Homeoffice und Hygienevorschriften „Wir können die Zentrale nicht einfach abschließen“: Wirtschaft reagiert gespalten auf neue Corona-Regeln

„Büroarbeitsplätze sind weiter nötig. Wir können die Zentrale nicht einfach abschließen.“
Düsseldorf Homeoffice-Pflicht? Nicht nötig. So klangen die größten Arbeitgeber des Landes noch vor wenigen Tagen bei einer Handelsblatt-Befragung. Auf die am Dienstagabend von Bund und Länderchefs beschlossenen verschärften Corona-Schutzmaßnahmen reagieren viele Unternehmen mit einer Mischung aus Unverständnis und Gelassenheit.
So teilt der Chemie- und Pharmakonzern Bayer am Mittwoch mit, der jetzt bis zum 14. Februar verlängerte Lockdown stelle „keine grundlegend neue Situation“ für das Unternehmen dar. Die meisten Beschäftigten, die seit dem Frühjahr überwiegend aus dem Homeoffice arbeiten, würden dies auch weiterhin tun.
Auch vom Softwaregiganten SAP heißt es: „Wir stehen hinter allen Maßnahmen, die dabei helfen, die Corona-Pandemie wirkungsvoll zu bekämpfen“, erklärte Deutschland-Personalchef Cawa Younosi. Bei SAP arbeiten aktuell 95 Prozent aller Mitarbeiter von zu Hause – ein Spitzenwert im Dax.
Ähnlich antworteten auch andere vom Handelsblatt befragte Konzerne wie Allianz, Beiersdorf, Eon, die Deutsche Bank und Volkswagen.
Klare Kritik kommt hingegen von Reinhold von Eben-Worlée. Der Chef des Hamburger Chemieunternehmens Worlée und Präsident des Familienunternehmer-Verbands sagte im Gespräch mit dem Handelsblatt: „Die neuen Regelungen zum mobilen Arbeiten sind ein weit übertriebener Eingriff in die unternehmerische Selbstbestimmung.“
Der 64-Jährige fürchtet viel Bürokratieaufwand, um nachzuweisen, warum Mitarbeiter doch ins Büro kommen müssen. Gerade kleinere und mittlere Betriebe könnten das nicht leisten.
Nach einer neuen Verordnung des Bundesarbeitsministeriums sollen Unternehmen in Deutschland dazu verpflichtet werden, ihren Bürobeschäftigten Homeoffice anzubieten, wenn die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz über einem Wert von 50 liegt – was auf fast alle Regionen der Republik zutrifft. Ausnahmen sind nur erlaubt, „wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen“.
Doch von denen sieht Verbandschef von Eben-Worlée einige. Mitarbeiter müssten weiter die Firmenpost entgegennehmen oder könnten aus Datenschutzgründen nicht einfach alle Dokumente mit nach Hause nehmen. Bei Worlée arbeitet derzeit gut die Hälfte der Bürobelegschaft im Homeoffice.
Daran werde auch die neue Verordnung nichts ändern, betonte der Familienunternehmer: „Büroarbeitsplätze sind weiter nötig. Wir können die Zentrale nicht einfach abschließen.“ In seinem Betrieb habe es bei 700 Angestellten keine einzige nachgewiesene Corona-Infektion gegeben.
Auch Frank Heinricht, Vorstandsvorsitzender des Glasherstellers Schott, nennt die neuen Beschlüsse „ganz schöne Kapriolen“. Die Homeoffice-Regeln, die jetzt diskutiert würden, brauche sein Unternehmen nicht. Eine Pflicht für das Arbeiten zu Hause lehnte der Mittelständler ganz klar ab. „Das halte ich für einen viel zu starken Eingriff in die Souveränität und die Arbeitsrealität der Unternehmen.“ Bei Schott sind aktuell 60 Prozent der Belegschaft im Homeoffice.
Mehr Verständnis für die verschärften Homeoffice-Regeln zeigt die Hamburger Otto Group: „Wir halten es in der aktuellen Situation für sehr richtig, allen Arbeitnehmern, deren Tätigkeiten es erlauben, das Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen“, sagte Vorstandsmitglied Marcus Ackermann. Bei dem Traditionshändler liegt die Homeoffice-Quote in der Verwaltung nach eigenen Angaben bei „rund 90, teils bei 100 Prozent“.
Mit den jüngsten Entwicklungen habe das Unternehmen seine Maßnahmen noch einmal verschärft und Schichtsysteme sowie Pausenzeiten verändert, um die Kontakte der Belegschaft untereinander weitestgehend zu entzerren. Mit Anstieg der Infektionszahlen wurden zudem Schnelltests auf freiwilliger Basis angeboten.
Weniger Deutsche im Homeoffice als noch im ersten Lockdown
Im Verlauf der Pandemie scheint sich vielerorts eine Heimarbeitsmüdigkeit breitgemacht zu haben. Nachdem während der ersten Welle im Frühjahr 27 Prozent der Beschäftigten überwiegend von zu Hause arbeiteten, waren es im November nur noch 14 Prozent – trotz steigender Infektionszahlen und des Appells der Politik an die Arbeitgeber, mobile Arbeit zu ermöglichen. Das zeigt eine Befragung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Ähnliches legt eine Befragung unter Büroangestellten der Investmentbank Morgan Stanley vom Dezember nahe.
Wie gefährlich das Büro als Ansteckungsherd tatsächlich ist, ist nicht gänzlich geklärt. Die Statistiken des Robert Koch-Instituts gehen von einem moderaten Risiko aus. Ein großes Problem ist jedoch, dass die Rückverfolgung von Infektionsketten aufwendig und deshalb oft lückenhaft ist. Schätzungen der Universität Mannheim legen jedoch nahe, dass es bei einer genauso hohen Homeoffice-Quote wie im Frühjahr nur halb so viele Infektionen gäbe.
Fest steht: Die meisten großen Unternehmen haben in der Pandemie das Arbeiten von zu Hause zum Standard erklärt. Und das teilweise dauerhaft. So will etwa Siemens auch nach Corona allen Beschäftigten weltweit im Schnitt zwei bis drei Tage mobiles Arbeiten pro Woche ermöglichen.
Auch auf die verschärften Hygienevorschriften, auf die sich das Kanzleramt und die Länderchefs am Dienstagabend verständigt haben, sehen sich gerade die großen Unternehmen gut vorbereitet. So bietet Bayer in Zusammenarbeit mit den ärztlichen Dienstleistern des Konzerns schon jetzt anlassbezogene Corona-Schnelltests für die eigene Belegschaft an. „Eine breite Testung aller Beschäftigten, eine sogenannte Massentestung, erscheint uns nicht zielführend“, erklärte ein Sprecher.
Der Entwurf einer neuen Arbeitsschutzverordnung aus dem Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) hatte ursprünglich vorgesehen, in Corona-Hotspots mit mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen eine wöchentliche Testpflicht für Betriebe einzuführen, in denen mindestens 50 Beschäftigte regelmäßig zusammentreffen. Diese Testpflicht soll nun aber doch nicht kommen.
Dafür sieht die Verordnung weiterhin vor, dass überall dort, wo mehrere Mitarbeiter in einem Raum zusammenarbeiten, jedem Beschäftigten eine Fläche von mindestens zehn Quadratmetern zur Verfügung stehen muss.
Unternehmen kämpfen um die Existenz
Der Chemiekonzern BASF sieht sich „mit unserem bereits geltenden Abstands- und Hygieneregelungen“ am Standort Ludwigshafen „grundsätzlich gut aufgestellt“ für die neuen Regelungen. Eine Sprecherin erklärte, man erfülle bereits jetzt weitgehend die Anforderungen und neuen Vorgaben.
Beim Energiekonzern RWE, wo man vor allem in Betrieben wie Kraftwerken und Tagebauen die Zehn-Quadratmeter-Regel nicht einhalten könne, habe man „durch geeignete technische, organisatorische und personelle Schutzmaßnahmen“ den Schutz der Beschäftigten sichergestellt, wie ein Sprecher mitteilte.
Und der Autozulieferer Continental erklärt, dass man die bestehenden Schutzmaßnahmen für die Belegschaft kontinuierlich weiterentwickele. „Unsere Hygienekonzepte an den Standorten sind für die verschiedenen Phasen einer Pandemie ausgelegt und umfassen alle Bereiche, sowohl in der Produktion als auch in der Verwaltung“, sagte eine Sprecherin. Die Verwaltungsbereiche von Continental sind aktuell nur zu 10 bis 20 Prozent ausgelastet.
Für andere Unternehmen geht es aufgrund des verlängerten Lockdowns schlichtweg um die eigene Existenz. „Die größte Herausforderung ist nach wie vor, die Liquidität zu erhalten“, sagte Rainer Schaller, Gründer der Fitnesskette McFit, die ihre Studios pandemiebedingt komplett schließen musste.
„Es wird von Tag zu Tag, von Woche zu Woche der Schließungen schwerer, da sich die Gefahr einer dauerhafter Schließung und Insolvenzen enorm potenzieren“, sagte Schaller dem Handelsblatt. In den USA gebe es bereits eine Pleitewelle in der Branche. „Der Worst Case für uns ist die Insolvenz – wie für viele andere auch.“
Mitarbeit: Florian Kolf, Jens Koenen.
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