Währungshüter unter Druck Die fünf Herausforderungen des neuen Bundesbank-Chefs

Der neue Bundesbank-Präsident hat mit manchen Widersprüchen seines neuen Amts zu kämpfen.
Frankfurt Der neue Bundesbank-Chef tritt sein Amt in einer schwierigen Phase an. Die Inflation in Deutschland liegt über fünf Prozent. Jens Weidmann, der Vorgänger von Joachim Nagel, hat sich im Dissens zu den meisten anderen Mitgliedern aus dem EZB-Rat zurückgezogen. Die Unsicherheit mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung ist groß.
Denn eine Pandemie wie Corona hat die Welt zuletzt vor gut 100 Jahren mit der sogenannten Spanischen Grippe erlebt – entsprechend schwer sind die wirtschaftlichen Folgen einzuschätzen. Auf Nagel warten daher mehrere Herausforderungen, die eng miteinander zusammenhängen.
1. Hohe Inflation
Mit 5,2 Prozent hat die Inflation in Deutschland ein Maß erreicht, das weit über das Ziel von zwei Prozent der meisten Notenbanken weltweit hinausgeht. Es liegt auch höher als der Durchschnitt im EU-Raum mit knapp fünf Prozent. Das ist nicht nur eine Herausforderung für die geldpolitischen Entscheidungsträger, sondern verlangt auch der Research-Abteilung der Bundesbank einiges ab.
Zurzeit ist die Frage offen, ob sich die Rückkehr zu einer Zeit niedriger Inflation, niedrigen Wachstumsraten und niedriger Zinsen, wie vor Corona gewöhnt, nur verzögert. Oder ob tatsächlich eine neue Ära anbricht. Je nachdem, ob jetzt eine „große Beschleunigung“ ansteht, wie sie die US-Großbank JP Morgan weltweit anbrechen sieht, können sich Geldpolitiker mehr oder weniger Geduld gegenüber steigenden Preisen erlauben. Zugleich liegen die Prognosen der Geldpolitiker ohnehin häufig daneben und werden jetzt noch schwieriger. Hier muss die Bundesbank ihren Beitrag leisten.
2. Positionierung in der EZB
Als Bundesbankchef ist Nagel auch Mitglied im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB), der die geldpolitischen Entscheidungen trifft. Dabei gibt es gleich zwei Kernfragen, wo er mit anderen Mitgliedern im Rat in Kontroversen geraten dürfte. Einmal geht es um die Frage, wie viel Inflation die EZB riskieren sollte. Und dann darum, wie eng sie mit ihren geldpolitischen Instrumenten an die Staatsfinanzierung heranrückt. Der zweite Punkt hat Weidmann bis in seine letzte EZB-Sitzung im Dezember hinein besonders am Herzen gelegen.
Schon der Kauf von Staatsanleihen kann als indirekte Staatsfinanzierung gedeutet werden. Offiziell will die EZB damit allerdings die langfristigen Zinsen drücken und so die Wirtschaft beleben und damit auch ein Abrutschen der Preisentwicklung, wie es vor Corona manchmal zu drohen schien, verhindern.
Darüber hinaus hat die EZB sich in der Coronakrise die Lizenz gegeben, gezielt die Anleihen einzelner Länder zu kaufen, um zu verhindern, dass deren Renditen zu hoch steigen und den Schuldendienst der jeweiligen Regierungen überfordern würde. Diese Flexibilität hat sie relativ wenig genutzt, behält sie aber, wenn auch etwas abgeschwächt, auch für die Zeit nach Corona bei.
Hier stellt sich die Frage, wie strikt ordnungspolitisch Nagel sich positionieren will. Tritt er zu streng auf, isoliert er sich wahrscheinlich im EZB-Rat und verliert damit an Einfluss. Passt er sich zu sehr der Mehrheitslinie an, hat er de facto auch keinen Einfluss. JP Morgan glaubt, Nagel werde etwas weicher als Weidmann auftreten, aber doch ein „Falke“, also ein Anhänger härterer Geldpolitik, sein. Doch genau das zusammenzubringen ist die Herausforderung.
3. EZB-Politik erklären
Idealtypisch sollten Geldpolitiker hart in der internen Diskussion sein, nach außen aber einigermaßen geschlossen auftreten und EZB-Entscheidungen erklären. In Deutschland wäre dafür die Bundesbank zuständig. De facto hat zuletzt aber diese Rolle die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel übernommen. Für sie war es auch leichter als für Weidmann, weil sie mehr mit der Mehrheitslinie übereinstimmt. Damit ist aber auf Dauer auch ein Bedeutungsverlust der Bundesbank verbunden. Nagel muss hier seinen eigenen Weg finden.
4. Politische Unabhängigkeit bewahren
In Deutschland ist die Sorge groß, dass die EZB sich zu sehr in Abhängigkeit von hochverschuldeten Staaten begibt, die niedrige Zinsen benötigen. Frederik Ducrozet, EZB-Experte der Schweizer Bank Pictet, hat aber auf Twitter schon angemahnt, dass Nagel sich auch unabhängig von deutschen Politikern halten muss, die gerne auf das Inflationsthema aufspringen, zumal sie es selbst nicht verantworten müssen.
Hinzu kommt, dass auch die Finanzbranche gerne die Geldpolitik der EZB kommentiert und dabei regelmäßig, nicht völlig uneigennützig, zu niedrige Zinsen bemängelt, was zusätzlichen Druck aufbauen könnte.
5. Bundesbank modernisieren
Gerade diese Herausforderung ist nicht zu unterschätzen, wobei Nagel seine frühere Amtszeit als Bundesbank-Vorstand helfen sollte. Die Bank ist mit gut 10.000 Mitarbeitern eine der größten Notenbanken der Welt und zugleich eine schwergewichtige deutsche Behörde.
Die Modernisierung fängt schon bei der Immobilie an: Der Campus soll neu gestaltet werden, was sich aber in die Länge zieht und teuer wird. Außerdem ist die Bundesbank Mitglied in zahlreichen zukunftsbezogenen Forschungsvorhaben, etwa beim Thema einer elektronischen Variante des Euros. In einem eigenen Labor erforscht sie zudem neue Möglichkeiten, Daten schneller und automatischer auszuwerten. Alles das muss der neue Präsident weiter vorantreiben.
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