Shortlist: Deutscher Wirtschaftsbuchpreis: So tickt China

Das Reich der Mitte funktioniert anders als westliche Gesellschaften. Stefan Baron und seine Frau fordern mehr Verständnis.
Berlin. Eigentlich ist „Die Chinesen“ von Stefan Baron und Guangyan Yin-Baron erst vor Kurzem erschienen. Doch schon jetzt, nur wenige Monate nach der Veröffentlichung, liest sich das Buch des einstigen Wirtschaftswoche-Chefredakteurs und seiner Frau merkwürdig aus der Zeit gefallen.
Baron und Yin-Baron wollen ihre Leser dazu bringen, China besser zu verstehen – und vor allem verständnisvoller gegenüber dem Reich der Mitte zu werden. In der Welt da draußen hat sich jedoch die Kritik an China in den vergangenen Wochen und Monaten noch einmal verstärkt. Nicht nur US-Präsident Donald Trump haut verbal immer heftiger auf das Reich der Mitte drauf und hat einen Handelskrieg mit ungewissem Ausgang angezettelt.
Auch aus deutschen und europäischen Konzernetagen weht inzwischen unverhohlener Missmut nach Fernost. So beklagten zuletzt die Bahntechnik-Hersteller Alstom, Bombardier und Siemens Wettbewerbsverzerrungen seitens China.
Selbst Sigmar Gabriel, der das Buch des Ehepaars Baron als „spannendes und außerordentlich lehrreiches Buch“ lobt, hatte vor seinem Minister-Abgang Chinas Multimilliarden-Projekt einer „neuen Seidenstraße“ als Pekinger Hegemonialprojekt gebrandmarkt.
Vor diesem Hintergrund lesen sich einige Sätze aus dem China-Versteh-Buch durchaus mutig. Zum Beispiel dieser: „Peking hat niemanden gezwungen, in China zu investieren.“ Und, wer es dennoch tat? Wusste, was er tut, so Baron und Yin-Baron. Die Analyse des Autorenpaares: Die deutsche Wirtschaft habe zu ihrem China-Engagement „gar keine andere Wahl. Wenn sie das Geschäft nicht macht, tun es andere.“

Das Buch zu schreiben war den beiden ein Herzensanliegen. Ihnen sei aufgefallen, wie entweder verächtlich-herabschauend oder angstvoll-zurückschreckend Deutsche mit Chinesen umgingen, und wie ihre Tochter in Deutschland aufgrund ihrer chinesischen Wurzeln beleidigt und diskriminiert worden sei.
Dieses Buch hilft, naive Sichtweisen gegenüber China zu revidieren, Überheblichkeiten zu beerdigen, und vor allem die eigene Sichtweise und vermeintliche Gewissheiten über die sogenannte „gelbe Gefahr“ radikal zu hinterfragen. Dazu liefern die Autoren tiefe Einblicke in historische, kulturelle und geisteswissenschaftliche, sowie soziopsychologische und sogar Geschlechter-Grundlagen des Reichs der Mitte. Immer wieder belegt mit Sinnsprüchen von Konfuzius, dem wohl wichtigsten Denker des Landes. Aber auch fast ebenso vielen Zitaten des Partei- und Staatschefs Xi Jinping aus seinen Parteitagsreden.
Kein Expansionsdrang
Dass China das erste autoritär regierte Land sei, „dass es nicht nur schafft, von einem Entwicklungs- zu einem Schwellenland zu werden, sondern auch von da weiter zu einem entwickelten Land aufzusteigen“, dürfte für alle Beteiligten gut sein. Allerdings keimt die Sorge nach einem möglichen Krieg zwischen China und den USA auf.
Zumindest deuten das viele der zitierten Experten in dem Buch an. Die Autoren entkräften dies: China sei traditionell nicht expansiv, und Peking meine es mit dem „friedlichen Aufstieg“ ernst. China werde „niemals nach Hegemonie streben“, verspreche auch das chinesische Verteidigungs-Weißbuch, schreiben Baron und Yin-Baron.


Immerhin, und da pflichten die beiden Ex-Außenminister Gabriel ein Stück weit bei, sei das „ehrgeizigste Infrastruktur- und Entwicklungsprojekt der Weltgeschichte“ – Chinas neue Seidenstraße nach Europa – „vor allem im Interesse von China selbst“. Es gehe darum, „Chinas geostrategische Position gegenüber den USA zu verbessern“, und als Endziel solle ein „eurasischer Verbund entstehen, der mit der Zeit an die Stelle der transatlantischen Allianz tritt“. Europa solle anstatt eines Brückenkopfes der USA zum Ende einer eurasischen Achse werden.
Für das Autoren-Duo scheint klar zu sein: US-Präsident Trump wolle China „in einer direkten Konfrontation in die Knie zwingen“ – so wie es einst Ronald Reagan mit der Sowjetunion getan habe. Die größte Gefahr für den Frieden gehe demzufolge nicht vom chinesischen Nationalismus oder Pekings Aufrüstung aus, „sondern von der Fehleinschätzung dieser Absichten aufgrund eines mangelnden Verständnisses chinesischen Denkens und Fühlens“, meinen die beiden Eheleute.
Vor diesem Hintergrund fordern Baron und Yin-Baron eine Fernost-Strategie, die den geopolitischen Konflikt zwischen Peking und Washington entschärfe und gleichzeitig verhindere, dass es „zu einem offenen Handelskrieg, beziehungsweise einem neuen Kalten Krieg kommt“. Nur eins führen die beiden China-Kenner dabei nicht aus: Welche Rolle Deutschland und Europa an dieser Stelle spielen.






