Karlsruher EZB-Urteil Was das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission für Deutschland und die EZB bedeutet

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den EZB-Anleihekäufen von 2020 sorgt weiter für Konfliktstoff.
Brüssel, Frankfurt Wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) vom vergangenen Jahr geht die EU-Kommission gegen Deutschland vor. Sie sieht darin eine Verletzung von EU-Recht, wie sie am Mittwoch erklärte. Die Karlsruher Richter hatten der EZB vorgeworfen, ihre Kompetenzen überschritten zu haben, und sich damit über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinweggesetzt. Die wichtigsten Fragen zu dem Verfahren:
Wie geht die EU-Kommission gegen Deutschland vor?
Die Kommission hat am Mittwoch einen Brief an die Bundesregierung geschickt mit dem Vorwurf, dass das BVerfG in Karlsruhe gegen grundlegende Prinzipien des EU-Rechts verstoßen hat. Mit dem Brief ist Berlin aufgefordert, Stellung zu beziehen. Danach kann die EU-Kommission entscheiden, Klage vor dem EuGH gegen Deutschland zu erheben.
Worum ging es bei dem Urteil?
Gegenstand war ein älteres Anleihekaufprogramm der EZB, das sie 2015 aufgelegt hatte. Im Mai 2020 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die EZB mit den Käufen ihre Kompetenzen überschritten habe. Es verlangte, dass die EZB die Verhältnismäßigkeit der Anleihekäufe aufzeigt.
Damit setzten sich die Richter über eine vorherige Entscheidung des EuGH hinweg, der das Programm als rechtens bewertet hatte. Die EuGH-Entscheidung sei „objektiv willkürlich“ und „methodisch nicht mehr vertretbar“. Das Urteil ist inzwischen umgesetzt. Die Bundesbank hat EZB-Dokumente an die Bundesregierung und den Bundestag weitergeleitet. Beide Institutionen attestierten daraufhin, dass die Anforderungen des BVerfG aus ihrer Sicht erfüllt seien. Diese Sicht hat Karlsruhe bestätigt.
Was ist das Problem dabei?
Das Problem ist nicht die Rechtsauffassung der Karlsruher Richter zum EZB-Programm. Das Problem ist, dass man in Karlsruhe die Rechtsprechung aus Luxemburg nicht akzeptieren wollte. Deutschland habe damit gegen die Grundsätze der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des EU-Rechts verstoßen, erklärte die Kommission.
Die harten Worte an die Adresse des EuGH verstärkten bei der EU-Kommission die Befürchtung, dass hier ein Präzedenzfall entsteht. „Dies könnte die Integrität des EU-Rechts bedrohen“, sagte ein Sprecher. Im Fokus ist neben dem BVerfG dabei insbesondere Polen, wie das Handelsblatt aus Kommissionskreisen erfuhr.
Zuletzt hatte der EuGH entschieden, dass der Braunkohletagebau Turow stillgelegt werden müsse, weil er das Grundwasser im Nachbarland Tschechien gefährde. Daraufhin sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki, er werde keine Risiken eingehen, „nur weil irgendwer beim Gerichtshof diese oder jene Entscheidung getroffen hat“.
Welche Reaktion ist möglich?
Die EU-Kommission lässt das offen. Es sei Sache der deutschen Staatsorgane, zu denen auch das BVerfG gehört, die angemessene Antwort zur Behebung der Vertragsverletzung zu finden, heißt es. Der Verweis auf das Gericht könnte bedeuten, dass man sich damit zufriedengibt, wenn Karlsruhe von sich aus erklärt, den EuGH nicht mehr infrage zu stellen. Passiert das nicht, müsste wohl der Bundestag klarstellen, welche Rolle der EuGH aus deutscher Sicht hat.
Im Grundgesetz ist das bisher nicht deutlich definiert. Passiert auch das nicht, würde die Kommission vor den EuGH ziehen. Dieser kann eine Geldstrafe verhängen. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums sagte am Mittwoch lediglich, dass ein gutes Kooperationsverhältnis zwischen den Gerichten wichtig sei.
Welche Folgen hat das Verfahren für die EZB?
Unmittelbar keine. Da das Urteil aus dem vergangenen Jahr inzwischen umgesetzt und das Verfahren abgeschlossen ist, kann die EZB mit ihren Anleihekäufen fortfahren. Aber es gibt weiter Potenzial für rechtliche Konflikte.
Gibt es weitere Klagen?
Ja, diese richten sich gegen das in der Corona-Pandemie aufgelegte neue Anleihekaufprogramm mit dem Kürzel PEPP. Geklagt hat eine Gruppe um den Finanzwissenschaftler Markus Kerber. Zudem hat die AfD-Bundestagsfraktion Organklage eingereicht. Das PEPP-Programm hatte die EZB im März 2020 aufgelegt, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise abzumildern.
Anders als beim älteren Anleihekaufprogramm hat sich die EZB hier mehr Flexibilität vorbehalten. So kann sie auch von Prinzipien wie der Bindung der Käufe an den EZB-Kapitalschlüssel vorübergehend abweichen. In der Vergangenheit hatte das BVerfG die Bedeutung dieser Prinzipien betont.
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