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Gastkommentar – Global ChallengesDeutschland droht ein China-Schock

Massenhafte Einfuhren aus China begünstigten einst den Niedergang der US-Industrie und ebneten Donald Trump den Weg. Deutschland droht nun ein ähnliches Schicksal, mahnt Dalia Marin. 01.06.2023 - 08:41 Uhr
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Dalia Marin ist Professorin für internationale Wirtschaft an der TU München und Senior Research Fellow bei der europäischen Denkfabrik Bruegel in Brüssel.

Foto: PR, Getty Images

Auf der Shanghai Motor Show wurden westliche Automanager unlängst mit einer harten Realität konfrontiert: Dutzende neuer Elektrofahrzeuge drohen ihnen entscheidende Marktanteile wegzunehmen. Der Aufstieg der E-Mobilität hat Chinas Autoindustrie in den vergangenen Jahren zu globaler Bedeutung verholfen: 2022 übertrafen ihre Exporte erstmals die deutschen Ausfuhren. In diesem Jahr schickt China sich an, auch Japan zu übertreffen und zum größten Autoexporteur der Welt aufzusteigen.

In Shanghai jedenfalls ignorierten chinesische Verbraucher geflissentlich die Angebote von BMW, Volkswagen und Mercedes – stattdessen bestaunten sie neue Modelle von chinesischen Herstellern wie BYD und Nio. Im Vergleich zu deren Autos mit ihren hochmodernen Batterien und Sensoren wirkten die in Deutschland hergestellten Elektrofahrzeuge beinahe veraltet. Jahrzehntelang hatten deutsche Ingenieure den Verbrennungsmotor perfektioniert, doch nun bedroht die Elektrofahrzeug-Revolution ihr gesamtes technologisches Know-how.

Da der Automobilsektor in Deutschland ein wichtiger Beschäftigungsfaktor ist, droht dem Wirtschaftsstandort ein China-Schock, den die USA und andere Staaten schon einmal erlebt haben: Nach Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation 2001 sahen sich westliche Hersteller einer starken Konkurrenz chinesischer Unternehmen ausgesetzt, zunächst mit geringwertigen Produkten wie Textilien und Möbeln, dann aber auch mit anspruchsvolleren Angeboten aus der Computer- und Elektronikbranche.

China hat zwei große Vorteile

Zwischen 2000 und 2010 stieg der Anteil von in China hergestellten Waren an den gesamten Importen der USA um 25 Prozentpunkte, was zur Deindustrialisierung des Rust Belt und zum Siegeszug von Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen 2016 beitrug. Es gibt klare Anzeichen dafür, dass Deutschland nun seine eigene Version des China-Schocks erlebt: 2022 führte die Bundesrepublik erstmals mehr Autos aus China ein, als es dorthin exportierte.

Von Januar bis August 2022 importierte Deutschland 1,8 Millionen Autos aus der Volksrepublik, exportierte jedoch nur 1,7 Millionen. Ein vergleichbarer Trend zeigt sich im Maschinenbau.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die rasche Industrialisierung Chinas erst durch massive Importe insbesondere von deutschen Autos und Werkzeugmaschinen möglich wurde. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat Deutschland eine ganze Generation chinesischer Arbeiter durch Joint Ventures mit dortigen Unternehmen ausgebildet. Die Volksrepublik machte diesen Technologietransfer zur Voraussetzung für den Zugang zu ihrem Markt.

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China, inzwischen zur industriellen Großmacht aufgestiegen, hat gegenüber Deutschland zwei entscheidende Vorteile: Erstens muss es im Zeitalter der E-Mobilität den Verbrennungsmotor nicht mehr beherrschen; und zweitens ermöglicht Chinas Größe eine Skalierung der Produktion, was die Kosten schnell verringert. So ist die Volksrepublik schon zum globalen Marktführer bei Lithium-Ionen-Batterien geworden und steht kurz davor, natriumbetriebene Batterien zu entwickeln.

Deutschland kann eine Deindustrialisierung vermeiden

In der Vergangenheit haben mehrere Faktoren Deutschland vor dem China-Schock geschützt. Zunächst konkurrierten chinesische Importe mit Waren, die Deutschland zuvor aus Niedriglohnländern wie der Türkei und Griechenland importiert hatte, was dort zu Arbeitsplatzverlusten führte, nicht aber in Deutschland. Außerdem ermöglichte die Ausweitung der Produktionsnetzwerke in Europas früherem Ostblock deutschen Unternehmen, die Produktivität zu steigern und Kosten zu senken. Jahrelang profitierte Deutschland außerdem vom wirtschaftlichen Boom Chinas, da die dortige Nachfrage nach hochwertigen deutschen Autos und Maschinen stieg.

Deutschland kann die negativen Auswirkungen, die andere Länder bereits erfahren haben, nicht länger vermeiden. Zwar dürfte der Wiederaufbau der Ukraine hiesigen Unternehmen einen ähnlichen Schub geben wie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989; der Krieg muss aber zuerst enden, was in naher Zukunft unwahrscheinlich ist.
Dennoch kann die deutsche Politik eine Deindustrialisierung wie in den USA vermeiden, wenn sie etwa ausländische Direktinvestitionen von chinesischen Batterieunternehmen, asiatischen Halbleiterherstellern und israelischen KI-Start-ups nach Deutschland lockt und dabei auf Joint Ventures setzt. So könnten deutsche Ingenieure rasch Wissenslücken schließen, was für den Wettbewerb um das Auto der Zukunft entscheidend sein dürfte.

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Außerdem sollte Deutschland eine führende Rolle dabei spielen, eine europäische Version der US-amerikanischen Forschungsagentur der Verteidigung (DARPA) ins Leben zu rufen, auf die wesentliche Innovationen des Silicon Valley zurückzuführen sind. Wenn die Regierung sich an der chinesischen Industriepolitik und der amerikanischen Innovationspolitik orientiert, wäre sie in der Lage, die wirtschaftliche Dynamik zu erhöhen, die negativen Folgen eines China-Schocks abzufedern und die Wirtschaft fit zu machen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Die Autorin:
Dalia Marin ist Professorin für internationale Wirtschaft an der TUM School of Management der Technischen Universität München und Senior Research Fellow bei der europäischen Denkfabrik Bruegel in Brüssel.

Mehr: Der Staat sollte mehr in Forschung investieren

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