Gastkommentar – Homo oeconomicus: Lindners Märchen über ein angeblich gefährliches Steuerkonzept der Grünen

Wie sollen Bürgerinnen und Bürger angesichts der hohen Inflation entlastet werden?
Seit dem Ampel-Koalitionsvertrag war es ruhig in der steuerpolitischen Debatte. Weil sich die Koalitionsparteien angesichts diametral entgegengesetzter Vorstellungen von Rot-Grün auf der einen und FDP auf der anderen Seite weder auf generelle Steuersenkungen noch -erhöhungen einigen konnten, blieb das Thema ausgeklammert.
FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner möchte allerdings zum Ausgleich der Inflation eine Entlastung bei der Einkommensteuer durchsetzen. Insbesondere die Grünen beharren darauf, dass Entlastungen bei unteren und mittleren Einkommen aus Verteilungsgründen und angesichts der Haushaltslage durch Steuererhöhungen bei hohen Einkommen gegenfinanziert werden. Vor zwei Wochen war nun im Handelsblatt zu lesen: „Christian Lindner zerpflückt Robert Habecks Steuerplan.“
Der Finanzminister ging hart mit den angeblichen Plänen seines Kabinettskollegen ins Gericht: Sein Ministerium habe berechnet, um die gewünschten Entlastungen im unteren und mittleren Einkommensbereich zu finanzieren, müsse der Spitzensteuersatz ab einem zu versteuernden Einkommen von 80.000 Euro von 42 Prozent drastisch auf 57,4 Prozent angehoben werden.
„Eine so drastische Steuererhöhung bereits für qualifizierte Fachkräfte, Handwerk und Mittelstand würde die wirtschaftlichen Entwicklungen in unserem Land strangulieren“, schimpfte Lindner und legte andernorts noch nach, der Vorschlag sei „Sabotage an der wirtschaftlichen Erholung“ und müsse „im Interesse des Gemeinwohls verhindert werden“.
Es gibt gar keinen solchen Steuerplan der Grünen
Das Kuriose nur: Es gibt überhaupt keinen solchen Steuervorschlag des Wirtschaftsministers, und das Finanzministerium legte auch bis heute nicht offen, was da eigentlich berechnet wurde. Klar ist nur, dass es um eine Interview-Äußerung Robert Habecks ging, eine Abflachung des sogenannten Mittelstandsbauchs im unteren Bereich des Einkommensteuertarifs sei denkbar, müsse aber bei höheren Einkommen gegenfinanziert werden.

Achim Truger ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen.
Doch es gibt unendlich viele Möglichkeiten, die für den Bauch verantwortliche Zacke im Tarif, die derzeit bei knapp 15.000 Euro und einem Steuersatz von knapp 24 Prozent liegt, abzusenken. Man kann den Steuersatz senken, man kann die Einkommensschwelle erhöhen oder auch beides kombinieren. Je stärker man das macht, desto teurer wird es und desto stärker muss man bei hohen Einkommen zur Gegenfinanzierung greifen.
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Aber wie kommt man zu der drastischen Erhöhung des Steuersatzes um 15,4 Prozentpunkte auf 57,4 Prozent bei 80.000 Euro? Für Einkommen über 80.000 Euro wäre das eine Steuererhöhung um mehr als ein Drittel; entsprechend groß würden auch die Mehreinnahmen ausfallen – überschlagsmäßig um über 30 Milliarden Euro.
Entsprechend groß muss spiegelbildlich die vom Finanzministeriums angesetzte Abflachung des Mittelstandsbauchs ausgefallen sein, mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde die Zacke im Tarif einfach komplett weggebügelt.






Das Ministerium hat also schlicht die maximal mögliche und damit maximal teure Abflachung unterstellt, um dann bei der Gegenfinanzierung eine radikale Steuererhöhung ansetzen zu können, gegen die dann wiederum der Minister entsprechend heftig auftreten konnte.
Mit anderen Worten: Die Geschichte von den gefährlichen grünen Steuerplänen ist ein Märchen und wurde nur inszeniert, um das Konzept der Gegenfinanzierung zu diskreditieren.





