Asia Techonomics: Millionenstadt Schanghai im Lockdown: Wenn der Salat per Drohne kommt
In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Foto: Klawe RzeczyChina ist ein Land der Internetnutzer. Mehr als eine Milliarde Menschen geht regelmäßig ins Netz, vorzugsweise mit dem Smartphone. Auch in der aktuellen Lockdown-Krise in Schanghai spielt sich deshalb vieles online ab.
Seit Ende März ist die 25-Millionen-Metropole mehr oder weniger vollständig abgeriegelt. Die Bewohner stehen unter Hausarrest, erst seit Montag dürfen einige von ihnen zumindest kurz wieder vor die Tür gehen.
Die Schanghaier und andere Bewohner von unter Ausgangssperre stehenden Städten nutzen die sozialen Netzwerke, um ihrem Ärger Luft zu machen. Tausende Videos zirkulieren im Internet, die zeigen, wie chaotisch die Zustände teilweise sind. Die von der drakonischen Abriegelung überraschten Menschen haben nicht genug Lebensmittel, Lieferdienste in der Stadt sind heillos überfordert.
In einem Land, in dem es keine Opposition gibt und die Presse- und Meinungsfreiheit unterdrückt werden, müssen die Menschen kreativ werden, um ihren Unmut zu artikulieren. In den sozialen Netzwerken geteilte Mitschnitte von Auseinandersetzungen von Schanghaiern mit der Polizei oder Mitgliedern sogenannter Nachbarschaftskomitees, einer Art Blockwart-Netzwerk, werden hunderttausendfach verbreitet.
Videos von chaotischen Quarantäneeinrichtungen, von im Namen der Covid-Prävention qualvoll getöteten Haustieren machen die Runde. Videos von kleinen Kindern, die allein und ohne ihre Eltern in Krankenhäuser gebracht werden, werden tausendfach geteilt. Dabei müssen die Betroffenen geschickt sein und zum Beispiel Worte wählen, die nicht einfach von der Zensur automatisch erkannt und gelöscht werden. In China nennt man dieses Spiel übersetzt „Grenzball“ – dabei geht es darum, dass man sich genau in dem Rahmen bewegt, der von den Zensoren noch geduldet oder übersehen wird, wie der Newsletter für chinesische Internetkultur „Chaoyang Trap“ erklärt.
Chinesische Zensur löscht Kritik
Diese Grenzen verschieben sich schnell. Inzwischen ist etwa das Hashtag „Schanghai Lebensmitteleinkauf“ auf dem beliebten Netzwerk Weibo gesperrt.
Die Schanghaier nutzen Technologie auch, um sich gegenseitig zu helfen. So brachte ein Mann seiner Nachbarin kurzerhand per Drohne Lebensmittel – Apfelsinen, ein paar Salatblätter und sogar ein halber Fisch flogen so durch ein Fenster in die Wohnung der Frau. Um der Lebensmittelknappheit zu begegnen, schließen sich Bewohner zudem per Messenger-App zu Sammelbestellungen zusammen und tauschen sogar Güter und Dienstleistungen. Ein Mann in Schanghai bot eine 30-minütige Streicheleinheit mit seiner Katze im Tausch für drei Apfelsinen an.
Das chinesische Onlinemagazin „Sixth Tone“ berichtet zusätzlich zur Lebensmittelknappheit, dass manche der eingesperrten Schanghaier schlicht nicht kochen können – zu verbreitet ist es in der Millionenstadt, einfach in einem der vielen billigen Restaurants zu essen. Sie lernen jetzt über Videos auf dem sozialen Netzwerk Xiaohongshu („Kleines rotes Buch“) oder dem chinesischen Tiktok-Pendant Douyin, ihr Essen selbst zuzubereiten.
Im Gegensatz zu den kreativen Lösungen der Schanghaier Bevölkerung wirkt der Einsatz von Technologie durch die Behörden eher hilflos als innovativ. Zwar kommen wie schon in Wuhan auch in Schanghai autonome Fahrsysteme zum Einsatz, die Essenslieferungen selbstständig und ohne die Steuerung durch Menschen zu den Einwohnern bringen.
Videos zeigen aber vor allem den fragwürdigen Einsatz von Technologie. So patrouilliert ein hundeartiger Roboter in einer Schanghaier Wohnanlage – auf seinem Rücken ein mit Klebeband befestigter Handlautsprecher, aus dem unentwegt Hygieneanweisungen plärren.
Ob der wahllose Einsatz von Desinfektionsrobotern sinnvoll ist, darf bezweifelt werden.
Foto: BloombergIn ähnlicher Weise kommen auch Drohnen zum Einsatz. Der Lautsprechereinsatz mit Drohnen decke ein großes Gebiet ab, wirke lange nach und sei „ein neuartiger Weg, um ein dreidimensionales Netz zur Epidemieprävention und -bekämpfung aus der Luft und vom Boden aus aufzubauen“, wird einer der von der Stadt beauftragten Kontrolleure in chinesischen Medien zitiert. Auch zur Desinfektion von öffentlichen Plätzen und Innenräumen kommen Drohnen und Roboter öffentlichkeitswirksam zum Einsatz. Die Fluggeräte sind dann mit einem kleinen Plastiktank ausgestattet.
Ob es allerdings sinnvoll ist, Desinfektionsmittel in die Luft zu sprühen, darf bezweifelt werden.