Gastkommentar: Staatsmodernisierung – viel Rhetorik, wenig klare Ziele

Die Kabinettsklausur Anfang Oktober hat wichtige Impulse für einen modernen Staat gesetzt. Sie steht stellvertretend für die staatliche Digitalisierung: Viele gute Ansätze, aber noch zu wenig Verbindlichkeit bei Zielen, Prioritäten und Steuerung. Entscheidend ist nun, die richtigen Weichen zu stellen – damit der Staat nicht nur Digitalisierung ankündigt, sondern auch umsetzt.
Bund, Länder und Kommunen wollten mit dem Onlinezugangsgesetz bis Ende 2022 alle 575 Verwaltungsleistungen digital verfügbar machen. Doch Anfang 2025 ist nicht einmal die Hälfte erreicht. Neue Verfahren kommen nur schleppend hinzu, Skalierung über Pilotprojekte hinaus gelingt kaum.
Gleichzeitig steigen die Personalkosten des öffentlichen Sektors auf über 400 Milliarden Euro jährlich – bei weiterhin fehlenden Fachkräften in Schlüsselbereichen wie IT und Digitalisierung. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger – von denen sich die Hälfte mehr öffentliche Onlineangebote wünscht – sinkt entsprechend: Nur 19 Prozent halten Behörden für so effizient wie Unternehmen.
Vorbild Ausland
Ein Blick nach Europa zeigt, dass Staatsmodernisierung gelingen kann, wenn sie konsequent umgesetzt wird. Dänemark prüft seit 2018 jedes neue Gesetz auf digitale Umsetzbarkeit. Das Ergebnis: 90 Prozent der Verwaltungsleistungen sind heute online verfügbar.
Estland hat mit seiner digitalen Identität und Datenaustauschplattform über 99 Prozent seiner Behördendienste durchgängig digitalisiert. Großbritannien steuert die Transformation zentral über den Government Digital Service mit klaren Kennzahlen und mehr als 25.000 Digitalexperten.
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Natürlich sind diese Länder nur bedingt mit Deutschland vergleichbar: Sie sind kleiner, stärker zentral organisiert und konnten Reformen einfacher bündeln.
Die Bundesrepublik hingegen muss deutlich größere und komplexere föderale sowie organisatorische Strukturen koordinieren. Dennoch lohnt der Blick über die Grenzen – denn klare Governance, Verbindlichkeit und Konsequenz wirken unabhängig von der Größe und Struktur eines Staates.
Drei Hebel für echten Fortschritt
Damit der digitale Aufbruch auch in Deutschland gelingt, braucht es klare Zielvorgaben, eindeutige Verantwortlichkeiten und eine Verwaltung, die digitale Prozesse von Anfang an mitdenkt.
Erstens: Fortschritte müssen anhand klarer Kennzahlen messbar und öffentlich nachvollziehbar sein.
Zweitens: Eine zentrale Instanz wie das neue Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung braucht echte Entscheidungskompetenz statt bloßer Koordinationsrolle.
Drittens: Gesetzgebung, Prozesse und Infrastruktur sollten konsequent auf digitale Umsetzbarkeit ausgerichtet werden – von der Geburt bis zur Unternehmensgründung.
Eine leistungsfähige digitale Infrastruktur ist das Rückgrat jeder Modernisierung – doch Deutschland liegt mit nur 13,7 Prozent aktiven Glasfaseranschlüssen weit unter dem OECD-Durchschnitt von 44,6 Prozent.
Flächendeckender Ausbau und technische Standards sind Voraussetzung, damit digitale Dienste schnell, sicher und skalierbar funktionieren. Kern dafür ist der sogenannte Deutschland-Stack – eine gemeinsame IT-Architektur, die Schnittstellen vereinheitlicht und Doppelentwicklungen vermeidet.
Gleichzeitig kann die Verwaltung technologische Potenziale gezielter nutzen: Künstliche Intelligenz kann Routinearbeiten übernehmen und Beschäftigte entlasten. Analysen von Boston Consulting zeigen, dass Produktivitätsgewinne von bis zu 20 Prozent möglich sind.
Erfolg misst sich an Führung und Konsequenz
Modernisierung gelingt nur, wenn Verantwortung klar zugeordnet ist und Fortschritt verbindlich gesteuert wird. Dazu braucht es eindeutige Zuständigkeiten auf allen Verwaltungsebenen, mehrjährige, an Zielen orientierte Budgets und kleine, schlagkräftige Umsetzungsteams mit klaren Mandaten.
So entsteht eine Kultur, in der Führungskräfte sichtbar Verantwortung übernehmen und Veränderung planvoll vorangetrieben wird – vom politischen Beschluss bis zur spürbaren Wirkung.
Staatsmodernisierung ist eine zentrale Zukunftsaufgabe – sie entscheidet über Wettbewerbsfähigkeit, Vertrauen und Handlungsfähigkeit. Die Kabinettsklausur war ein wichtiges Signal, nun gilt es, diese Impulse mit Leben zu füllen.
Gefragt sind jetzt Verwaltungen, die digitale Kompetenz gezielt aufbauen – von Weiterbildungen bis zum Einsatz von KI-Copiloten. Deutschland hat die Konzepte – jetzt ist der Moment, sie konsequent umzusetzen. Erst wenn Fortschritt sichtbar wird, wandelt sich der Ankündigungsstaat zum Umsetzungsstaat.
Die Autoren:
Benjamin Desalm ist Managing Director und Partner bei der Boston Consulting Group.






Sabine Siegert ist Associate Director für Digital Government bei der Boston Consulting Group.
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