Gastkommentar – Homo oeconomicus: Der niedrige Euro-Kurs ist kein Zeichen der Schwäche der Währungsunion

Peter Bofinger ist Ökonomieprofessor an der Universität Würzburg und war Mitglied des Sachverständigenrats.
Seit Mai 2021 hat der Euro fast ein Fünftel seines Werts gegenüber dem US-Dollar verloren. Man bekommt jetzt für einen Euro weniger als einen Dollar. Der Kursverlust wird zunehmend als Zeichen einer politischen und wirtschaftlichen Schwäche des Euro-Raums interpretiert. Deshalb seien stärkere Integrationsschritte, insbesondere eine stärker vergemeinschaftete Finanzpolitik, nötig, nicht zuletzt ein System zur Abfederung geopolitischer und ökonomischer Schocks.
Aber ist der niedrige Dollar-Kurs des Euros tatsächlich ein Grund zur Sorge? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt ein ausgeprägtes Auf und Ab. Der bisherige Tiefstand wurde am 26. Oktober 2000 mit 0,8252 Dollar für einen Euro erreicht. Am 15. Juli 2008 war der Kurs mit 1,599 fast doppelt so hoch, ohne dass sich die fundamentalen Faktoren wesentlich geändert hätten.
Eine wichtige Rolle für das Auf und Ab spielt die Differenz zwischen den kurzfristigen Zinsen für Euro- und Dollar-Anlagen. Als Daumenregel gilt: Sind die Euro-Zinsen höher als die Dollar-Zinsen, ist der Euro stark und umgekehrt. Bei dem derzeitigen Zinsvorsprung des Dollars ist es nicht überraschend, dass der Euro an Wert verliert.
Die Erklärung hierfür ist die Handelsstrategie des „Carry Trade“: Ein Marktteilnehmer verschuldet sich kurzfristig in der Währung mit dem niedrigen Zins und legt die Mittel in der Währung mit dem hohen Zins an.
Wenn sich viele Marktteilnehmer so verhalten, wertet der Dollar auf, und man erzielt zum Zinsvorteil auch noch einen Kursgewinn. Da sich am Zinsvorsprung des Dollars zunächst nichts ändern wird, sollte man sich auf eine weitere Abwertung des Euros gegenüber dem Dollar einstellen.
Der niedrige Dollar-Kurs des Euros ist also nicht als ein Symptom für Probleme des Euro-Raums zu interpretieren. Es handelt sich dabei ohnehin mehr um eine Stärke des Dollars als eine Schwäche des Euros. Gegenüber einem Korb der Währungen der wichtigsten Handelspartner des Euro-Raums hat der Euro seit Mai 2021 nur um rund sechs Prozent abgewertet und liegt damit um 13 Prozent über seinem Ausgangsniveau vom Januar 1999. Er ist also alles andere als eine schwache Währung.
>> Lesen Sie hier: Steht ein Absturz des Dollars bevor?
Aber es empfiehlt sich auch ganz unabhängig vom Euro, über mehr Integration im Euro-Raum nachzudenken. Dringend erforderlich ist jetzt eine gemeinsame Strategie, um erneuerbare Energien zu fördern, integrierte Energienetze zu schaffen und die Energieeffizienz zu steigern. Dafür sind umfangreiche staatliche Mittel zur Förderung privater Investitionen nötig.


Viele Mitgliedstaaten werden nach den Aufwendungen für die Bekämpfung der Coronapandemie und der Folgen des Ukrainekriegs hierzu nicht in der Lage sein. Ein gemeinsamer Fonds nach dem Vorbild von „Next Generation EU“ wäre daher das Mittel der Wahl. Mit einer EU-Abgabe auf Energieträger könnte in den nächsten Jahrzehnten die Rückzahlung finanziert und ein zusätzlicher Anreiz zum Energiesparen geschaffen werden.
Mehr: Europa muss gemeinsam Verantwortung für den Euro übernehmen – dafür muss es jedoch umsteuern.





