Prüfers Kolumne Nicht einmal mehr Lust auf Frustsaufen

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Offenbar leben wir gerade in einem Land an der Schwelle zur Depression. Damit meine ich nicht unbedingt eine wirtschaftliche Depression, sondern tiefe, miese Laune. Zu Beginn des ersten Lockdowns hatte man noch allenthalben Bilder auf Instagram gesehen, die Menschen von ihren Homeoffices gemacht hatten: Ein schöner Laptop neben einer schönen Tasse Tee, inmitten des Interieurs einer schön eingerichteten Altbauwohnung.
Dazu schrieben die Leute, wie cool es sei, dass sie jetzt alles, was sie täten, von zu Hause aus machen könnten. Und es ganz nett sei, mal nicht in den Flieger steigen zu müssen, um die ganzen wichtigen Leute in Düsseldorf, New York und Dubai zu treffen. Alle faszinierte, dass es auch anders ging.
Am Abend wurde dann der Screenshot vom Treffen mit den Kumpels beim Zoom-Bier gepostet. Und mindestens zweimal die Woche folgte die Aufforderung an alle anderen, verdammt noch mal zu Hause zu bleiben („Stay the fuck at home“) und eine Maske zu tragen. Weil man das einfach nicht oft genug sagen konnte.
Mittlerweile vernehme ich davon nichts mehr. Ich höre nur noch, dass die Menschen ihre Homeoffices verfluchen, weil sie seit Wochen keinen anderen Menschen mehr getroffen geschweige denn angefasst haben oder weil sie seit Wochen mit immer denselben Leuten zu Hause ausharren und einander unglaublich auf die Nerven fallen. Und die Maske ist längst kein Lifestyle-Accessoire mehr, sondern eine Alltäglichkeit, die man gern so bald wie möglich wieder los wäre.
Nun läge nahe, dass in solchen Zeiten der Alkoholkonsum in neue Höhen kletterte. Tatsächlich sagen viele, sie würden nun mehr trinken als früher. Einer internationalen Studie zufolge sagen 43 Prozent, dass sich ihr Konsum erhöht habe. Aber die Zahlen der Alkoholwirtschaft sagen, wie ich in der „Welt am Sonntag“ nachlesen konnte: nicht genug!
Insgesamt wurde weniger Alkoholisches abgesetzt, weniger Sekt zum Beispiel. Kein Wunder, es gibt auch nichts mehr zu feiern. Die Leute tranken aber auch weniger Bier. Der Absatz sank um 5,5 Prozent, meldet der Deutsche Brauer-Bund. Das ist historisch niedrig. Auch der Umsatz bei Schnaps ist eingebrochen.
Offenbar trinken wir mehr in Gesellschaft. Die eigenen vier Wände taugen nicht einmal mehr fürs häusliche Besäufnis. Einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge wollen übrigens nur 6,4 Prozent der deutschen Unternehmen künftig ihre Bürofläche verkleinern. Vermutlich hält die Mitarbeiter rein gar nichts mehr im Homeoffice. Schon gar nicht der Alkohol.
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