Der Chefökonom: Wahlgeschenk für Boomer? Die Aktivrente begünstigt die Falschen

„Der deutsche Arbeitsmarkt steht infolge des demografischen Wandels vor strukturellen Herausforderungen“, heißt es im Entwurf zum neuen „Arbeitsmarktstärkungsgesetz“. Angesichts der Tatsache, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren in den Ruhestand wechseln, resümieren die Verfasser des Textes: „Dies führt in vielen Branchen zu einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.“
Der Gesetzentwurf stammt aus dem Bundesfinanzministerium, und sein Befund ist zweifellos zutreffend. Um diesem seit Jahrzehnten bestens bekannten Problem zu begegnen, plant nun die Bundesregierung eine neue „Aktivrente“ – wobei der Begriff irreführend ist.
Denn es handelt sich nicht um eine Rentenzahlung, sondern um einen neuen monatlichen Freibetrag im Rahmen der Einkommensteuer in Höhe von beachtlichen 2000 Euro. Dieser Freibetrag soll auf Wunsch von CDU/CSU ab 2026 Beschäftigten eingeräumt werden, die jenseits der Regelaltersgrenze sozialversicherungspflichtig arbeiten.
Damit wird klargestellt, für welche Gruppe der älteren Erwerbstätigen dieser Freibetrag nicht gelten wird, nämlich für Minijobber, Selbstständige, Beamte sowie für Frührentner – unabhängig davon, ob diese mit oder ohne Abschläge frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind.
Laut dem DIW sind derzeit 1,25 Millionen Rentenempfänger erwerbstätig. Gut die Hälfte davon ist geringfügig beschäftigt, sodass sie auf dieses Einkommen keine Steuern und Sozialabgaben entrichten muss. Etwas mehr als 310.000 sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, weitere 270.000 sind selbstständig tätig.
Laut Statistischem Bundesamt gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern hinsichtlich einer Beschäftigung im Alter: Während 2024 etwa 25 Prozent der Männer im Alter von 65 bis 69 erwerbstätig waren, betrug diese Quote bei den Frauen nur 18 Prozent. Zudem war eine längere Erwerbstätigkeit zumeist mit höheren Bildungsabschlüssen verbunden.
So lag im vergangenen Jahr die Erwerbsquote der Hochqualifizierten in der Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen bei 76 Prozent und damit merklich über jener der Geringqualifizierten mit 53 Prozent. Und mit einer Erwerbsquote von 18 Prozent war fast jeder fünfte Rentner mit höherem Bildungsniveau berufstätig. Bei den Rentenempfängern mit niedrigerem oder mittlerem Bildungsniveau lag diese Quote nur bei elf beziehungsweise zwölf Prozent.
Ob und in welchem Ausmaß sich diese Werte durch die Aktivrente verändern, ist ungewiss. Das Finanzministerium jedenfalls geht nicht von einem kräftigen Anstieg aus, denn die erwarteten Steuerausfälle von 620 Millionen Euro pro Jahr signalisieren keinen durchschlagenden Erfolg.
Ein jüngerer Steuerzahler zahlt ungleich mehr
Dabei ist der monetäre Ansatz für diejenigen, die in den Genuss dieses neuen Freibetrags kommen, durchaus beachtlich. Betrachtet man zum Beispiel einen Rentenempfänger mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 48.000 Euro. Dieses Einkommen soll zum einen aus seinem Arbeitsentgelt von 24.000 Euro bestehen, zum anderen aus weiteren Einkünften – etwa gesetzlicher Rente und Mieteinnahmen. Diese Person hätte künftig um die 2600 Euro Steuer im Jahr zu entrichten.
Ein jüngerer Steuerzahler, der ebenfalls 48.000 Euro zu versteuern hat, zahlt hingegen annähernd 10.000 Euro Einkommensteuer.
Darin kann man einen eklatanten Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip sehen. Dieses vom Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigte Fundamentalprinzip der Einkommensbesteuerung besagt, dass Steuerpflichtige entsprechend ihrer objektiven und subjektiven Leistungsfähigkeit besteuert werden sollten.

Um die objektive Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen zu ermitteln, werden deren Einkommen um die Werbungskosten reduziert – also um die mit der Tätigkeit verbundenen Aufwendungen. Um die subjektive Leistungsfähigkeit zu ermitteln, werden vom Gesetzgeber anerkannte persönliche Sonderausgaben abgezogen. Dazu zählen etwa Vorsorgeaufwendungen, Unterhalt und Spenden.
Auf das so ermittelte zu versteuernde Einkommen wird dann der progressive Steuertarif angewandt, mit der Folge, dass mit steigendem Einkommen die Grenz- und Durchschnittsbelastung steigen. Um im genannten Beispiel zu bleiben: Derzeit liegen bei 48.000 Euro steuerpflichtigem Jahreseinkommen die Grenz- und Durchschnittsbelastung bei 35 und 21 Prozent, bei 24.000 Euro sind es lediglich 26 und elf Prozent.
Somit stellt sich die Frage, warum ein „Aktivrentner“ und ein normaler Erwerbstätiger bei gleichem Einkommen als steuerlich höchst unterschiedlich leistungsfähig betrachtet werden. Eine Antwort darauf gibt der Gesetzentwurf nicht. Mutmaßlich wird sich irgendwann das Bundesverfassungsgericht mit dieser Frage befassen müssen.
Auch weitere mit der Aktivrente verbundene Verteilungswirkungen dürften auf Widerspruch stoßen. Denn die damit verbundenen Steuerausfälle müssen von allen Steuerpflichtigen aufgebracht werden, also nicht zuletzt von der jüngeren Generation. Insofern reiht sich die Aktivrente in die Liste der Wahlgeschenke für die „Boomer“-Generationen ein. Aus wahltaktischen Gründen ist dies zwar nachvollziehbar, aber unter dem Aspekt der intergenerativen Verteilungsgerechtigkeit kritisch zu beurteilen.
Zudem findet mit der Aktivrente auch innerhalb der Rentnergenerationen eine massive Umverteilung statt. In all jenen Berufen, in denen körperlich schwer gearbeitet wird, dürfte die Anzahl der Aktivrentner überschaubar bleiben. Anders sieht das bei qualifizierten Bürotätigkeiten aus. Dort wird eine Weiterbeschäftigung durchaus attraktiv sein, und zwar sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber.
Die Folge: Die Einkommensspreizung in der Gruppe der Rentner dürfte deutlich zunehmen, wenn viele gut bezahlte und gut abgesicherte Bürobeschäftigte im Rentenalter steuerbegünstigt weiterarbeiten, während die oft zitierten kleinen Leute mit ihren wenig üppigen Renten auskommen müssen – erstaunlich, dass Klingbeil dem zugestimmt hat.
Das perspektivisch größte Problem unserer gesetzlichen Rentenversicherung, ein wachsendes Risiko von Altersarmut, wird mit der Aktivrente jedenfalls nicht geringer werden.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) rechtfertigte diesen Plan mit den Worten: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir mit dieser Methode, die richtigen Anreize zu setzen, weiterkommen als mit Befehl und Gehorsam, mit Repression und mit gesetzlichen Regeln.“ Damit spielte er auf Forderungen an, das gesetzliche Renteneintrittsalter zu erhöhen oder bei der Rentenfestsetzung das Äquivalenzprinzip infrage zu stellen.
Zweifellos richtig ist: Die Regierung sollte sich darum bemühen, die Beschäftigung Älterer zu erhöhen. Aber wie bei jeder wirtschaftspolitischen Maßnahme dürfen dabei Effizienz- und Gerechtigkeitseffekte nicht außer Acht bleiben.




Im Extremfall könnte es dazu kommen, dass nur wenige neue „Aktivrentner“ einen Job antreten – aber all jene Rentner, die heute schon arbeiten, einen Steuervorteil mitnehmen. Damit würde der Staat auf Steuereinnahmen verzichten, ohne die Zahl der Arbeitskräfte zu erhöhen.
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