Gastkommentar Der traditionelle Schulbetrieb hinkt der digitalen Wirklichkeit hinterher

Die Autorin ist Konzernbeauftragte Digitale Bildung und Schule der Deutschen Telekom und Mitglied des Aufsichtsrats.
Seitdem Deutschland von Schulschließungen betroffen ist, steht das Thema „Digitalisierung der Bildung“ wie noch nie im Brennpunkt des Interesses – sowohl in der Politik als auch im öffentlichen Bewusstsein. Kein Wunder: Praktisch von einem Tag auf den anderen wurde Digitaltechnik zum wichtigsten Stützpfeiler des Bildungssystems.
Die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs hängt inzwischen angesichts der Corona-Pandemie in einem noch nie da gewesenen Maß von der digitalen Ausstattung der Schulen und der Schülerinnen und Schüler ab. Leider ist es mit dieser Ausstattung nicht allzu weit her. Das ist zwar nicht gut, aber auch nicht so dramatisch, wie es immer wieder dargestellt wird.
Tatsächlich dürfte die verbesserungsbedürftige Digitalausstattung im Bildungssektor gar nicht das eigentliche Problem sein. Sie ist nur jener Teil des Problems, den wir derzeit besonders klar sehen. Mit dem Wegfall des gewohnten Präsenzunterrichts wurde deutlich, dass wir in Deutschland von einer Kultur der digitalen Bildung noch weit entfernt sind – weiter jedenfalls als viele andere Länder.
Das liegt zum Teil am Ausstattungsdefizit und einer noch ausbaufähigen digitalen Infrastruktur. Zu einem viel größeren Teil aber liegt es daran, dass wir die Digitalisierung des Bildungswesens noch immer als „Extraaufgabe“ begreifen – und nicht als essenzielle Komponente einer längst überfälligen Reform der Bildungsvermittlung.
Schule in ihrer traditionellen Form kann die Komplexität einer weitgehend digitalisierten Gesellschaft nicht mehr abbilden. In einer Zeit, in der Kinder als Influencer in sozialen Medien agieren, darf Schule sich nicht mehr in einem streng nach Stundenplänen ausgerichteten Präsenzunterricht erschöpfen. Digitale Lehrvideos müssen ebenso in den Schulbetrieb eingebunden werden wie Live-Webinare, Podcasts und KI-basierte Lernprogramme.
Eine leistungsfähige digitale Infrastruktur ist die Grundvoraussetzung dafür. Damit die Schulen in Deutschland nicht den Anschluss verlieren, müssen sie im wahrsten Sinne neue Anschlüsse bekommen – das ist unter anderem Aufgabe der großen Telekommunikationsanbieter. Sie können für sichere Internetverbindungen mit ausreichender Bandbreite sorgen, und sie können schülergerechte Tarife anbieten.
Das allein reicht allerdings bei Weitem nicht aus. Zusätzlich sind auch Kommunikationstools und Lernplattformen nötig, außerdem muss die Digitalkompetenz der Lehrerinnen und Lehrer erhöht werden. Selbst wenn die Schulen in kürzester Zeit eine erstklassige Infrastruktur erhielten: Das wäre so, als bekäme ein Jugendlicher ohne Führerschein einen Sportwagen geschenkt. Er könnte nicht viel damit anfangen.
Fast die Hälfte aller Jobs fällt weg
Die Deutsche Telekom springt hier bereits in die Bresche. Sie kümmert sich nicht nur um die Vernetzung, sondern stellt mit renommierten Partnern auch Softwaretools bereit. Darüber hinaus unterstützt das Unternehmen Schulen und Schulträger dabei, Medienentwicklungspläne zu erarbeiten, es produziert digitale Magazine für Schülerinnen und Schüler und forciert die Entwicklung einer Bildungsplattform für Deutschland.
Dennoch muss noch mehr getan werden. Denn wir erleben gerade einen tief greifenden Wandel der Arbeitswelt, an dessen Ende viele der heutigen Berufsbilder verschwunden sein werden – hauptsächlich deshalb, weil sie analog strukturiert sind. Die University of Oxford prognostiziert, dass in den nächsten zwei Jahrzehnten digitalisierungsbedingt fast die Hälfte der Jobs wegfallen wird.
Auf diesen Paradigmenwechsel ist unser Nachwuchs nicht vorbereitet. In einer Pisa-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu den Berufsvorstellungen von Jugendlichen nannten 45 Prozent der Befragten Wunschberufe, die es in zehn bis 15 Jahren wohl nicht mehr geben wird. Die Digitalisierung transformiert also die Zukunft einer Generation, die das weder begrüßt noch vollumfänglich kommen sieht. Höchste Zeit, diese Generation aufzuklären!
Dass wir die Schule digitaler machen müssen, ist also nicht nur eine technische Aufgabe. Es ist auch eine pädagogische und vor allem eine psychologische Aufgabe: Wir müssen Kinder und Jugendliche offener für zukunftsgerichtete Berufsperspektiven machen und sie enger an die Lebenswirklichkeit in der Arbeitswelt koppeln.
Es geht um den Standort Deutschland
Bei der Diskussion um digitale Bildung geht es daher um viel mehr als um funktionierenden Distanzunterricht in Pandemiezeiten – es geht um den künftigen Erfolg des Einzelnen am Arbeitsmarkt und um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die Zeit Corona-bedingter Schuleinschränkungen wird schließlich irgendwann vorüber sein. Für den digitalen Wandel des Arbeitsmarktes gilt das allerdings nicht.
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