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Der ChefökonomFöderalismus braucht klare Zuständigkeiten

Der Anteil der Bundesländer an den Steuereinnahmen wächst stetig, während die Anzahl ihrer Aufgaben und Zuständigkeiten sinkt. Ein unhaltbarer Trend.Bert Rürup, Axel Schrinner 07.11.2025 - 04:13 Uhr Artikel anhören
Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober 2025: Ringen um die Geldverteilung. Foto: Hannes P. Albert/dpa

Düsseldorf. Der deutschen Volkswirtschaft stehen zweifellos wirtschafts- und gesellschaftspolitisch höchst herausfordernde Jahre bevor. Die Bundeswehr ist allenfalls bedingt abwehrbereit, die Deutsche Bahn gleicht einem Fass ohne Boden, und viele Autobahnen und Brücken sind in miserablem Zustand. Überdies steht die Gesellschaft unmittelbar vor einem massiven Alterungsschub, der zu einem Exodus von Qualifizierten in den Unternehmen und zu gravierenden Finanzierungsproblemen der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung führen wird.

Deutschland ist zudem eines der wichtigsten Länder, die die Ukraine unterstützen. Ferner muss die Energieversorgung binnen zwei Dekaden umorganisiert werden, da das Land bis 2045 klimaneutral werden soll. Zu guter Letzt befindet sich der bisherige Garant für Wachstum und Wohlstand, die Autoindustrie, in ihrer schwersten Krise der Nachkriegsgeschichte.

Die Multikrisen der vergangenen Jahre haben tiefe Spuren in den öffentlichen Haushalten hinterlassen. Während der deutsche Staat im vergangenen Jahrzehnt sieben Jahre in Folge Haushaltsüberschüsse von insgesamt fast 250 Milliarden Euro erwirtschaftete, stecken heute alle staatlichen Ebenen mehr oder weniger tief in den roten Zahlen – wobei allerdings das Mehr oder Weniger von entscheidender Bedeutung ist.

So lag das Defizit, das der Bund in der ersten Hälfte dieses Jahres erwirtschaftete, bei gut 32 Milliarden Euro; die ihm zuzurechnenden Sozialversicherungen wiesen infolge von Beitragserhöhungen einen Überschuss von 3,3 Milliarden Euro aus, wie ein Blick in die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zeigt. Die Länder schlossen mit einem Defizit von 1,3 Milliarden Euro ab und die Gemeinden, die den Ländern zuzurechnen sind, machten rund 14 Milliarden Euro Minus. Damit war das Defizit beim Bund und den Sozialversicherungen doppelt so hoch wie das der Länder und Gemeinden.

Angesichts der Herausforderungen der kommenden Jahre ist unstrittig, dass vor allem der Bund und die Sozialversicherungen mit massiven Finanzierungsproblemen konfrontiert sein werden.

Bundeszuschuss steigt seit Jahren

Ein Blick auf die Entwicklung der Verteilung der Steuereinnahmen zeigt jedoch, dass der auf die Länder entfallende Anteil stetig gestiegen ist, während der Anteil der Bundesebene sank. Seit dem Jahr 2020 entfällt der größte Teil des Steueraufkommens auf die Bundesländer. Nach der aktuellen Steuerschätzung wird in diesem Jahr der Länderanteil nahezu 42 Prozent betragen.

In absoluten Zahlen ausgedrückt stehen damit den 16 Bundesländern etwa 25 Milliarden Euro mehr an Steuern zu als dem Bund. Und bis zum Ende des Jahrzehnts wird diese Differenz laut der jüngsten Steuervorschätzung auf 35 Milliarden Euro steigen.

Ein zentraler Grund für diese Entwicklung ist, dass Mitte des vergangenen Jahrzehnts der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) versuchte, den Streit um den Länderfinanzausgleich mit Geld des Bundes zu schlichten. Die Folge: Seit 2020 speist der Bund zusätzliche Milliarden Euro in den Finanzausgleich ein, wenngleich dieses System zum Ziel hat, Unterschiede in der Finanzkraft zwischen den einzelnen Ländern auszugleichen.

Dieser Bundeszuschuss steigt von knapp zehn Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 auf voraussichtlich mehr als 13 Milliarden Euro. Kumuliert man diese Beträge, dann verzichtet der Bund binnen einer Dekade auf etwa 140 Milliarden Euro zugunsten der Länder. Dies mag im Jahr 2017, als diese Reform beschlossen wurde, angesichts voller Kassen opportun gewesen sein. Aus heutiger Sicht erweist sich dieses „Schön-Wetter-Agreement“ jedoch als krasse Fehlentscheidung.

Ferner haben die Länder seit der letzten Föderalismusreform im Jahr 2009 Schritt für Schritt Kompetenzen an den Bund abgetreten, um im Gegenzug für diesen Verzicht Steueranteile vom Bund zu erhalten. Inzwischen werden nicht nur Bau und Ausbau von Kindertagesstätten vom Bund mitfinanziert, sondern auch deren Betrieb.

Hinzu kommt, dass die Einnahmen der besonders ergiebigen Steuern wie der Umsatz-, Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer Gemeinschaftssteuern sind, also in unterschiedlichen Verhältnissen Bund, Ländern und Gemeinden zustehen. Die Folge: Jeder Steuerrechtsänderung muss nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat zustimmen. Und diese Zustimmungen lässt sich die Länderkammer oft teuer bezahlen. Aktuell drohen die Länder, der geplanten Erhöhung der Pendlerpauschale sowie der Senkung der Umsatzsteuer für Gastronomen nur dann zuzustimmen, wenn sie für die Einnahmeausfälle vom Bund entschädigt werden.

Entflechtung von Aufgaben und Einnahmen

Eine Folge dieser „Geld-gegen-Einfluss-Politik“ ist ein schleichender Bedeutungsverlust der Landespolitik und damit der Landespolitiker. Den meisten Bürgern dürfte allenfalls noch der Name des Ministerpräsidenten ihres Bundeslandes geläufig sein – Minister oder gar die Spitzenpolitiker der Opposition sind meist weitgehend unbekannt. Selbst bekennende Anhänger des Föderalismus haben Schwierigkeiten, alle Mitglieder der Regierung ihres Bundeslandes oder alle 16 Ministerpräsidenten zu benennen.

Zudem wächst selbst in den Bereichen, in denen die Länder noch gestalterische Kompetenzen haben, also im Bildungsbereich, das Unverständnis der Bevölkerung über „Flickenteppiche“. Wenngleich unterschiedliche Regeln kein Defekt, sondern letztlich die Grundidee des Föderalismus sind, wünscht sich eine große Mehrheit der Bürger bundesweite Standards in Kindergärten, Schulen und Universitäten.

Auch wenn es mühsam ist: Bund und Länder sollten rasch um eine Entflechtung von Aufgaben und Einnahmen bemüht sein. Außerdem sollten sie einen zeitgemäßen und verfassungsfesten Rahmen für Krisenzeiten wie eine Pandemie oder gar einen kriegerischen Konflikt entwerfen; die geltenden Notstandsgesetze sind nahezu 60 Jahre alt.

In der Coronapandemie wurde deutlich, dass Bund, Länder, Bezirksregierungen, Landkreise und Gemeinden zwar miteinander kommunizierten, sich aber gleichzeitig oft scheuten, Verantwortung zu übernehmen, und daher Entscheidungen verzögerten oder delegierten. Dies mag Gründlichkeit suggerieren, ist aber nicht nur im Krisenfall zu zeitraubend. Die Entscheidungswege eines modernen Staates im 21. Jahrhundert sollten transparent und effizient sein.

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In den kommenden Jahren dürften die politischen Mehrheitsverhältnisse kaum einfacher werden. Wer jetzt diesen Kraftakt scheut, der nimmt gesamtstaatliches Versagen bei der Bewältigung der zentralen Herausforderungen der nächsten Dekaden billigend in Kauf.

Ein Weiter-so beim Verschieben von Verantwortung sollte sich Deutschland nicht leisten.

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