Gastkommentar: Die Nachfolgelücke im Mittelstand bietet Chancen für Gründer
Die deutsche Wirtschaft befindet sich an einem Wendepunkt. Während der Mittelstand unter wachsendem Transformationsdruck ächzt, kämpfen Start-ups mit erschwerten Finanzierungsbedingungen.
Bis 2027 suchen laut der Förderbank KfW rund 626.000 mittelständische Unternehmen einen Nachfolger. Die Zahl ist alarmierend, weil immer öfter selbst gut aufgestellte Firmen diese Suche irgendwann erfolglos aufgeben und endgültig schließen.
Auf der anderen Seite ist die Zusammenarbeit zwischen Mittelstand und Gründern ins Stocken geraten. Auch der Jobmotor des Start-up-Ökosystems stottert. Zu den Bremsen gehören die hohen Zinsen, die Inflation und die Zurückhaltung der Kapitalgeber.
Der Innovationsstandort Deutschland gerät also von zwei Seiten unter Druck. Doch gerade diese Gleichzeitigkeit kann man auch in eine Chance umkehren.
Etablierte Unternehmen verfügen über jahrzehntelange Markterfahrung, stabile Kundenbeziehungen und bewährte Strukturen. Was ihnen – neben Nachfolgern – oft fehlt, ist die digitale Expertise und die Agilität, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Manchmal fehlen auch schlicht die Kapazitäten.
Innovationen bleiben oft auf der Strecke
Daten des von mir geleiteten Umfrageinstituts Civey zeigen, dass nicht einmal jedes fünfte Unternehmen neue Geschäftsmodelle mit konkreten Investitionen vorantreibt. Ob Kleinunternehmen oder Großkonzern, in der Rezession konzentrieren sich die meisten auf ihr Kerngeschäft. Innovation bleibt dabei oft auf der Strecke.
Genau hier können Start-ups ihre Stärken ausspielen: Sie bringen technologisches Know-how mit, denken disruptiv und finden kreative Lösungen für komplexe Probleme.
Die Vorteile einer Zusammenarbeit mit Start-ups sind daher wechselseitig: Während Start-ups je nach Konstellation von der Infrastruktur, dem Kundenstamm oder der Markt- und Krisenerfahrung etablierter Unternehmen profitieren, können diese durch die Kooperation ihre Digitalisierung beschleunigen und neue Dienstleistungen entwickeln.
Für Gründer eröffnet sich durch die Nachfolgelücke im Mittelstand zudem eine interessante Option: die Übernahme eines etablierten Unternehmens.
Sie müssen dabei nicht als reine Verwalter des Status quo an Bord gehen, sondern können als Innovationstreiber frische Ideen und technologische Expertise mitbringen. In Zeiten, in denen Start-ups ihre ersten Rezessionserfahrungen machen, kann die Stabilität eines bestehenden Unternehmens goldwert sein.
Wenn wir den Pioniergeist der Start-ups und das über Generationen gewachsene Know-how erfolgreicher deutscher Unternehmen zusammenbringen, kann eine neue Aufbruchstimmung entstehen, die Deutschland gerade jetzt gut gebrauchen kann.
Es wäre ein Baustein, um den Wirtschaftsstandort zukunftsfähig zu machen und im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Das Zeitfenster dafür ist jetzt offen.