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Fire BewegungDieses Pärchen zeigt, wie man mit 31 Jahren finanziell unabhängig in Rente gehen kann

Finanzielle Unabhängigkeit, frühe Rente: Kristy Shen und Bryce Leung haben dieses Lebensmotto nach dem Fire-Prinzip umgesetzt. Wie ihr Weg trotz Pandemie, Inflation und Krieg funktioniert, erklären sie in ihrem Buch.Christian Wermke 02.09.2022 - 16:56 Uhr Artikel anhören

Die Anhänger der Fire-Bewegung reisen durch die ganze Welt. Für den Herbst haben sie neben Peru auch Kolumbien geplant und wollen den Machu Picchu besteigen.

Foto: Handelsblatt

Rom. Es ist kein Strand im Hintergrund zu sehen, kein Bergpanorama. Kristy Shen und Bryce Leung melden sich per Videocall aus einer Airbnb-Wohnung in ihrer Heimat Toronto. Für das Paar ist das höchst ungewöhnlich: Seit sieben Jahren sind die beiden in Frührente.

Mit 31 kündigten sie damals ihre gut dotierten Jobs als Softwareentwickler – und leben seitdem ihren Traum vom ewigen Nomadendasein. Sie lebten in Vietnam, Portugal oder Taiwan, alles finanziert durch Zinsen und Gewinne, die ihr vor allem auf Anleihen und breit gestreuten Aktienfonds (ETFs) aufgebautes Portfolio ausschüttet.

Ein Krankheitsfall in der Familie und die Pandemie zwangen die beiden in den vergangenen zwei Jahren zurück in einen Zustand, den sie gar nicht mehr gewohnt waren: dauerhaft an einem Ort zu leben.

Herumreisen, Freunde in aller Welt treffen, das mache sie glücklich. Shen und Leung gehören zu den bekanntesten Vertretern der „Fire“-Bewegung. Das Kürzel steht für „Financial Independence, Retire Early“ – finanzielle Unabhängigkeit, frühe Rente.

„Fire"-Bewegung: Shen und Leung sind mit 31 Jahren finanziell unabhängig in Rente gegangen

Dahinter versammelt sich eine immer größer werdende Anhängerschaft, die sich nicht mehr über lebenslanges Arbeiten definiert – sondern darüber, wie sich das Job-Hamsterrad möglichst schnell verlassen lässt. Um dann, endlich frei, genau das zu tun, was einem wichtig ist.

Kristy Shen & Bryce Leung: Quit Like a Millionaire Finanzbuch Verlag München 2022 384 Seiten 18 Euro Foto: Handelsblatt

Bei Shen und Leung war es immer das Reisen. Ihren Weg in die finanzielle Freiheit haben sie akribisch auf ihrem Blog „Millennial Revolution“ dokumentiert. Vor ziemlich genau drei Jahren brachten sie ihr erstes Buch „Quit Like A Millionaire“ auf den Markt.

Seitdem ist viel passiert: Donald Trump wurde als US-Präsident abgewählt, eine Pandemie fegte über den Planeten, dazu kam der Ukrainekrieg samt Energiekrise. Für die deutsche Übersetzung, die jetzt erschienen ist, haben sie trotzdem nichts geändert – außer dem Vorwort. „Wir sprechen dort nur die aktuelle Marktlage an“, sagt Leung. Der Rest sei gleich geblieben. „Unsere Strategie hat sich bislang als zeitlos und sehr widerstandsfähig erwiesen.“

Eine Million kanadische Dollar betrug ihr Portfolio, als Shen und Leung 2015 den Schritt in die finanzielle Freiheit wagten. Die beiden steckten schon in jungen Jahren einen Großteil ihres Gehalts in ETFs und Anleihen, lebten sparsam und stiegen durch schnelle Jobwechsel die Gehaltsleiter hoch.

Damals rechneten sie mit der Vier-Prozent-Regel, die in der Fire-Welt sehr verbreitet ist: Das angesparte Vermögen muss so groß sein, dass vier Prozent davon pro Jahr zum Leben ausreichen.

Da die Kapitalmärkte auf lange Sicht durchschnittlich um sieben Prozent wachsen und man davon noch die Inflation abziehen muss, reicht dieser Vier-Prozent-Puffer in der Theorie ein Leben lang. Shen, die aus ärmsten Verhältnissen stammt und in China aufwuchs, führte detailliert Buch über ihre Ausgaben. 40.000 Dollar pro Jahr sollten ausreichen – das 25-Fache hatten sie damals angespart.

Durch Reisen kaum von der Inflation betroffen

Heute hat ihr Portfolio, dessen Aufbau die beiden im Buch mit vielen Grafiken und Tabellen beschreiben, einen Wert von 1,7 Millionen Dollar. Für dieses Jahr werden sie ungefähr Zinsen und Dividenden in Höhe von 52.000 Dollar herausbekommen. „In unseren Fonds sind viele Banken enthalten. Durch die steigenden Zinssätze sind die Hypotheken der Leute teurer geworden – und die Banken haben mehr Geld verdient“, sagt Leung.

Ihre Dividende habe sich im laufenden Jahr schon um zehn Prozent erhöht. „Das ist mehr als unsere tatsächliche Inflation.“ Ohnehin mache ihnen die Teuerung kaum zu schaffen. „Wer nicht ins Büro fährt, spart Geld für Sprit und hat auch noch Zeit, selber zu kochen.“

Reisen und digitales Nomadentum seien die beste Verteidigung gegen die Inflation. „Irgendwo auf der Welt ist es immer billig“, sagt Leung. Etwa in Japan, das zuletzt sehr viel günstiger geworden ist. Klar, dass das Land für kommendes Jahr auf ihrem Reiseplan steht.
Von Krisen oder Bärenmärkten lässt sich das Paar ohnehin nicht mehr schocken. „Seit Beginn unseres Abenteuers hatten wir etwa vier Börsentiefs“, zählt Shen auf: 2015 war es die Ölkrise in Saudi-Arabien, 2018 war es Trump, danach kam die Pandemie, nun ist es der Ukrainekrieg. „Das Argument für Fire wird mit jeder Krise stärker.“ Sie seien der lebende Beweis dafür, dass der Plan funktioniert.
Kryptowährungen haben die beiden gar nicht. „Für uns darf der spekulative Anteil des Portfolios maximal fünf Prozent betragen“, erklärt Leung. Um finanziell frei zu werden, brauche man ein stabiles passives Einkommen. Bei Aktien könne man sich Finanzberichte ansehen und versuchen, die Investition irgendwie zu bewerten. „Bei Kryptowährungen gibt es keine Mathematik, das ist wie Glücksspiel.“

Das Fire-Pärchen aus Kanada auf Reisen. Durch ein angespartes Vermögen und eine gute Anlagestrategie können beide ihren Lebensstil finanzieren.

Foto: Privat

Ihr Lebensstil hat sich in den sieben Jahren nicht verändert. Noch immer geben sie weniger als 40.000 Dollar pro Jahr aus. Und das, obwohl sie zuletzt in Kanada lebten – und nicht mehr an günstigeren Orten wie zuvor. „Durch den Einbruch am Aktienmarkt zu Beginn der Coronakrise wurde Toronto viel günstiger“, erzählt Leung.

Am Ende fielen die Preise für Airbnb-Wohnungen sogar unter die von Langfristmieten. Außerdem sei das Geldsparen Teil ihrer Persönlichkeit geworden. Selbst wenn sie es wollten: Ihre Ausgaben könnten sie kaum noch hochschrauben. Vor Kurzem kaufte sich Shen eine neue Jeans für 120 Dollar – „danach hatte ich die ganze Zeit Stress, was passiert, wenn ich mich auf ein Kaugummi setze oder Saft drauf tropft.“

Sie ging dann wieder in den Secondhandladen – wo sie Hosen für zehn Dollar bekommt. „Sparsam zu sein ist eine Frage des Lebensstils – und für uns kein Opfer.“

Sie geben das Geld lieber für Erfahrungen aus, für Wandertouren und gutes Essen. Manchmal prassen sie auch: Im Herbst wollen sie nach Peru. „In der Hauptstadt Lima gibt es ein berühmtes Sternerestaurant, das über Monate ausgebucht ist und rund 300 Dollar pro Person kostet“, sagt Shen.

Sie haben eine Reservierung fürs Lunch, sind auf der Dinner-Warteliste. Sonst kochen die beiden viel selber, nutzen die App „Too Good To Go“, in der Restaurants und Supermärkte übrig gebliebene Lebensmittel günstig abgeben.


Ihr Lebensstil wird zugänglicher für den Durchschnittsbürger


Ihr Fernweh ist nach zwei Jahren groß: Außer einem Kroatientrip im Frühjahr waren sie nur in Kanada. Für den Herbst haben sie neben Peru auch Kolumbien geplant, wollen den Machu Picchu besteigen. 2023 wollen sie mehrere Monate nach Thailand – wenn es die Gesundheit von Leungs Vater zulässt.

Ihr künftiges Modell könnte daher auch eines von „Halbnomaden“ werden: die eine Hälfte des Jahres unterwegs, die andere bei der Familie. „Wir sollten uns nicht beschweren, wenn wir nur sechs Monate auf Reisen sind“, sagt Leung. Sie kennen genug Leute, die nur zwei Wochen Urlaub haben – und um die zwei Wochen auch noch betteln müssen.

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Auch in Europa wachse die Fire-Bewegung. „Ihr habt da ein Werkzeug, das es in Nordamerika nicht gibt: Ihr könnt einfach dort hinziehen, wo es sich am günstigsten leben lässt und wo ihr die größten Steuervorteile habt“, sagt Leung. Die Pandemie habe zudem viele Denkmuster aufgebrochen.

Nomadentum und Frugalismus wurden früher oft belächelt. Mittlerweile gebe es 23 Länder mit Visa für digitale Nomaden. „Unser Lebensstil ist immer noch genauso relevant wie vor vielen Jahren“, sagt Shen. Allerdings sei er jetzt, mit mehr Homeoffice und Homeschooling, auch für den Durchschnittsbürger ohne Millionenportfolio zugänglicher geworden.
Auch Leungs Ex-Chef war immer skeptisch.

Dann kam die Pandemie – und seine Kids lernten nur noch online. „Er fragte sich, warum er so viel Geld für eine Privatschule bezahlen sollte“, erzählt Leung. Er fing an, sie selbst zu unterrichten, zog mit der Familie nach Costa Rica. „Die Pandemie hat ihn gezwungen, das auszuprobieren, und plötzlich hat er festgestellt: Es funktioniert.“ Wenn auch verspätet: Nun denkt selbst Leungs Ex-Boss über Fire nach.

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Erstpublikation: 21.08.22, 10:56 Uhr.

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