Gastkommentar – Homo oeconomicus: Die Mittelschicht fällt beim Vermögen immer weiter zurück
Die Mittelschicht ist mit Blick auf die Teilhabe an der Vermögensentwicklung nicht stabil. Ein Grund ist die sehr geringe Eigentumsquote bei Immobilien.
Foto: imago images/Ralph PetersDie deutsche Mittelschicht ist erstaunlich stabil, wie an dieser Stelle in der letzten Woche beschrieben wurde. Marktwirtschaft und Sozialstaat ist es gelungen, die Effekte der gestiegenen Zuwanderung aufzufangen, eine Leistung, auf die wir zu Recht stolz sein dürfen.
Alles in Ordnung also? Keineswegs. Die Mittelschicht in Deutschland mag zwar einkommensmäßig stabil sein, mit Blick auf die Teilhabe an der Entwicklung der Vermögen ist sie es nicht. Trotz einer hohen Sparquote fällt die deutsche Mitte bei der Vermögensbildung immer weiter zurück.
Die Ursachen liegen auf der Hand: überdurchschnittlich hohe Belastung mit Steuern und Sozialabgaben, Präferenz für die Anlage des Ersparten auf Sparbuch, Konto und in Lebensversicherungen. Angst vor Aktien und eine im europäischen Vergleich sehr geringe Eigentumsquote bei Immobilien.
Das Volk der Mieter und Sparbuchbesitzer droht damit zum großen Verlierer der Euro-Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu werden. Nachdem die Immobilienpreise in den Jahren vor der Euro-Krise in Deutschland langsamer gestiegen waren als die Realeinkommen, hat sich das in den letzten Jahren geändert.
Der Traum von der eigenen Immobilie wird für viele Mittelschichtler ein Traum bleiben. Die Vermögensverteilung muss in einem Umfeld, wo der normale Sparer keine Zinsen bekommt und die Besitzer von Vermögenswerten, wie Immobilien, sich über jährliche Preissteigerungen im zweistelligen Bereich freuen können, zwangsläufig immer ungleicher werden.
Der Autor: Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „beyond the obvious“, Unternehmensberater und Autor. Jeden Sonntag geht auf www.think-bto.com sein Podcast online.
Foto: Robert Recker/ BerlinHoffnung auf Besserung gibt es nicht. Die EZB wird angesichts hoher Verschuldung und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit wichtiger Euro-Länder dauerhaft zum Finanzierer staatlicher Ausgabenprogramme werden, gerne auch für den Kampf gegen den Klimawandel. Dauerhaft höhere Inflationsraten treffen die Mittelschicht hart.
Einen großen Teil der Schuld trägt die deutsche Politik. Seit nunmehr zehn Jahren versteckt sie sich hinter der EZB, statt die grundlegenden Probleme der Gemeinschaftswährung anzugehen. Die Ampelkoalition steht beim Euro für ein beherztes „Weiter so!“.
Umso dringender wäre es, das Thema der Vermögensbildung anzugehen: eine echte Steuer- und Abgabenentlastung für die Mitte, Abschaffung der Grunderwerbsteuer für selbst genutztes Eigentum, Erleichterungen beim Zugang zu Finanzierungen bis hin zu Eigenkapitalhilfen. Flankiert werden sollte das mit deutlich erhöhten Eigenkapitalanforderungen beim Erwerb von Immobilien zu Kapitalanlagezwecken, um den Preisauftrieb zu dämpfen.
Wenn die Politik es ernst meint mit der von ihr oft verwendeten Formulierung von der Mittelschicht als Stütze und Rückgrat der Gesellschaft, muss sie dringend handeln. Unterlässt sie es weiterhin, droht die von vielen schon heute beklagte Spaltung der Gesellschaft.