Asia Techonomics: Warum die Manga-Figur Doraemon Japans KI-Vorbild ist
Tokio. Künstliche Intelligenz (KI) ist beim Technikkonzern Mitsubishi Electric ein Fall für Comics. Bereits 2020 begann der Konzern eine kleine Serie typischer japanischer Manga-Comics, um erst intern und dann weltweit ein ernstes Thema zu diskutieren: „Ethik und KI – Wie können Menschen harmonisch mit KI-Systemen leben?“
Auf den ersten Blick mag der Griff zur Popkultur merkwürdig erscheinen. Doch Mitsubishi Electric steht für einen breiten Trend in der „Japan AG“, bei dem Ethikdiskussionen kein Selbstzweck, sondern Teil der Geschäfts- und Produktentwicklung im Bereich KI sind.
Gerade die größten Entwickler von KI stoßen eine Diskussion über die Gesellschaft der Zukunft an. So hat der Telekommunikationsriese NTT etwa das Kyoto Institute for Philosophy gegründet, das gerade diese Woche mit Künstlern, Technologen und Konzernchefs aus aller Welt die Folgen der neuen Technologie diskutiert hat. Omron, ein Hersteller von Fabrikautomatisierung, wird im Oktober eine eigene Veranstaltung durchführen.
Die Grundidee ist dabei durchgängig, wie der Homo sapiens menschenwürdig mit KI zusammenleben kann. Anders gesagt: Für die in den USA gehypten Allmachtsfantasien à la Neuralink von Elon Musk, der den Menschen durch eine direkte Verbindung zwischen KI und Gehirn in Supermenschen verwandeln will, gibt es in Japan kaum Platz.
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Nur wenige in der japanischen Elite sind ungebremste Technikenthusiasten wie der Softbank-Gründer Masayoshi Son. Er hat sogar einen Pakt mit einem der ambitioniertesten KI-Antreiber geschlossen: Sam Altman und dessen Unternehmen OpenAI. Gemeinsam wollen sie mit anderen für bis zu 500 Milliarden Dollar KI-Rechenzentren bauen.
Nervenimpulse von der Haut ablesen
Andere wollen lieber Systeme, die die Autonomie des Menschen respektieren, wie ein Beispiel aus der Roboterentwicklung zeigt. In der US-Blockbuster-Filmserie „Terminator“ werden humanoide Roboter in der Zeit zurückgeschickt, um den Anführer des menschlichen Widerstands gegen die Tyrannei der Maschinen zu töten.
Die fiktive US-Firma, die diese Entwicklung angestoßen hat, heißt Cyberdyne. In Japan gibt es nun ein gleichnamiges Unternehmen in der realen Welt, das für friedliche Koexistenz steht. Es ist ein führender Hersteller von Roboteranzügen, die von menschlichen Nervenimpulsen gesteuert werden.
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Der Gründer Yoshiyuki Sankai lehnt dabei Eingriffe wie bei Neuralink, bei denen Elektroden mit Nerven verbunden werden, vehement ab. Stattdessen will er die Haut als Grenze des Menschen respektieren und somit die menschliche Autonomie wahren. Seine Technik liest Nervenimpulse von der Haut ab, und dies schon seit Jahren.
Roboterkatze aus der Zukunft
Diese Einstellung scheint auch an anderer Stelle durch: So werden in Japan bisher keine Roboter für das Militär entwickelt, sondern als Helfer des Menschen für Fabriken, in der Pflege oder für die Kommunikation. Ein Vorbild für die kommende Heerschar KI-bestückter Roboter ist dabei die Manga- und Anime-Figur Doraemon.
Doraemon ist eine Roboterkatze aus der Zukunft, die den etwas tollpatschigen zehnjährigen Nobita als Freund gewonnen hat. Dieser KI-Roboter unterjocht den Menschen nicht oder bemuttert ihn, sondern hilft dem Jungen, sein menschliches Potenzial in gefährlichen Abenteuern zu erweitern.
Es ist diese Form der KI, die vielen Japanern vorschwebt: eine KI, die mit den Menschen lebt und sie berät. Regierung und Unternehmen versuchen daher schon länger, sich unabhängiger von amerikanischen Anbietern und deren Motiven zu machen.
Immer mehr Unternehmen nutzen ein japanisches Large Language Model, also ein fortschrittliches KI-System, das darauf trainiert wurde, menschliche Sprache zu verstehen, zu verarbeiten und zu generieren, das die eigenen kulturellen Grundlagen besser reflektiert als ausländische Alternativen. Und Unterschiede gibt es. Das hat Hirofumi Fukagawa, der bei Mitsubishi Electric das KI-Ethik-Projekt leitet, immer wieder erlebt.
So diskutierte sein KI-Team 2024 auf der Kunstmesse Ars Electronica in Linz mit europäischen Besuchern darüber, wie sie sich ein Leben mit KI vorstellen. Dabei stellte er fest, dass Europäer weit weniger bereit waren, sich von KI Ratschläge geben zu lassen, als Japaner.
Für Fukagawa leiten sich daraus konkrete Maßnahmen für die KI-Entwicklung ab. „Anstatt einheitliche globale KI-Vorschriften zu schaffen, sollten wir Technodiversität in Betracht ziehen“, sagt der KI-Vordenker. Andere Länder, andere Sitten, andere KIs – das ist sein Modell. In Japan führt die Industrie bereits eine Diskussion mit der Bevölkerung darüber, welche KI sich die Gesellschaft wünscht.
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