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AußenhandelWir sehen keine Deglobalisierung, sondern eine veränderte Globalisierung

Deutschland als Exportnation braucht kein neues, sondern ein verändertes Geschäftsmodell, meint Lisandra Flach. Die Politik habe das erkannt. 10.10.2024 - 17:00 Uhr Artikel anhören
Lisandra Flach ist Professorin für Volkswirtschaftslehre und leitet das ifo-Zentrum für Außenwirtschaft. Foto: Skizzomat, Ifo Institut

Deutschland braucht ein neues Geschäftsmodell, ist derzeit immer wieder zu lesen. Die Welt sei derart in Aufruhr, dass der Fokus auf die Exportwirtschaft so nicht mehr aufrechtzuerhalten sei. Diese Kommentatoren eint aber eine Fehleinschätzung: Wir sehen keine Deglobalisierung, sondern eine veränderte Globalisierung.

Darauf muss Deutschland natürlich reagieren. Nicht mit einem neuen Geschäftsmodell, sondern einem veränderten Geschäftsmodell. Die Politik hat das erkannt. Eine Handelspolitik nach dem Motto „Alle Eier in einen Korb“ birgt auf Dauer ein zu hohes Risiko. Das gilt allen voran für den Handel mit China. Aber nicht nur. Wer weiß schon, wie verlässlich die USA in Zukunft noch als Partner sein werden?

>> Dieser Gastkommentar ist ein Beitrag zur großen Handelsblatt-Aktion „Zukunftsplan Deutschland“. Alle Texte finden Sie hier.

Kein Handel ist für ein Land wie Deutschland aber keine Option. Eine Abkopplung von den Weltmärkten wäre mit wirtschaftlichen Schäden verbünden, die kaum auszumalen sind.

Richtig ist daher der Derisking-Ansatz: weiterhin Handel, aber mit vielen verschiedenen Partnern. Letztlich bedeutet das nicht weniger, sondern mehr Handelspartner.

Handelspolitik als Balanceakt

Wenn eine Wirtschaftsmacht wie die EU sich nach neuen Handelspartnern umschaut, sucht China aber natürlich auch Ersatz. Die globale Konkurrenz um neue Märkte wird immer größer.

Gleichzeitig wachsen hierzulande die Ansprüche an Handelsverträge. Man glaubt nicht mehr daran, Nachhaltigkeitsgedanken durch den Handel selbst in die Welt zu tragen („Wandel durch Handel“), sondern will die neuen Partnern direkt zur Nachhaltigkeit verpflichten.

Auch deshalb ist seit dem Ceta-Abkommen zwischen der EU und Kanada kaum etwas vorangegangen. Vor allem beim seit mehr als zwanzig Jahren verhandelten Handelsvertrag mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten zeigt sich, dass Deutschland neue Ansätze braucht, um mehr Handel in einer instabilen Welt zu ermöglichen.

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Da die Kompetenzen für die Handelspolitik bei der EU liegen, sollte Deutschland hier besonders auf die neue EU-Kommission einwirken. Handelsabkommen sind höchst diffizile Angelegenheiten. Auf tausenden Seiten werden kleinste Details zu unterschiedlichsten Bereichen geregelt. Doch ein Muster zeigt sich immer wieder: Am Agrarbereich allein scheitern viele Abkommen.

So könnte es auch beim Mercosur-Abkommen wieder laufen. Nach wie vor blockiert Frankreich aus Sorge um die heimischen Bauern den Handelsvertrag. Die fürchten sich vor einer Flut an Rindfleisch aus Brasilien und Argentinien. Dabei ist die Sorge irrational, da beispielsweise quantitative Beschränkungen für Rindfleisch und andere Agrarprodukte verhandelt worden sind, wodurch kein bedeutender Umbruch zu erwarten ist.

Geopolitischer Wettlauf um Handelsmärkte

Auch die Befürchtung einer zunehmenden Abholzung, die ein ernstzunehmendes Problem ist, erscheint angesichts der Beschränkungen im Agrarhandel mit der EU eher überspitzt. Die Forderung, die Politik dürfe sich nicht immer vor der Agrarlobby beugen, ist altbekannt.

Das Argument, dass das Handelsabkommen zu unfairen Wettbewerbsbedingungen im Agrarbereich führt, erscheint in dem Fall übertrieben, angesichts der Tatsache, dass dieser Sektor einer der weltweit am stärksten subventionierten ist. Der Hinweis ist ja richtig, aber in der aktuellen geopolitischen Lage haben wir keine Zeit mehr.

Wenn Europa weiterhin als globaler Akteur mitreden will, sollte es das Handelsabkommen annehmen
Lisandra Flach

Bereits jetzt beherrscht China den Außenhandel der Mercosur-Staaten und sichert sich Zugang zu wichtigen Märkten. Wenn Europa weiterhin als globaler Akteur mitreden will, sollte es das Abkommen annehmen. Zudem muss der Trend zum überfrachteten Handelsabkommen enden. Die EU hat sich vor einiger Zeit darauf geeinigt, Kriterien von Klima- und Umweltschutz sowie Menschenrechten als elementare Voraussetzung für die Verabschiedung künftiger Handelsabkommen einzubringen.

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Das ist ein hehres Motiv, aber der falsche Ort für die Umsetzung. Die EU hat kein Druckmittel mehr, ihre Anforderungen in dieser Hinsicht durchzusetzen. Das war früher einmal anders, als für afrikanische, asiatische oder südamerikanische Länder kein Weg am Handel mit der EU vorbeiführte. Heute haben diese Länder eine Wahl: Verstärken sie ihren Handel mit der EU nicht, verstärken sie ihn eben mit China.

Die Volksrepublik geht mit ihrer Seidenstraßeninitiative dabei äußerst strategisch vor. Und China achtet dabei sicherlich nicht auf Klimaschutz und Menschenrechte. In Südamerika und Ostasien liegen sicherlich große Potenziale auf der Suche nach neuen Handelspartnern.

Große Chancen im EU-Dienstleistungshandel

Manchmal liegt das Gute aber auch so nah. Es gibt große Chancen, den Handel in der EU deutlich zu erweitern. Der Binnenmarkt mag zwar eng verflochten sein, es gibt grundsätzlich weder Grenzkontrollen noch Zölle. Doch es gibt noch einen ungehobenen Schatz in der EU: den Dienstleistungshandel. Das betrifft Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Freizeitangebote.

Deutschland könnte von einem stärkeren Dienstleistungshandel in der EU insbesondere durch seine starke Industrie profitieren. Ein Drittel der Vorleistungen, die die deutsche Industrie einsetzt, kommt inzwischen aus dem Dienstleistungssektor. Das betrifft Software für Industrieprodukte ebenso wie die Reparatur der eigenen Maschinen. Und angesichts immer individuellerer Produkte dürfte deren Dienstleistungsanteil zunehmen.

Auch für Dienstleistungen gibt es in der EU keine Zölle. Doch sie unterliegen besonders großen anderen Hindernissen, sogenannten nicht-tarifären Handelsbarrieren. Gemeint sind damit etwa behördliche Genehmigungen, zusätzliche Versicherungen für Dienste im Ausland, die Anerkennung von Qualifikationen.

Bei all diesen Voraussetzungen zeigt sich, dass die EU immer noch ein Flickenteppich von 27 Systemen ist.
Lisandra Flach

Bei all diesen Voraussetzungen zeigt sich, dass die EU immer noch ein Flickenteppich von 27 Systemen ist. Es bräuchte Initiative auf europäischer Ebene, diese Hemmnisse abzubauen. Wer, wenn nicht Deutschland, sollte diese anschieben?

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Der wirtschaftliche Zugewinn wäre enorm. Eine Reduktion nicht-tarifärer Handelshemmnisse um 25 Prozent könnte unseren Forschungen zufolge zu einem Anstieg der Wertschöpfung in der EU um 2,3 Prozent und in Deutschland um 1,4 Prozent führen. In Deutschland würde auch die Industrie enorm von einer Liberalisierung des Dienstleistungshandels profitieren.

Die konkreten Handlungsempfehlungen:

    Wenn Europa weiterhin als globaler Akteur mitreden will, sollte es die neue geopolitische Lage wahrnehmen und Abkommen wie mit den Mercosur-Staaten annehmen.Die Abkommen dürften nicht mit Kriterien für Nachhaltigkeit überfrachtet werden, davon profitiert am Ende nur China.Das größte ungehobene Handelspotenzial liegt in der EU, deshalb müssen Hemmnisse beim Dienstleistungshandel dringend abgebaut werden.

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