aus der Loge, am Fernseher im Oval Office, mit klammheimlicher Freude. Seine Berater, seine Familie bestürmen ihn einzugreifen. Vergeblich. Warum sollte er?
Eine Szene, wie sie bezeichnender nicht sein könnte für das, was Amerika in jüngster Vergangenheit widerfahren ist. Für Maggie Haberman ist der „Aufstieg Donald Trumps“ der „Untergang Amerikas“.
Der damalige Präsident wusste, was er an ihr hatte und erklärte sie zu seiner Lieblingsfeindin unter den Journalisten. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist sie ihm auf der Spur und auf den Fersen.
Mit ihren Reportagen für die „New York Times“ gewann sie den Pulitzer-Preis. Das Publikum erwartet von ihr „die ganze Geschichte“ – und sie versteht ihr Handwerk. „Täuschung“ ist der Titel des neuen Buches, das in diesen Tagen zeitgleich auf Deutsch und Englisch („Confidence Man“) erschienen ist.

Das Buch stützt sich auf die persönliche Erfahrung der Autorin, ergänzt und abgesichert durch 250 Interviews mit Zeitzeugen. Es entfaltet ein komplexes Geflecht von Ursachen und Wirkungen, von Temperamenten und Charakteren, von Fakten und Deutungen, die doch nur versuchen, die Nahtoderfahrung der amerikanischen Demokratie in ihrer Tragweite zu erfassen.
War da ein Vater-Sohn-Konflikt, der nie bearbeitet wurde und dann eine monströse Biografie zeitigte? Waltete hier die Banalität des Bösen, der Menschliches fremd ist?
Wurde das Zentrum der Macht zum Tingeltangel des Showbusiness, wo man sich von einer Pointe zur anderen hangelt, um nur irgendwie die nächsten zehn Minuten zu überstehen? Ist die Macht der ständig wiederholten Lüge größer als die Macht der Wahrheit? Haberman liefert eine beeindruckende journalistische Arbeit, reich an Einblicken und Details.
Doch Trump ist nur ein Gesicht des Trumpismus. Eine Hälfte der Bevölkerung setzt ihre Hoffnung auf Politiker, die für die andere Hälfte alle Eigenschaften des „ugly american“ in sich vereinigen. Kritiker erreichen sie nicht.
Wer das verstehen will, sollte Claudia Buckenmaiers „Wer rettet Amerika?“ lesen. Die Autorin war Auslandskorrespondentin der ARD in London, Stockholm und Washington. Dort begann ihr Dienst fünf Tage vor dem „Fight at Capitol Hill“, wie ein klassischer Western titeln würde.

Die Reporterin will das Land erleben: authentisch, mit vollem Risiko. Auf zahlreichen Drehreisen kreuz und quer durch den Kontinent.
So ergeben sich Zusammenhänge, Demarkationslinien, vorläufig gültige Einsichten. Das macht ihr Buch authentisch und glaubwürdig. Und lesbar sowieso.
Der westlichen Führungsmacht geht es nicht gut. Sie ist der blockierte Riese, aber schlimmer noch: Alle wollen retten. Jeder weiß genau, wie und wie nicht.
Jeder Vorschlag des einen gilt dem anderen als „casus bellum“: Land gegen Stadt, farbig gegen weiß, Reich gegen Arm. Abtreibung, Waffenbesitz, gleichgeschlechtliche Ehe, Steuern, Religion: Alles verwandelt sich in ein Schlachtfeld für „culture wars“. Rassismus, Migration, Pandemie sind die ständigen Durchlauferhitzer.
Wer aber rettet „God’s Own Country“? Vielleicht die Frauen? Da gab es zum Beispiel irgendwo im ländlichen Amerika eine junge Frau, welche die Ranch der Familie gern weiterführen wollte, nachdem ihr Vater durch einen Unfall ums Leben kam.
Die Kasse war leer. Trotzdem sollte sie 55 Prozent des Betriebs als Erbschaftsteuer an den Staat abdrücken. Das war nicht nur existenziell bedrohlich.

Es vernichtete das Vertrauen in die Weisheit der Gesetze, des Staates, der führenden Eliten in Washington. Diese Frau ist inzwischen Kongressabgeordnete und füllt große Versammlungen patriotisch gesinnter Republikanerinnen.
Ein Wimmelbuch ähnlicher Geschichten schreiben Annett Meiritz und Juliane Schäuble in ihrem Buch mit dem plakativen Titel „Guns n“ Rosé“.
Die Autorinnen beobachten ein Phänomen, das hierzulande noch wundernimmt: Nicht nur weiße, religiös verstrahlte und sozial abgehängte Männer sehen in Trump ihren Bandenchef, der um seinen Wahlerfolg betrogen wurde.
Auch Frauen nehmen zu an Menge und Durchsetzungskraft, die sich in der Grand Old Party der Republikaner engagieren und für wichtige Schaltstellen kandidieren. Vielleicht, ohne sich über Trump zu definieren.
Aber sind nun konservative Frauen einfach nur „weiße, nationalistische, rassistische Verräterinnen ihres Geschlechts“, wie es das Magazin „Vanity Fair“ erklärte? Ein solches Etikett wäre – wie alle Klischees – Denkfaulheit.
Es verzichtet darauf, das Problem begehbar zu machen, es in seine Vorder- und Hintergründe zu zerlegen und diese dann zu bearbeiten. Auch im Lager der Latinos verschieben sich die Gewichte, stellenweise in zweistelliger Größe.
Frauen (man denke!) lassen sich nicht mehr durch die „toxische Männlichkeit“ konservativer Kandidaten vergraulen.Der „Latino vote“, schon immer eine schwer zu berechnende Gruppe, macht die Demokraten zunehmend nervös. Die Prognose, ein diverseres Land sei automatisch ein linkeres, ist nicht mehr haltbar.
Auch auf dem Campus der Universitäten ein ähnlicher Befund, dort, wo man ihn am wenigsten vermutet. Politischer Durchblick, wissenschaftliche Umgangsformen und jugendlich linke Neigungen sollten doch immunisieren gegen das simple „Mir nach!“ eines populären Populisten.
Was, wenn die Alternative namens Joe Biden nicht überzeugt? Wenn die Weltkrisen zunehmen? Die „Rotverschiebung“ der Demokraten macht die Republikaner nicht nur stärker, sondern konservativer. Ähnliches kennen wir längst.


Aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde ein Land der begrenzten Unmöglichkeiten – mit Folgen für den Rest der Welt. Autokraten wittern Morgenluft.
Der Weg des Präsidenten, so sagte Madeleine Albright einmal, ist ein Weg mit vielen schlecht beschilderten Kreuzungen. Findet sich ein Hoffnungsträger, der nicht nur Ressentiments bedient, ein Projekt, das „good vibrations“ erzeugt, Gräben füllt und Mauern schleift? Fazit des Buches: Die Wahlen von 2024 sind offener denn je.
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