Beyond the obvious: Wie wir den Krankenstand auf das Niveau der Schweiz drücken

Der Anstieg der Arbeitskosten in den vergangenen Jahren ist neben den deutlich gestiegenen Energiekosten ein Hauptgrund für die erheblich verschlechterte Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass immer wieder Vorschläge gemacht werden, die Lohnkosten zu senken, zum Beispiel durch die Abschaffung von Feiertagen. Dann würde die Jahresarbeitszeit steigen und umgekehrt die Kosten pro Arbeitsstunde sinken.
Nach Berechnungen von Ökonomen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bringt ein zusätzlicher Arbeitstag 5 bis 8,6 Milliarden zusätzliches BIP. Prominente Ökonomen wie Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrats der Bundesregierung, unterstützen diese Idee.
Der Wegfall eines oder mehrerer Feiertage ist jedoch keine Lösung für unsere Probleme. So lagen die Sozialversicherungsbeiträge noch vor zehn Jahren 2,4 Prozentpunkte tiefer als heute, was überschlägig rund 22 Milliarden Euro oder drei bis vier Feiertagen entspricht.
Statt also Feiertage abzuschaffen, muss die Politik endlich eine Reform der Sozialversicherungssysteme angehen, weil der demografische Wandel die Sozialabgaben sonst rasch in Richtung 50 Prozent (heute 41,9 Prozent) treibt – so viele Feiertage können gar nicht entfallen.
Vor diesem Hintergrund ist es unverzeihlich, dass die Regierung ein Rentenpaket beschlossen hat, das genau in die gegensätzliche Richtung geht. Dass dieses aus Steuern und nicht mit Abgaben bezahlt werden soll, ändert nur in der Welt von Politikern etwas. In der Praxis bedeutet es höhere Steuern und Schulden.
Es geht nicht darum, die heute bereits Erwerbstätigen mehr arbeiten zu lassen, sondern es muss darum gehen, jene, die nicht oder nur teilweise arbeiten, dazu zu bewegen, mehr oder überhaupt zu arbeiten. Ansatzpunkte gibt es dafür genug.
Die sofortige Abschaffung der Rente mit 63 würde den Fachkräftemangel lindern, die Sozialkassen entlasten und die Wirtschaft antreiben. Blieben die etwa 270.000 Menschen, die jedes Jahr von der Rente mit 63 Gebrauch machen, ein Jahr länger im Arbeitsmarkt, lägen die Erträge aus den damit gewonnenen rund 50 Millionen Arbeitstagen deutlich höher, als durch die Abschaffung eines Feiertags zu erzielen wäre.
Einen weiteren Ansatzpunkt bietet die Reduktion der Krankentage. Die sind in den letzten Jahren nicht nur deutlich gestiegen, sie liegen auch signifikant höher als in unseren Nachbarländern. Gelänge es, den Krankenstand auf das Niveau der Schweiz zu drücken – 11 statt 18 Tage laut OECD –, entspräche das ebenfalls mehreren Feiertagen. Die Politik könnte daran etwas ändern – Stichworte: Karenztage und Abschaffung der telefonischen Krankschreibung –, wenn sie denn wollte.
Ebenfalls entscheidend ist die Schaffung von Anreizen zur Arbeitsaufnahme für die Empfänger des jetzt „Grundsicherung“ genannten Bürgergelds. Wie die Forscher des Ifo-Instituts um Andreas Peichl deutlich herausarbeiten, ist es im Dschungel der Sozialleistungen – allein der Bund hat geschätzt (!) über 500 verschiedene, hinzu kommen weitere von Ländern und Kommunen – um die Anreize schlecht bestellt. Schon ein geringer Mehrverdienst kann durch den Wegfall staatlicher Leistungen zu einem geringeren verfügbaren Einkommen führen, nicht selten ist die Grenzbelastung zusätzlicher Einkommen jenseits der 50 Prozent.





Im Dschungel des Sozialstaats
Auch hieran lässt sich durch Reformen etwas ändern und brächte deutlich mehr als der diskutierte Feiertag. Die Ifo-Forscher plädieren für ein integriertes Transfersystem „aus einem Guss“, das nicht nur rund 150.000 Menschen in den Arbeitsmarkt bewegen, sondern auch dem Staat 4,5 Milliarden Euro ersparen würde.
Es ist offensichtlich, dass es viele Hebel gibt, die Lohnkosten zu senken. Am effektivsten wären Reformen im Sozialsystem. Statt wie in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Anreize zu schaffen, nicht mehr zu arbeiten, sollte die Politik den Sozialstaat so umbauen, dass es sich lohnt zu arbeiten. Allemal besser, als denjenigen, die noch arbeiten, einen Feiertag zu nehmen.
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