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GastkommentarWas wir aus der Sicherheitsstrategie der USA lernen können

Das Dokument zeigt, dass Europa für die USA an Bedeutung verloren hat. Das wird sich auch nicht wieder ändern. Wir sollten daraus vier Schlüsse ziehen, meint Ex-US-Botschafter Peter Wittig. 16.12.2025 - 15:51 Uhr Artikel anhören
Peter Wittig: Der Ex-Borschafter sieht einige Lehren für Europa. Foto: AP, picture alliance/dpa

Die jüngste Nationale Sicherheitsstrategie der USA (NSS) löste in der deutschen Politik Schockwellen aus. Ungeschminkt zeigte sich das neue Europa-Verständnis dieser Administration: Sie degradierte Europa auf Platz drei der regionalen US-Prioritäten (hinter Lateinamerika und Asien). Sie malte ein drastisches Bild des wirtschaftlichen Niedergangs und der politischen Schwäche Europas.

Sie geißelte Immigrationspolitik sowie angebliche Repression politischer Freiheiten. Sie beschwor in kulturkämpferischem Tenor gar die „Auslöschung der europäischen Zivilisation“. Besonders frappierend war das angedeutete US-Bündnis mit den „patriotischen Parteien“, also den rechtsextremen Kräften Europas – eine bislang nicht dagewesene Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Die traditionelle transatlantische Wertegemeinschaft wurde faktisch für tot erklärt.

Dabei drängt sich die Frage auf, welches Bild US-Präsident Trump von Europa hat. Und ob er sich von seinen Ideologen unterscheidet.

In der ersten Administration speiste sich Trumps Europa-Skepsis aus seiner Unkenntnis der europäischen Strukturen und drei europäischen „Ursünden“: mangelnde Verteidigungsausgaben, „ungerechte“ Handelsüberschüsse und schädliche Immigrationspolitik. Er hegte grundsätzlich Aversionen gegen supranationale Organisationen. Die Souveränität der Einzelstaaten galt ihm als Grundprinzip der internationalen Ordnung.

Ein besonderer Dorn im Auge war ihm das Monopol der EU-Kommission in Handelsfragen. Unfreundliche Äußerungen („worse than China“) paarten sich mit dem Glauben, die EU werde zerfallen. Trump war stets ein Machtpolitiker, ein „deal-maker“. Auch in internationalen Beziehungen war er auf wirtschaftliche Vorteile fixiert. Im Grunde aber war Trump kein Ideologe, schon gar kein Stratege.

Eine Rückkehr zur alten transatlantischen Welt ist unwahrscheinlich

Erst in der zweiten Trump-Regierung gewannen die Ideologen größeren Einfluss – und zwar von zwei unterschiedlichen Lagern: einerseits vom harten Kern der MAGA-Basis und andererseits vom Lager der Hightech-Unterstützer Trumps. Beide treffen sich in der Feindseligkeit gegenüber der EU.

Die klassischen Trumpisten sympathisieren mit den ethno-nationalistischen Anti-Establishment Parteien Europas. Die Tech-Giganten schießen gegen das „Monster“ EU, weil sie deren „Regulierung“ für geschäftsschädigend halten. Vizepräsident Vance ist gleichsam die Synthese beider Lager.

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Kein Wunder, dass die Autoren der Nationalen Sicherheitsstrategie seinem direkten Umfeld entstammen. Vance ist Ideologe und Stratege. Seiner Abneigung gegen Europa ließ er bereits auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar freien Lauf. Trump selbst hat die NSS vermutlich nicht gelesen, in Interviews nach deren Erscheinen machte er sich aber das „Europa-Bashing“ zu eigen.

Die Sicherheitsstrategie ist ein ernüchterndes, in gewisser Weise ehrliches Dokument. Es reflektiert deutlich die fundamentale Veränderung der Beziehung zwischen EU und USA. Ist dieser Zustand jemals umkehrbar? Gewiss, der ideologische Ballast dieser Administration könnte in Zukunft abgeworfen, die Herabwürdigung der europäischen Alliierten durch größere Wertschätzung ersetzt werden.

Doch wir Europäer sollten uns nicht täuschen: Eine Rückkehr zur alten transatlantischen Welt ist unwahrscheinlich. Dass die Bedeutung Europas für die USA schwächer wird, das gehört zu den Megatrends, die die gesamte amerikanische Gesellschaft umfasst haben.

Europa sollte vier Schlüsse aus der US-Sicherheitsstrategie ziehen

Welche Schlüsse muss Europa ziehen?

Es ist richtig, sich gegenüber Washington die Einmischung in die Innenpolitik Europas zu verbitten und die eigenen Regeln zu verteidigen. Gleichzeitig muss Europa zu den USA anschlussfähig bleiben, werden ihre Fähigkeiten doch weiter zur Verteidigung der Ukraine - und Europas - gegen die russische Aggression gebraucht.

Die dringendsten Maßnahmen liegen seit Jahren auf der Hand.

Erstens: Steigerung europäischer Verteidigungsanstrengungen und Erfüllung der Nato-Fähigkeitsziele – einschließlich gemeinsamer europäischer Investitionen in neue militärische und technologische Fähigkeiten. Schrittweise muss sich Europa militärisch von den USA unabhängiger machen.

Zweitens: die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Europas entlang von Mario Draghis Wegweiser.

Drittens: die Entwicklung digitaler Souveränität.

Viertens: Intensivierung unserer Beziehungen zu den US-Kräften, die weiter an einer demokratischen transatlantischen Allianz interessiert sind – von republikanischen Senatoren über Gouverneure bis hin zur US-Bürgergesellschaft.

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Vielleicht müssen wir der Trump-Administration für die Nationale Sicherheitsstrategie dankbar sein. Europäischen Entscheidungsträgern war auch bisher schon klar, was zu tun ist. Jetzt muss jeder realisieren, dass der Moment des Handelns gekommen ist. Noch mehr Weckrufe sollte es nicht brauchen.

Der Autor: Peter Wittig war Botschafter in Washington, London und bei den Vereinten Nationen. Heute berät er Wirtschaftsunternehmen und lehrt an der ESMT in Berlin.

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