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RezensionWie deutsche Unternehmen mit ihrer Nazi-Vergangenheit umgehen

Viele deutsche Unternehmen haben nach wie vor mit der Aufarbeitung ihrer Rolle in der NS-Zeit zu tun. Zwei Neuerscheinungen legen den Finger in die Wunde.Hans-Jürgen Jakobs 08.05.2022 - 10:42 Uhr Artikel anhören

Eine zwangsrekrutierte Frau arbeitet in dem Rüstungsbetrieb Conz-Elektrizitäts GmbH an einem Elektromotor .

Foto: SZ Photo

Düsseldorf. Familienunternehmen werden zu Recht als Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft beschrieben. Sie sind oft mehr als hundert Jahre alt und betonen die langfristige Kontinuität, die Staffelübergabe über Generationen hinweg. Aber wie das so ist in solchen Fällen: Man erbt nicht nur Vermögen, Markenkraft und Marktanteile, sondern auch die Sünden der Vergangenheit.

Das zeigt sich in Deutschland permanent anhand der Frage, wie es große Namen der deutschen Wirtschaft wohl im „Dritten Reich“ unter den Nazis gehalten haben. Hier wurde und wird nicht selten verdrängt, ignoriert und geklittert, was das Zeug hält, aus psychologisch verständlichen Gründen. Wer will schon Großvater und Großmutter oder sogar Vater und Mutter im Zwielicht der braunen Diktatur und damit die Ahnenreihe kontaminiert sehen?

In dieses Wespennest stechen drei Autoren mit ihren Büchern. Einmal Zachary und Katharina Gallant mit einem kürzeren Abriss, vor allem aber David de Jong, ein in Tel Aviv lebender niederländischer Journalist.

Der langjährige Bloomberg-Reporter hat vier Jahre lang für sein Werk recherchiert – und moniert manche Unterlassung im Umgang mit dem „braunen Erbe“, vor allem ausgebliebene individuelle Entschädigungen oder Wiedergutmachungen für Zwangsarbeiter und jüdische Opfer.

Dramaturgisch konsequent konzentriert sich de Jong auf fünf Familienfälle, die er akribisch aufbereitet, stets um äußerste Faktengenauigkeit bemüht. Der nüchtern rapportierende Stil kontrastiert mit der Emotionalität des Themas, mit der deutschen Schuld, sechs Millionen Juden ermordet zu haben.

David de Jong: Braunes Erbe. Kiepenheuer& Witsch Köln 2022 496 Seiten 28 Euro Übersetzung: Jörn Pinnow, Michael Schickenberg Foto: Handelsblatt

Vorgeführt werden Textilunternehmer Günther Quandt und Stahlbaron Friedrich Flick, die sich wie Raider der kapitalistischen Neuzeit immer mehr Firmen sicherten, ein Innovator wie Ferdinand Porsche, der Adolf Hitlers Wunsch nach einem „Volkswagen“ aus ingenieurtechnischem Ehrgeiz und aus Erwerbsinteresse gerne nachkam, der knauserige Münchener Baron August von Finck, der Hitlers Lieblingsprojekt „Haus der Kunst“ in München aufhalf, oder die Bielefelder Oetker-Familie mit dem eingeheirateten Stramm-Nazi Richard Kaselowsky als Oberhaupt. Das Mitglied im „Freundeskreis Reichsführer SS“ breitete ganz in Führers Sinne den Stiefsohn Rudolf-August Oetker auf seine Chefrolle vor. Der „Puddingprinz“ wurde früh in die Reiter-SA integriert, war SS-Offizier und half nach dem Krieg alten SS-Kameraden.

All diesen Wirtschaftslegenden war gemein, dass sie in kühler Kosten-Nutzen-Abrechnung vom NS-Zwangssystem opportunistisch profitierten, teilweise schon recht früh zur Finanzierung von Wahlkämpfen der NSDAP oder von SS und SA bereitstanden und selbst Teil der Kriegs- und Eroberungsmaschinerie wurden. Allesamt waren sie in der NSDAP, der SS oder in beiden Organisationen.

Hitlers Wirtschaftsberater Otto Wagener wird so zitiert: „Sie wollen Geld verdienen, Geld, dreckiges Geld – dabei wissen sie nicht einmal, dass sie damit einem teuflischen Phantom nachjagen.“ Typisch, wie Ökonom Hjalmar Schacht im Februar 1933 nach einem Unternehmertreffen mit dem frisch gekürten Reichskanzler Hitler lächelnd bat: „Und nun, meine Herren, an die Kasse!“

Manchmal spielte auch nicht Geld, sondern Liebe, vielleicht auch Sex eine Schlüsselrolle. Zum Beispiel im Fall der attraktiven Magda Friedländer, die erst Günther Quandt heiratete und dann mit Sohn Harald zu Joseph Goebbels wechselte – eine „First Lady des Dritten Reichs“, die mit ihrer neuen Familie im Suizid endete. Vorher hatte Goebbels seinem Stiefsohn Harald geschrieben: „Ich erwarte von Dir, dass Du, wenn Du diesen Krieg überstehst, Deiner Mutter und mir nur Ehre machen wirst.“

Kontinuität ist hier schwierig, aber de Jongs Protagonisten waren nach 1945 irgendwann entnazifiziert durch organisierte „Persilscheine“ wohlgesinnter Zeugen, oft auch von „Alibijuden“. Man war nur „Mitläufer“ gewesen. Der Westen brauchte unternehmerische Bollwerke gegen den Sowjetkommunismus und neue Wirtschaftswunderabsatzmärkte.

Ein deutscher Vorarbeiter zeigt Zwangsarbeitern die Bedienung der Maschinen.

Foto: SZ Photo

Nur Friedrich Flick war nach einer Verurteilung durch die Alliierten ein paar Jahre ins Gefängnis gewandert. Sein Sohn Friedrich Karl schmierte dann fröhlich die Republik, gefiel sich als jetsettender Lebemann und verscherbelte alles an die Deutsche Bank.

Die anderen Porträtierten machten mit dem unter den Nazis angewachsenen Kapital weiter. Ein Günther Quandt galt als Unpolitischer. Vergessen die Eloge des Geschäftsfreundes Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank zum 60. Geburtstag: „Die Umstellung auf die neue Zeit im Jahre 1933 ist Ihnen durch Ihre geschickte Taktik und Ihre besonderen Fähigkeiten in vollem Maße gelungen. Ihre hervorstechendste Fähigkeit aber ist Ihr Glaube an Deutschland und den Führer.“

Zur Trauerfeier für Quandt im Januar 1955 sagte Abs dann: „Er hat sich niemals knechtisch dem übermächtigen Staat unterworfen.“ Quandts Erbe wurde zwischen den Söhnen Harald und Herbert geteilt, der einmal scherzte, hätte Vaters Tod nicht in der Zeitung gestanden, „wirtschaftlich hätte es niemand gemerkt“.

Nachdem die rot-grüne Bundesregierung von 2000 an Zwangsarbeiter über eine Stiftung, an der sich die Wirtschaft beteiligte, entschädigen ließ, haben sich immer mehr Historiker im Firmenauftrag mit der NS-Zeit beschäftigt. Manche weichzeichnend wie Gregor Schöllgen im Fall des Fürther Kaufmanns Gustav Schickedanz, viele konsequent präzise wie Joachim Scholtyseck im Fall der Quandt-Familie, die BMW dirigiert.

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Unmöglich findet es Verfasser de Jong, dass der Porsche-Clan den Beitrag des jüdischen Mitgründers Adolf Rosenberger minimalisiert, sich fälschlicherweise sogar damit schmücke, ihm zur Flucht verholfen zu haben. Nach dem Krieg wurde der Pionier nicht wieder als Gesellschafter eingesetzt, sondern mit einem VW Käfer abgefunden.

Seinen Anteil hatte er einst zum Schleuderpreis an die Porsches abgeben müssen: „Sie haben sich meiner Mitgliedschaft als Jude bedient, um mich billig loszuwerden.“ Als Produzent von Waffen, Panzern und Armeefahrzeugen machte der Clan aus Stuttgart und Salzburg, der 1933 vor dem Bankrott stand, im Krieg blendende Geschäfte. Familienmitglied Anton Piëch tyrannisierte im Volkswagenwerk Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.

Insgesamt 71 der 100 größten Unternehmen der NS-Zeit hätten „bis heute ihre Vergangenheit nicht wissenschaftlich aufgearbeitet, sodass in vielen Fällen das Ausmaß unklar ist, in dem Unternehmen und Familiendynastien von ihrer Rolle in der NS-Zeit profitierten“, bilanzieren Zachary und Katharina Gallant in ihrem Buch „Brauner Boden“. Genannt werden Röchling, Siemens, Bayer oder Henkel. Angesichts der vielen nach dem Krieg ausgestellten „Persilscheine“ könnte fast der Eindruck entstehen, „dass es in den 1930er- und 40er-Jahren in Deutschland nur sehr wenige willige Nazis gegeben habe“.

Zachary Gallant, Katharina Gallant: Brauner Boden Westend academics Frankfurt 2022 188 Seiten 24 Euro Foto: Handelsblatt

Es geht hier immer wieder um das Licht, das ins Dunkle soll, um Aufarbeitung. Solle sie gelingen und authentisch sein, heißt es in Gallants Buch, müsse „sie als fester Bestandteil der nationalen Identität alle Dimensionen des Lebens durchdringen“. Nach 1945 sei wohl eher eine Versöhnung Deutschlands mit den Siegermächten als eine tatsächliche Aussöhnung mit der jüdischen Schicksalsgemeinschaft angestrebt worden.

Die deutsche Wirtschaft bleibe NS-belastet, „bis der volle Umfang der Beteiligung ans Licht gebracht wird und die betroffenen Unternehmen die Verantwortung für ihre dunkle Vergangenheit in vollem Ausmaß übernehmen“, heißt es mit einigem Furor in dem Buch.

Eine gelungene Aufarbeitung der NS-Zeit gibt es auch. Als positives Beispiel zieht David de Jong die Milliardärsfamilie Reimann heran. Deren Patron Albert hatte mit seiner Ludwigshafener Spezialchemiefirma Joh. A. Benckiser (JAB) ebenfalls sehr vom Nazi-System profitiert.

Es kam erst jüngst heraus, dass Reimanns Geliebte Emily Landecker, mit der er drei Kinder hatte, eine Jüdin war. Später heiratete er sie. Mit etlichen Firmenbeteiligungen der JAB-Holding gehören die Reimanns heute zu den reichsten Deutschen.

Viele deutsche Unternehmer-Dynastien scheuen eine vollständige Aufarbeitung der dunklen Geschichte, die ihr Vermögen befleckt.
David de Jong, Buchautor

Ihre in Alfred Landecker Foundation umbenannte Familienstiftung konzentriert sich mit 260 Millionen Euro Stiftungskapital auf die Aufklärung von Holocaust-Verbrechen. Und sie begann, Überlebende der Zwangsarbeit im eigenen Werk ausfindig zu machen und zu entschädigen.

„Kurz und gut, Deutschlands reichste Wirtschaftsdynastie ließ ihren Worten tatsächlich Taten folgen“, erklärt Autor de Jong und wirkt verwundert. Viele deutsche Unternehmerfamilien würden eine vollständige Aufarbeitung der dunklen Geschichte scheuen, „und so werden die Geister des ,Dritten Reichs‘ sie weiter verfolgen.“

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Die Quintessenz dieses neuen Schwungs an Aufarbeitungsliteratur kommt vom Reimann-Vertrauten Peter Harf. Der Chef der JAB-Holding hat in der „New York Times“ allen erklärt, es sei Zeit, gegen den wachsenden Nationalismus im Westen Stellung zu beziehen: „In der Vergangenheit haben Geschäftsleute Populisten zur Macht verholfen. Wir dürfen diesen Fehler heute nicht wiederholen.“

Mehr: Wie die Familie Reimann ihr Vermögen in zehn Jahren mehr als verdreifacht hat

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