Asia Techonomics: Niemand kann vorhersagen, wie es in China weitergeht – nicht einmal Goldman Sachs

Die anfängliche Euphorie über die beschlossene Öffnung des seit drei Jahren weitgehend abgeriegelten Landes könnte schnell verfliegen.
Am Sonntag wird in China das neue Jahr begrüßt, das Jahr des Hasen. Der Hase soll für ein langes Leben, Frieden, Wohlstand und für Hoffnung stehen. Angesichts von Pandemie, Ukrainekrieg und Rezessionssorgen bleibt auch dem Westen die Hoffnung, dass der Hase nicht enttäuscht. Die Chinesen hoffen zu Neujahr vor allem auf ein Ende des Coronachaos und auf eine Erholung der zuletzt darbenden Wirtschaft.
Offiziellen Zahlen zufolge ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt 2022 um drei Prozent gewachsen. Es ist der zweitschlechteste Wert seit Ende der 1970er-Jahre, als die Reform- und Öffnungspolitik den Grundstein für Chinas steilen Aufstieg legte. Im neuen Jahr soll nun alles besser werden. Viele Analysten haben die Wachstumsaussichten in den vergangenen Tagen und Wochen nach oben geschraubt.
Doch die beispiellose abrupte Kehrtwende der Staatsführung in ihrer Coronapolitik hat eines wieder einmal sehr deutlich gemacht: Wer glaubt zu wissen, wie in China der Hase läuft, der irrt. Prognosen sind bekanntlich schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Das gilt umso mehr für völlig intransparente, autokratisch geführte Staaten wie die Volksrepublik. Aber nicht einmal der quasi allmächtigen Staatsführung ist es gelungen, das selbst gesteckte Wachstumsziel von rund 5,5 Prozent 2022 zu erreichen.
Die anfängliche Euphorie über die beschlossene Öffnung des seit drei Jahren weitgehend abgeriegelten Landes könnte, nicht zuletzt angesichts der teils chaotischen Zustände, schnell verfliegen. Das macht schon Kurzzeitaussichten bestenfalls schwierig. Umso abenteuerlicher sind Langzeitprognosen.
So musste erst kürzlich die US-Investmentbank Goldman Sachs einen Rückzieher machen. 2011 hatte der damalige Chefökonom und BRIC-Erfinder Jim O’Neill vorhergesagt, dass China 2025 die USA als größte Volkswirtschaft der Welt ablösen wird. Schmallippig korrigierten die Finanzvordenker in einer neuen Studie den Zeitpunkt um zehn Jahre nach hinten.
Experten bezweifeln, dass China die USA überholt
Chinakenner halten aber auch das für unrealistisch. Goldman Sachs werde den Termin verschieben müssen und die Prognose schließlich „komplett fallen lassen“, glaubt Michael Pettis, Finanzprofessor an der renommierten Peking-Universität.

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Er verweist schon lange darauf, wie groß die Ungleichgewichte in der chinesischen Wirtschaft sind und wie stark ihr Wachstum von schuldenfinanzierten, staatlichen Investitionen abhängt. Hinzu kommt, dass das einst schier unerschöpflichen Heer billiger Arbeitskräfte, das maßgeblich zu Chinas bisherigem Wachstum beigetragen hat, schneller schrumpft als erwartet.
Auch die Spezialisten des Analysehauses China Beige Book (CBB) zeigten sich verwundert, dass die Goldmänner ihre Prognose erst jetzt korrigierten. Vermutlich sei es dem Investmenthaus schon länger klar gewesen.
Aber es sei wohl schwierig zuzugeben, dass das schwächere Wachstum „im Widerspruch zu vollmundigen Werbeversprechen“ stehe, wonach die chinesischen Verbraucher der Wachstumsmotor der Welt seien, lästerten die CBB-Analysten.
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Letzteres verdeutlicht ein weiteres Problem bei Prognosen über die Entwicklung der Volksrepublik: Nicht nur die intransparente politische Entscheidungsfindung in Peking macht Vorhersagen schwierig. Auch die mannigfaltigen (Geschäfts-)Interessen der jeweiligen Prognostiker vernebeln bisweilen den Ausblick.
Wenig Zweifel gibt es hingegen daran, dass die chinesische Staatsführung weiterhin alles versuchen wird, um wirtschaftlich, technologisch und militärisch zu den USA aufzuschließen. Zumindest ist das erklärtes Ziel von Staats- und Parteichef Xi Jinping. Die USA auf der anderen Seite werden alles daransetzen, dass China dieses Ziel so schnell nicht erreicht – und im globalen Wettlauf von Hase und Igel einstweilen der Hase bleiben.



In der Kolumne Asia Techonomics berichten Nicole Bastian, Dana Heide, Sabine Gusbeth, Martin Kölling und Mathias Peer im Wechsel über die wichtigsten technologischen und wirtschaftlichen Trends in der dynamischsten Region der Welt.
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