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GastkommentarDie EU und China zwischen Rivalität und Kooperation

Was kann die Europäische Union tun, um im Spannungsverhältnis mit Peking ihre Interessen zu wahren, fragt der Präsident der Internationalen Handelskammer Holger Bingmann. 15.05.2021 - 08:42 Uhr Artikel anhören

Der Glaube an das Credo vom „Wandel durch Handel“ hat sich als Irrglaube erwiesen – sagt der Präsident der Internationalen Handelskammer über China.

Foto: dpa

China scheint von Sieg zu Sieg zu eilen, es tritt in der Welt immer selbstbewusster und kompromissloser auf. So hat die Volksrepublik die Pandemie besser überstanden als der Westen und knüpft nahezu ungebrochen an die alte Wachstumsdynamik an. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis China die größte Volkswirtschaft der Welt ist. Dann wird Peking nicht nur als Handelspartner herausragenden Einfluss ausüben.

Vor allem die USA nehmen ihren Hauptkonkurrenten auch immer mehr als militärische Bedrohung wahr. Warnungen vor bewaffneten Konflikten im Südchinesischen Meer oder im Fall des „abtrünnigen“ Taiwans wurden zuletzt lauter. Wie soll sich die Europäische Union in diesem schwierigen Spannungsfeld positionieren? Und was muss sie tun, um ihre geopolitischen Interessen zu verteidigen?

Keine Frage: Die Beziehungen zwischen der EU und China haben an Komplexität gewonnen und sind durch zunehmende Kontroversen geprägt. So setzte die EU-Kommission jüngst ihre Bemühungen zur Ratifizierung des Investitionsabkommens mit China vorläufig aus, auf das man sich im vergangenen Dezember nach sieben Jahren Verhandlungen grundsätzlich geeinigt hatte. Tatsächlich bieten „Umerziehungslager“ in der uigurischen Provinz Xinjiang, die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong und die Diskussion um die Teilnahme von Huawei am Aufbau des 5G-Netzes in Europa keine günstigen Rahmenbedingungen für eine intensivierte wirtschaftliche Partnerschaft.

Der Glaube an das Credo vom „Wandel durch Handel“ hat sich als Irrglaube erwiesen – an seine Stelle ist inzwischen eine realistischere Einschätzung Chinas als systemischer Wettbewerber getreten. Das chinesische „Wirtschaftswunder“, verbunden mit beachtlichen Wohlstandszuwächsen breiter Bevölkerungskreise, hat in der Volkrepublik eben nicht zu einer Annäherung an westliche Wertvorstellungen geführt. Unter dem auf Lebenszeit gewählten Präsidenten Xi Jinping scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein: Heute ist China weiter denn je davon entfernt, sich zu Werten wie Gewaltenteilung, individuelle Menschenwürde und Pressefreiheit zu bekennen.

Als nach den USA zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt drängt Peking vielmehr auf eine Neuausrichtung der internationalen Ordnung, die seinen Kerninteressen Rechnung trägt. Im Wettbewerb der Systeme bemüht die chinesische Führung sich zusehends, das eigene, repressive Gesellschaftsmodell als im Vergleich mit der westlichen Ordnung überlegen darzustellen. Vor diesem Hintergrund muss die Europäische Union ihre Beziehungen zu China neu justieren – im Spannungsverhältnis von Kooperation, Wettbewerb und systemischer Rivalität.

Europäern ist oft nicht geläufig, wie hart die Konkurrenz in der Volksrepublik unter inländischen Marktteilnehmern ist und wie gut vorbereitet chinesische Unternehmen sind, wenn sie sich mit uns messen – egal ob in China oder auf den globalen Märkten. Mangelnde Kenntnis geht bei uns oft einher mit nonchalanten Erwartungen an China. Das mag zum Teil Ergebnis der technologischen Überlegenheit sein, die es über viele Jahre relativ leicht machte, mit der Volksrepublik profitabel Geschäfte zu treiben.

Doch diese Zeiten gehören immer mehr der Vergangenheit an. Heute ist China uns auf Gebieten wie der 5G-Technologie oder der Künstlichen Intelligenz voraus, ganz zu schweigen von der Fähigkeit, Cyberangriffe zu starten. Der Verweis auf groß angelegte Industriespionage ist zwar berechtigt, hilft aber kaum weiter. Es wird nicht mehr lange dauern, bis China auf viele der von Europa exportierten Produkte verzichten kann und auf den internationalen Märkten als beinharter Konkurrent auftreten wird.

Wir brauchen solides China-Know-how

Bei Schnellzügen und Atomkraftwerken beispielsweise ist das schon der Fall; und bei Solaranlagen hat die chinesische Konkurrenz auf dem deutschen Markt schon zu regelrechten Verwüstungen geführt. Deshalb besteht in der Europäischen Union die dringende Notwendigkeit, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Wir müssen den Fokus unserer Aktivitäten vermehrt auf China richten und solides China-Know-how aufbauen. Dabei ist die Kenntnis der technologischen Landschaft Chinas unverzichtbar, damit wir wichtige Entwicklungen nicht verpassen.

Der Erfolg chinesischer Unternehmen beruht zu einem nicht geringen Teil auf Wettbewerbsbedingungen, die europäischen Unternehmen nicht zur Verfügung stehen. So stellt der Staat etwa großzügige Subventionen für Marktteilnehmer zur Verfügung, die in „strategisch wichtigen Bereichen“ arbeiten. China tritt als staatskapitalistische Macht auf, ohne das im Zweifelsfall offenzulegen. In der systemischen Rivalität zwischen der EU und China untermauern wirtschaftliche Erfolge die Glaubwürdigkeit des chinesischen Gesellschaftssystems.

Dabei ist es zumindest aus Sicht der meisten Chinesen und vieler Entwicklungs- und Schwellenländer letztendlich unerheblich, auf welche Weise die Erfolge zustande kommen. Die systemische Rivalität ist ohne Frage multidimensional und reicht von wirtschaftspolitischen bis zu geostrategischen Themen. Die Europäische Union muss angesichts dieser Herausforderung deutlich machen, dass ihre Kerninteressen nicht zur Disposition stehen. Das beinhaltet auch ein partielles Disengagement von China, wenn die Unterschiede so fundamental sind, dass tragbare Kompromisse nicht möglich erscheinen.

Kooperation mit Peking bleibt unerlässlich

Als die vermutlich ab dem Jahr 2030 größte Volkswirtschaft der Welt bleibt China für die EU aber gleichzeitig als Wirtschaftspartner von entscheidender Bedeutung. Auch bei globalen Themen wie der Klimaerhitzung, der atomaren Bedrohung und Gesundheitsfragen ist die Kooperation mit Peking unerlässlich. Weltweite Herausforderungen dieser Art sind ein Novum in der Geschichte. Die Interdependenzen, die diese globalen Probleme bedingen, könnten zugleich aber auch Grundlage für eine konstruktive Neuordnung des internationalen Gleichgewichts sein.

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Den nichtkommerziellen, friedensstiftenden Aspekten der Kooperation zwischen Europa und China kommt in diesen Zeiten des Umbruchs mehr denn je große Bedeutung zu. Das schließt neben dem kulturellen Austausch auch Wissenschaft und Forschung ein. Hier gilt das Prinzip „je mehr, desto besser“. Vielleicht können solche Kooperationen ja dazu beitragen, die Spannungen zwischen China und der westlichen Welt eines Tages wieder zu entschärfen.
Der Autor: Holger Bingmann ist Präsident der Internationalen Handelskammer in Berlin. Der promovierte Betriebswirtschaftler ist auch Geschäftsführer der Pressevertrieb München Holding.

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