Gastkommentar: Wie Regierungsberater Jens Südekum die Öffentlichkeit täuscht

Das Vertrauen in unseren Staat basiert auf seiner Handlungsfähigkeit und der Nachvollziehbarkeit seiner Entscheidungen. Geht dieses Vertrauen verloren, treibt dies die Wähler den politischen Rändern zu und erodiert die Akzeptanz der Demokratie. Dabei spielt der Haushalt als in Zahlen gegossene Politik eine zentrale Rolle: Nur wenn in den jährlichen Haushalten klar und deutlich wird, wie viel die Politik für was ausgeben will, ist das demokratische Versprechen der Transparenz einlösbar – und mit ihm die Bereitschaft der Bürger, unseren Staat über angemessene Steuern zu finanzieren. Seit einigen Monaten erleben wir allerdings das Gegenteil: Haushaltsklarheit verkommt zur Mär, denn zahlreiche Nebenhaushalte, Sondertöpfe und Bereichsausnahmen vernebeln das Bundesbudget. Diese Intransparenz wird von der Bevölkerung als Gewurschtel wahrgenommen und befördert die Politikverdrossenheit. Die Politik verspielt das Vertrauen in den Staat, indem sie die neuen Milliardenschulden statt ausschließlich in Infrastruktur auch in Wahlgeschenke investiert. Milliarden Euro werden hin und her geschoben und die Etats sind uneindeutig wie Vexierbilder. Das macht etwa die intensive Diskussion darüber deutlich, wie viele Gelder wirklich in Verkehrsinfrastruktur fließen. Selbst Politiker und Fachleute durchblicken die Zahlenwerke nicht mehr zur Gänze. Sogar Jens Südekum, der volkswirtschaftliche Berater von Bundesfinanzminister Klingbeil, kommt dabei ins Stolpern: In einem Gastbeitrag in der FAZ verheddert sich der Ökonom in nur vorgeblich für „Investitionen“ zur Verfügung stehenden Summen. Eine Erklärung, woher seine behauptete Investitionssumme kommt, kann er nicht liefern. Südekum täuscht die Öffentlichkeit, indem er mittels Milchmädchenrechnung die Kritik zu entkräften sucht, die Regierung setze die Neuverschuldung nicht vollständig für Investitionen ein. Die von ihm propagierten „zusätzlichen Investitionen von insgesamt 164 Milliarden Euro“ sind nicht nachzuvollziehen. Es ist unklar, woher diese Zahl kommt – im Haushalt steht sie nicht. Deutlich wird die zunehmende Intransparenz des Haushalts. Auch Bundesbank und Bundesrechnungshof kritisieren die Intransparenz. Transparent ist nur, dass Deutschland Rekorde bei Steuereinnahmen und Schuldenaufnahme schreibt, andere Länder wie Dänemark aber proportional höhere Investitionen bei geringeren Schulden auslösen. Glaubt Südekum wirklich, immer mehr Geld könne die Probleme lösen? Oder sorgen nicht eher ausbleibende Strukturreformen dafür, dass die Mittel schlicht nicht fließen? Was passiert mit den neuen Schulden, wenn sie nicht zusätzliche Investitionen finanzieren? Berechnungen zeigen, rund die Hälfte der Mittel des Sondervermögens ersetzt bestehende Investitionsmittel im Kernhaushalt, statt neue Investitionen auszulösen. Ein gigantischer Verschiebebahnhof entsteht: So fließen der Deutschen Bahn 18,8 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für Infrastruktur (SVIK) zu, während im Kernhaushalt die Mittel für die Bahn um 8,2 Milliarden Euro gekürzt werden. Für Autobahnbrücken stehen 2,5 Milliarden Euro im SVIK, im Kernhaushalt fallen dafür 1,7 Milliarden Euro weg. Ebenso verschoben wird beim Breitbandausbau: 2,3 Milliarden Euro dafür kommen nun aus dem SVIK, im Kernhaushalt wird er dafür gestrichen. Wo ist da die Zusätzlichkeit? Und auch die Krankenhausfinanzierung landet im Verschiebebahnhof: Die sechs Milliarden Euro dafür kommen aus dem SVIK, ursprünglich sollten dafür die Länder und Krankenkassen aufkommen. » Lesen Sie auch: „Das ist übel“ – Ideengeber für das Schuldenpaket kritisieren Koalition Dass mit dem Begriff der Investitionen getrickst wird, indem mit verschiedenen Definitionen hantiert wird, ist wissenschaftlich bekannt. Die statistische und haushaltsrechtliche Abgrenzung des staatlichen Investitionsbegriffs ist unzureichend. Die Investitionsquote im Haushalt ist daher keineswegs so aussagekräftig wie von Herrn Südekum behauptet. So werden bloße finanzielle Maßnahmen als Investitionen gerechnet, ohne dass dafür ein einziger Kilometer Schiene gebaut und eine Schultoilette saniert wird. Mehrfach gewährte Darlehen des Bundes an die Bundesagentur für Arbeit etwa, also eine Transaktion an die Sozialversicherung zur Finanzierung von Transferausgaben, zählen als Investitionen. Mit seinem Hauptargument, es gebe keine Verschiebebahnhöfe, begibt sich Südekum aufs Abstellgleis. Die Konsequenzen dieser lockeren Haushaltspolitik sind brandgefährlich: Die Zinslasten im Bundeshaushalt werden in den nächsten Jahren explodieren und die politischen Gestaltungsspielräume nachfolgender Generation empfindlich einengen. Auf mittlere Sicht führt dies zu Steuererhöhungen. Eine Regierungspartei fordert bereits höhere Abgaben – was die strukturelle Krise der deutschen Wirtschaft nur noch weiter verschärft und das Gegenteil dessen bewirkt, was mit den enormen Schulden erreicht werden soll: mit investiven Konjunktureffekten massiv die Wirtschaft anzukurbeln. Bei aller Unklarheit aber bleibt eines klar: Ohne kräftiges und lang anhaltendes Wirtschaftswachstum sind die auf unser Land einwirkenden Herausforderungen nicht zu meistern. Die Autorin: Marie-Christine Ostermann ist Präsidentin des Verbands Die Familienunternehmer. Mehr: Ökonomen haben die Dynamik des Sondervermögens unterschätzt – ein Kommentar