Gastkommentar: Das Milliardenpaket von Merz könnte als Papiertiger enden

Der Applaus aus dem Ausland ließ nicht lange auf sich warten: Die Reform der Schuldenbremse ist für viele europäische Partner das lang ersehnte Ende der fiskalpolitischen Askese, die Deutschland sich selbst und anderen Europäern auferlegt hatte.
In der Tat ist die deutsche Reform – eine goldene Verteidigungsregel ohne Höchstgrenze wie auch das Sondervermögen für Infrastruktur – ein proeuropäisches Signal für eine deutsche Führungsrolle beim Aufbau einer europäischen Verteidigungsarchitektur und eine finanzpolitische Kehrtwende.
Bei gesetzestreuer Anwendung wird die Reform jedoch ein Papiertiger bleiben, der an den europäischen Fiskalregeln scheitert. Diese Regeln waren erst letztes Jahr reformiert worden. Die Grundlogik der Reform zielte darauf ab, die Flexibilität der Regeln durch eine länderspezifische Schuldentragfähigkeitsanalyse zu erhöhen, aus der sich ein Nettoausgabenpfad über einen Zeitraum von vier oder sieben Jahren ergibt.
Die Regeln machen der deutschen Reform sowohl kurzfristig wie langfristig einen Strich durch die Rechnung. Aus der Schuldentragfähigkeitsanalyse folgt, dass Deutschland bis 2028 jährlich einen strukturellen Primärüberschuss von mindestens 0,06 Prozent des BIP bezogen auf alle Staatsebenen (Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungen) erreichen muss – egal, was die deutsche Schuldenregel besagt.
Der strukturelle Primärsaldo ist die konjunkturbereinigte Differenz von Staatsausgaben ohne Zinsen und Staatseinnahmen.
Das verengt den Ausgabenspielraum erheblich, selbst wenn die aktuellen Haushaltsdefizite der Kommunen schlagartig abgebaut würden. Aus dem 500 Milliarden Euro schweren Infrastrukturfonds könnte kein einziger Euro abgerufen werden.
Die EU definiert Verteidigungsausgaben enger als die Bundesregierung
Und selbst die neue goldene Regel für Sicherheit wird Deutschland durch die europäischen Regeln nicht ausschöpfen können. Die europäischen Regeln definieren Verteidigungsausgaben enger als die Bundesregierung und auch enger als die an die Nato gemeldeten Verteidigungsausgaben. Von der Flexibilität der EU-Regeln profitieren aber nur die eng definierten Verteidigungsausgaben.
Um nicht am Ende insgesamt weniger für Sicherheit ausgeben zu können, müsste die Bundesregierung ihre Kern-Verteidigungsausgaben im Rekordtempo hochfahren, weil sie gleichzeitig von den Regeln gezwungen wird, erweiterte Sicherheitsausgaben zu senken.
Langfristig sieht es nicht besser aus. Die EU-Regeln sehen auch nach ihrer Reform im letzten Jahr die Pflicht vor, Schulden auf einen Höchstwert von 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zurückzuführen.
Bei plausiblen nominalen Wachstumsraten und Verteidigungsausgaben unter der neuen Schuldenregel würde die deutsche Verschuldung von etwa 63 Prozent des BIP Stand Ende 2024 auf ein langfristiges Niveau von 100 Prozent oder mehr steigen.
Berlin und Brüssel stecken damit in einer Zwickmühle. Die deutsche Regierung kann weder ihren Infrastrukturfonds nutzen noch die Verteidigungsausgaben beliebig erhöhen, ohne gegen die EU-Haushaltsregeln zu verstoßen. Sie kann sich aber auch nicht den Gesichtsverlust leisten, den Infrastrukturfonds unangetastet zu lassen.
Die EU-Regeln sollten erneut reformiert werden
Die Kommission ihrerseits begrüßt zwar den neuen deutschen finanzpolitischen Kurs, sie kann aber für Deutschland keine Sonderregeln anwenden. Gerade erst hat sie mit 22 EU-Mitgliedern Fiskalstrukturpläne ausgehandelt, bei denen manche Länder, etwa Frankreich oder Italien, schmerzhafte Einschnitte hinnehmen mussten. Gleiche Regeln für alle.
Deutschland wird argumentieren, dass die neuen Ausgaben Wachstum erzeugen, die einen höheren Ausgabenpfad rechtfertigen. Das stimmt zwar, wird jedoch allenfalls Kosmetik sein.
Alle weiteren Auswege wären ein Griff in die illegale Trickkiste. Etwa wenn die Mittel aus dem Infrastrukturfonds auf Bundes- oder Landesebene für bisherige Investitionen verwendet werden. Damit würde sich der Nettoausgabenpfad zwar nicht verändern (und damit europarechtskonform sein), aber darin läge ein Verstoß gegen das Zusätzlichkeitserfordernis im Grundgesetz, das für die Milliarden aus dem Sondervermögen gilt.
Die saubere Lösung bestünde darin, die EU-Regeln erneut zu reformieren. Es wäre zwar misslich, die Regeln so kurz nach ihrer Reform wieder anzupassen. Aber die Alternativen wären in ihren Folgewirkungen noch schlimmer: Die deutschen Ausgaben künstlich zu drosseln oder Friedrich Merz in die Fußstapfen von Gerhard Schröder treten zu lassen, der 2003 den Stabilitätspakt durch politischen Druck aufweichte.
Die Autoren:
Armin Steinbach ist Professor für Recht und Ökonomik an der HEC Paris und Non-Resident Fellow bei der Denkfabrik Bruegel.






Jeromin Zettelmeyer ist Direktor von Bruegel.
Die Studie der Autoren zum Thema finden sie unter: www.bruegel.org/analysis/germanys-fiscal-rules-dilemma
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