Gastkommentar: Die Energiewende kann nur als Demokratieprojekt gelingen

Die Energiewende stößt bundesweit auf Akzeptanzprobleme, ob beim Heizen, Verkehr oder bei der Stromproduktion. Sie kann auf breiter Basis nur gelingen, wenn sie für die Menschen mit einem positiven Versprechen verbunden wird. Denn der Satz „Wir müssen die Menschen beim Klimaschutz mitnehmen“ zieht nur, wenn die Realität dazu passt.
Es mag paradox klingen: Thüringen gehört bundesweit zu den Spitzenreitern beim Anteil der erneuerbaren Energien an der eigenen Stromerzeugung – zu fast zwei Dritteln. Gleichzeitig geht es bei der dafür so wichtigen Windenergie nicht recht voran – anders als bei der Solarenergie.
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Lange war der Widerstand gegen Windräder groß – das könnte sich jetzt ändern
Jetzt haben wir per Gesetz einen Weg gefunden, die Menschen an jeder Kilowattstunde zu beteiligen, die ein Windrad in der Kommune produziert. Zusätzliche Einnahmen sind für die Kommunen damit planbar, sei es für Investitionen in Schulen, Kitas, Schwimmbäder, Turnhallen oder Büchereien. In vielen Regionen Thüringens, im ländlichen Raum, ist der Widerstand gegen Windenergieanlagen lange groß gewesen – das könnte sich jetzt ändern.
Es wäre höchste Zeit: Die Windenergie ist im sauberen Strom-Mix Deutschlands die effizienteste Energiequelle mit der höchsten Leistung pro Quadratmeter. Und der Energiebedarf steigt. Egal, ob ich mit Mittelständlern oder den Betriebsleitern in einem Weltkonzern spreche, alle erklären, dass sie schnell Zugang zu vor Ort produziertem Ökostrom brauchen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Am besten zwei, drei Windräder, die das Werk direkt versorgen.
Studien zeigen regelmäßig, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung für den Windenergieausbau eigentlich hoch ist – theoretisch. Praktisch und vor Ort sieht es immer wieder anders aus. Es stimmt ja: Für Menschen, die ländlichen Raum leben, ändert sich mit Windenergieanlagen das gewohnte Landschaftsbild. Ob das akzeptabel ist oder nicht, ist nicht nur eine ästhetische Frage – die Einschätzung hat auch mit dem Nutzen zu tun. Deshalb war die Frage schon immer berechtigt: Was bringt die Veränderung? Klimaschutz im Allgemeinen, ja. Aber geht es konkreter?
Kommunen können durch das Windbeteiligungsgesetz finanziell profitieren
Thüringen hat zwar schon 2016 mit dem Siegel für „Faire Windenergie“ begonnen, Projektentwickler hervorzuheben, die Gemeinden, Bürgerinnen und Bürger freiwillig finanziell beteiligten und lokale Unternehmen einbanden. Aber es war für die Landesregierung wichtig, noch einen entscheidenden Schritt weiterzugehen: Alle angrenzenden Kommunen können sich durch das Windbeteiligungsgesetz darauf verlassen, dass sie finanziell profitieren, wenn sich die Rotoren drehen.
Die Kommunen können jährlich je nach Leistung der Windenergieanlage mit 23.000 bis 30.000 Euro je Anlage rechnen, egal ob es um neue Anlagen oder Repowering geht. Das schafft Spielraum. Wofür die Einnahmen eingesetzt werden, entscheiden die Kommunen selbst.
Hilfe zur Selbsthilfe – das würden sich auch die Forstunternehmen wünschen. Inzwischen betragen die dürregeschädigten und vom Borkenkäfer zerfressenen Kahlflächen rund 120.000 Hektar. Das entspricht rund einem Fünftel der Waldfläche in Thüringen. Würden rund hundert Windkraftanlagen auf deutlich weniger als 0,1 Prozent dieser Schadfläche stehen, hätten wir noch mehr saubere eigene Energie.
Der Staatsforst würde jedes Jahr Millionen Euro einnehmen und könnte damit geschädigte Monokulturen zu einem gesunden Mischwald umbauen. Dem haben die Oppositionsparteien in Thüringen einen Riegel vorgeschoben. Nachdem das Bundesverfassungsgericht das allgemeine Verbot von Wind im Wald gekippt hatte, legte die Mehrheitsopposition mit einer Änderung des Waldgesetzes nach, das faktisch keine Nutzungsänderung im Wald zulässt.
Die Debatte um das Windbeteiligungsgesetz hat gezeigt, wie vielfältig die Beteiligungsmöglichkeiten über den nun beschlossenen gesetzlichen Mindeststandard hinaus sind: Ein beliebig nutzbares freiwilliges Siegel für „Faire Windenergie“ gibt es weiterhin. Wenn ein Betreiber Anrainern zum Beispiel einen vergünstigten Stromtarif anbietet, ist das eine Win-win-Situation für beide Seiten.
Wir sollten die Beteiligung auch für Solarflächen erweitern. Außerdem entwickeln wir aktuell unseren Thüringer Bürgerenergiefonds weiter, um Genossenschaften bei der Planung von Windparks in Bürgerhand zu unterstützen. Wir sollten einen rechtsicheren Rahmen für neue Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften schaffen, die Energie mit Wind, Sonne, Biomasse vor Ort erzeugen und in einem lokalen Umkreis selbst verbrauchen.


Die Energiewende ist ein großes Demokratieprojekt, das Teilnahme und Teilhabe braucht zum Gelingen – nicht nur in Thüringen. Unser Windbeteiligungsgesetz ist dafür ein besonders wichtiger Baustein.
Der Autor:
Bernhard Stengele ist Minister für Umwelt, Energie und Naturschutz in Thüringen.
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