EU-Kolumne: Europas Windradfirmen werden von Konkurrenz aus China verdrängt

Chinas Anteil am Windturbinenmarkt wächst rasant.
Die grüne Transformation ist das wichtigste Projekt von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen – nicht nur aus klimapolitischen, sondern auch aus geostrategischen Gründen: Erneuerbare Energien sollen Europa aus der Abhängigkeit von autoritären Brennstofflieferanten wie Russland befreien. Windkraft spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Doch die europäische Windindustrie steckt in der Krise, die wichtigsten Unternehmen schreiben Verluste. In Brüssel wächst die Sorge, dass der Branche das Schicksal der Solarindustrie droht: die Verdrängung durch Billigkonkurrenz aus China.
Von den 15 größten Turbinenherstellern stammen inzwischen neun aus der Volksrepublik. Lange konzentrierten sich chinesische Unternehmen wie Goldwind und Envision auf ihre Heimat, doch das ändert sich nun. Sie expandieren in Drittmärkte und treten damit in direkte Konkurrenz zu Vestas, Siemens Gamesa und anderen Unternehmen aus der EU. Etwa in Serbien und in der Türkei.
Chinas Windrad-Hersteller profitieren vom heimischen Boom
Die Angebote der Chinesen sind hochattraktiv, weil staatliche Entwicklungsbanken mithelfen und Kredite offerieren. Diese müssen erst zurückgezahlt werden, wenn die Windräder Strom produzieren und ihre Betreiber Geld einnehmen, wie Branchenexperten berichten. Die Wirtschaftsplaner in Peking nutzen dafür ihr außenwirtschaftliches Großprojekt „Belt and Road“, auch Seidenstraßen-Initiative genannt.
Die Europäer haben dem nur wenig entgegenzusetzen. Die EU-Infrastruktur-Initiative Global Gateway, ein weiteres Prestige-Projekt von der Leyens, soll zwar ein Gegengewicht zu „Belt and Road“ schaffen, kommt aber nur langsam voran. Der Ausbau der Windenergie in Europa übrigens auch: Die EU bleibt hinter ihren eigenen Zielen zurück.
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Die chinesischen Hersteller dagegen profitieren von dem Boom, den die Windkraft in der Volksrepublik erlebt. 2021 wurden in China Anlagen mit einer Leistung von fast 50 Gigawatt installiert, in Europa waren es nur etwa zehn Gigawatt. Zur Einordnung: Ein Gigawatt entspricht etwa der Leistung eines Atomreaktors.
Konkurrenz aus China: Günstigere Windräder als aus Europa
Die schiere Masse an Turbinen, die Chinas Windindustrie ausliefern kann, erlaubt es ihr, immer günstigere Preise anzubieten – und die europäischen Wettbewerber zu unterbieten. Der chinesische Anteil an der weltweiten Produktion von Rotorblättern für Windräder an Land ist nach Angaben des europäischen Industrieverbands Wind Europe von 20 auf 60 Prozent gestiegen.

Der Autor: Jede Woche analysiert Moritz Koch, Leiter des Handelsblatt-Büros in Brüssel, im Wechsel mit anderen Brüsseler Korrespondenten in der EU-Kolumne Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der Europäischen Union. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen ihn unter: koch@handelsblatt.com
Lobbyisten in Brüssel befürchten, dass die Chinesen bald auch auf dem europäischen Markt Fuß fassen. Die Kosten für den Bau von Windparks würden dadurch zwar sinken, die Abhängigkeit von China aber zunehmen.
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Genau das will die EU-Kommission eigentlich verhindern. Behördenchefin von der Leyen hat den „Net-Zero Industry Act“ vorgeschlagen, um die Herstellung von grünen Technologien in Europa zu stärken. Die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen dürfe nicht in eine Abhängigkeit von chinesischen Clean-Tech-Produkten umschlagen, mahnt die Kommission.
Für die europäische Solarindustrie kommt jede Hilfe zu spät. Wenn die Windturbinenhersteller nun das gleiche Schicksal ereilt, kann sich die EU von ihrem Traum der strategischen Souveränität verabschieden.




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Erstpublikation: 18.07.2023, 12:03 Uhr.





