Homo oeconomicus: Der Klimaschutz hinkt dem Klimawandel hinterher

Claudia Kemfert leitet die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ des DIW und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance.
Der Klimaschutz nimmt endlich Geschwindigkeit auf. Leider tut der Klimawandel das auch. Forscher warnen, dass die Worst-Case-Szenarien schneller eintreten als gedacht. Die Lücke zwischen notwendigem und tatsächlichem Handeln wird größer. Das merkt auch die Bevölkerung, weshalb die Politik unter Druck gerät.
Der Green Deal der EU hat in allen relevanten Sektoren, von Energie über Verkehr bis zur Landwirtschaft, wichtige Schritte zur Eindämmung des Klimawandels definiert. Bis 2030 sollte bis zu eine Billion Euro in den Klimaschutz fließen. Doch dann kam Corona. Die beschlossenen Wirtschaftshilfen dienten nun der Krisenbewältigung.
Dass 30 Prozent davon dem Klimaschutz dienen sollen, ist zwar wenig, aber immerhin ein Zeichen guten Willens. Dennoch: Die Emissionsminderungsziele von minus 55 Prozent bis 2030 mögen politisch ein Meilenstein sein, für echten Klimaschutz sind sie zu wenig. Die Versäumnisse der letzten 15 Jahre lassen sich so nicht aufholen.
Am dringendsten wäre es, endlich die Investitionen in fossile Infrastruktur zu stoppen. Wir brauchen weder Erdgasleitungen noch Flüssiggasterminals. Stattdessen muss der Ausbau der erneuerbaren Energien mindestens verdoppelt und das Energiesparen stärker belohnt werden.
Deutschland als Vorreiter müsste bloß die Energiewende endlich beherzt umsetzen. Doch davon keine Spur.
Wir brauchen Taten, die uns aus der Klimakrise führen
Stattdessen werden Nebelkerzen gezündet, etwa wenn Nord Stream 2 auf einmal „blauen Wasserstoff“ transportieren soll. Dieser Wasserstoff, der mit Erdgas hergestellt wird, ist energiewirtschaftlicher Wahnsinn. Denn er ist teuer, ineffizient, klimaschädlich und technisch aufwendig – vom „einlagerten CO2“ ganz zu schweigen.
Ein ebensolcher Irrweg ist es, Flüssiggasterminals für hochpreisiges Fracking-Gas zu bauen, nur um eine aufgebrachte US-Regierung angeblich zu besänftigen. Geht’s noch?
Wenn Wasserstoff-Terminals, dann bitte schön für „grünen Wasserstoff“! Der ist zwar ebenfalls aufwendig herzustellen und entsprechend kostbar, käme aber klimaverträglich aus erneuerbaren Energien und könnte aus Nordafrika nach Deutschland verschifft werden.
Nun hat jüngst Wirtschaftsminister Peter Altmaier den Klimaschutz für sich entdeckt und Fehler eingeräumt. Doch nachdem er es in den letzten Jahren als Umwelt- und als Wirtschaftsminister versäumt hat, den wirtschaftlichen Schatz des Klimaschutzes zu heben, wird ihm das leider auch jetzt nicht gelingen: Sein 20-Punkte-Plan zur EEG-Reform sieht weder die nötige Verdopplung noch den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien vor.


Lieber will er den angeblichen Gegensatz von Ökonomie und Ökologie versöhnen. Dabei ist Fakt: Klimaschutz schafft enorme wirtschaftliche Chancen.
Wir brauchen keine Versöhnung in einem Fantasie-Konflikt, sondern endlich Taten, die uns aus der Klimakrise führen. Wir haben keine Zeit mehr für Nebelkerzen und Ablenkungsmanöver. Wir brauchen mehr Ernsthaftigkeit. Die EU hat das verstanden. In Deutschland braucht man bekanntlich länger. Zeit, dass sich dies ändert.
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