Prüfers Kolumne Hustle Economy: Die Leidenschaft zu Geld machen

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Ich habe gehört, es gibt eine ganz neue Art der Wirtschaft, die Hustle Economy. So hat sie jedenfalls das Magazin „One Zero“ genannt. Sie ist Nachfolger der Gig Economy, und es geht um allerlei Dienstleistungen, die über das Internet angeboten werden. Die Gig Economy beinhaltet, dass im Netz kleine Jobs angeboten werden: Adressverzeichnisse erstellen, für Kartendienste alle Tankstellen der Stadt fotografieren – digitalisierbarer Kleinkram, den jemand nicht selbst machen möchte. Und dabei noch Geld spart.
Die Gig Economy ist so etwas wie das Tagelöhnertum der Internetwirtschaft. Es etabliert sich kein Verhältnis, keine Abhängigkeit, keine Sicherheit. Es ist eigentlich das neue Prekariat. Arbeitnehmerrechte wurden einst mit viel Mühe erkämpft, mit Streiks und allem. Wie wollen das die Arbeiter der Gig Economy machen? Massenhaft offline gehen?
Bevor solche Fragen virulent werden, wird die Gig Economy nun glücklicherweise von der Hustle Economy abgelöst. Das bedeutet, glaube ich, dass man einfach mit dem Geld verdient, was man ohnehin gerne macht. Wer gerne kocht, gibt Kochkurse im Netz. Oder jemand erklärt, wie man eine Kaffeemaschine auseinander- und wieder zusammenbaut. Aber: Ist das dann noch Arbeit? Wenn man verkauft, was man gerne macht?
Die neuen Angebote sammeln sich auf Abonnement-Plattformen. Patreon etwa meldete zwischen Mitte März und Juli mehr als 100.000 neue Nutzer. OnlyFans, wo man mehr oder weniger erotische Bilder von sich zum Verkauf anbieten kann, meldete täglich sechsstellige neue Anmeldungen. Die Do-it-yourself-Plattform Etsy verzeichnete in den ersten drei Monaten des Jahres 115.000 neue Verkäufer. Teachable, eine Plattform, auf der Menschen Onlinekurse erstellen und verkaufen können, freute sich im Juli über einen ersten Quartalsumsatz von mehr als zehn Millionen US-Dollar.
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Die Hektik-Wirtschaft brummt. Scheinbar wirft mittlerweile jeder sein Talent auf den Markt und hofft, dass jemand dafür Geld ausgibt. Das ist auch deswegen so gekommen, weil die Leute in der Coronakrise ihre Jobs verloren haben. Aber wer braucht denn einen Job, wenn er eine Plattform hat? Nun hatten ja Angestelltenverhältnisse der alten Wirtschaftsordnung, nennen wir sie mal Rusty Economy, die Eigenschaft, dass man dort für Tätigkeiten bezahlt wurde, die man nicht allein aus Leidenschaft machen wollte.
Schadensberichte bei Versicherungen in Computer eingeben zum Beispiel. Was wird aus diesen Jobs? Wenn man sich die Zahlen aus der Versicherungsbranche anschaut, könnte sich das Problem bald ohnehin erledigt haben. Und falls eine Versicherung dann doch jemanden sucht, findet sie ja vielleicht jemanden im Netz, der es aus Leidenschaft tut.
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